Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 4

getragen und mit der konsequenten Verfolgung dieses Gedankens — während! Burgen, Schlös ser, für die „Ewigkeit gebaute" Festungsanlagen und ganze Städte in Schutt und Asche zerfie len — einen kostbaren kunstgeschichtlichen Schatz und damit oft genug die Individualität der Erscheinung unserer Städte und Landschaf ten in die Gegenwart retten können. Auch Ver änderungen und Umbauten, die in gotischer oder barocker Zeit oft in großzügiger Weise durchgeführt wurden, haben fast immer auf die einzigartige Situation des Sakralbaues Rück sicht genommen, haben, wie in Salzburg, zu großartigen städtebaulichen Neuschöpfungen ge führt, oder wie in Melk, Göttweig, bei der Wallfahrtskirche Mariatrost in Graz oder auf dem Pöstlingberg bei Linz, sich bewußt der von der Natur gegebenen landschaftlichen Voraus setzungen bedient, um Wirkung und Eindruck zu steigern. Alle diese Bilder sind in unser Bewußtsein längst eingegangen und zum unver äußerlichen Eigentum des Volkes geworden. Welchen geistigen Verlust es bedeutet, wenn solche Vorstellungen sich mit der Wirklichkeit nicht mehr decken, haben die Zerstörungen des letzten Krieges gezeigt. Wer das Kölner Stadt bild und die Kölner Kirchen aus der Zeit vor dem Kriege in Erinnerung hatte, ist zutiefst darüber erschüttert, wie sehr jene stimmungs bildenden und die Tradition verdeutlichenden' Kräfte, trotz der eifrigsten Bemühungen, die den Wiederaufbau auf Seiten der kirchlichen! und der staatlichen Stellen geleitet haben, ver lorengegangen sind. Mit vollem Recht hat man die schweren Schäden an der äußeren Erschei nung des Stephansdomes in Wien — um nur ein Beispiel herauszugreifen — im Sinne des frü heren Zustandes behoben und ist dabei vor den ungeheuren Kosten, die z. B. die Wiederherstel lung des Daches erforderte, nicht zurückge schreckt. Hätte man aus Ersparungsgründeni etwa die Neigung des Daches nur um weniges geändert (nach Brandkatastrophen ist dies hin und wieder geschehen; so z. B. 1827 in Maria zell), würde eines der wichtigsten Charakteristika des Domes und der Wiener Altstadt, ja man könnte sogar sagen: eines der Wahrzeichen Österreichs, verspielt worden sein. Die Erhaltung der äußeren Erscheinung einer Kirche ist also keineswegs nur eine Forderung, die von der Kunstgeschichte und der Denkmal pflege erhoben wird; sie ist ebenso ein Gebot der Notwendigkeit im Sinne der den ganzen Lebensraum umfassenden Tradition. Die bittere Zeit nach dem Kriege, in der es galt, die Schä den zu beheben, die entweder durch den Krieg selbst oder dadurch entstanden waren, daß die laufenden Erhaltungsarbeiten während einiger Jahre imterlassen werden mußten, hat es manch mal gerechtfertigt, es mit den Wiederherstel lungen nicht ganz genau zu nehmen. Die Haupt sorge war, die Kirchen wieder benützbar zu machen oder durch augenblicklicheSicherungen noch größere Übel zu verhindern. Die Situation hat sich seither wesentlich gebessert, sie hat sogar Voraussetzungen geschaffen, wie sie gün stiger — wenigstens zwischen den beiden Krie gen — nicht gewesen sind. Dies bedeutet, daß sich nunmehr auch der äußeren Erscheinung unserer Städte und Dörfer und der Landschaft eine größere Sorgfalt zuwenden sollte; nicht zxüetzt also den Kirchen als ihren wichtigsten gestaltenden Elementen. Die äußere Erscheinung einer Kirche ist, aus der Ferne gesehen, durch die Linien ihres Um risses bestimmt, durch den Baublock, seine Be dachung und durch die Türme. Bei Erwei terungsbauten, die manchmal imvermeidlich sind, muß daher die Fernwirkung der neuen Um rißlinie genau geprüft werden und nach einer möglichst günstigen Einbindung in die Gesamt silhouette gesucht werden. Ein nicht ungefähr liches Beginnen ist es, Kirchtürme, sei es durch Erhöhung oder durch Veränderung des Turm helmes auszubauen. Es gab im vergangenen Jahrhundert zahlreiche derartige Fälle; unter denen die Aufstockung des Vierungsturmes der ehemaligen Stiftskirche zu Ossiach in Kärnten um 12 Meter vor einigen Jahren, also 70 Jahre nach dem Bau, fast zur Katastrophe geführt hätte: die gewaltige Vermehrtmg des Gewichtes ergab eine Überbeanspruchung der Turmpfeiler. Sozusagenim letzten Momentkonntenkompli zierte und kostspielige Bausicherungen ein Un glück verhüten. Abgesehen aber von dieser technischen Seite verdarb die Turmerhöhimg nicht nur die äußerlich noch spürbare mittel alterliche Wirkung der Kirche, sie beeinträch tigte auch die Proportionen des Baues in wenig günstiger Weise. Gelegentlich kommt es zu Änderungen der Form des Turmhelmes, eine Maßnahme, die für das Aussehen einer Kirche von grundlegender Bedeutung ist. Aus jüngerer Zeit sei an den Brand der Filialkirche St. Wolfgang ob Grades in Kärnten erinnert, der den höchst malerisch wirkenden, mehrfach geschwungenen Zwiebel helm des an der Westseite der Kirche gele genen starken Turmes zerstörte. Wieder einen Zwiebelhelm aufzubauen wäre, von der flnanziellen Seite ganz abgesehen, wahrscheinlich schon aus technischen Gründen auf große Schwierigkeiten gestoßen. So wählte man die Form eines einfachen steilen Zeltdaches, die dem wehrhaften Charakter der spätgotischen Kirchenfestung — als solche stellt sich Sankt Wolfgang dar — sogar besser entsprach; der unvergleichliche Reiz aber, den der barocke 8

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