Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 3

Aber in diesem „großräumigen" Verhältnis zwischen Christus und den Jüngern geht doch das alte Wissen von einer umschriebenen Gegenwärtigkeit Jesu nicht verloren. Sie bleibt dort wirksam, wo es eine berufende, haltende und bekundende „Gestalt" Seiner Anwesenheit und Seines Handelns gibt. Eine solche ist be reits mit der Versammlung der Jünger gegeben. Denn Jesus hat in der Klarheit über Seinen nahen Tod imd Seine Erhöhung den Jüngern eine Verheißung gegeben. Die Absicht jenes Wortes war, zu sagen, was es vor Gott bedeute, wenn die Jünger sich brüderlich versammeln. Was sie dann erbitten, wird ihnen gewährt. Und nun der Grimd: Sobald sie sich „auf Seinen Namen", d. h. als Seine Kirche, versammeln, tritt Er mitten unter sie, und um Seinetwillen werden sie erhört (Mt. 18, 19—20). Auch das Abschiedswort Mt. 28, 20 ist offenbar so ge meint, denn es tröstet die Jünger über das Ende der Vierzig Tage mit der Verheißung: „Seht, Ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung der Weltenzeit." Es ist also nicht nur verheißen, der Herr werde in ebensolcher Weise, wie Er den Augen der Jünger entzogen wurde, am Tag der Wiederkunft aufs neue sichtbar werden; es ist darüber hinaus gesagt, auch in der Zeit Seiner Entrückung werde Jesus sich den Sei nigen gewähren, sofern sie sich nur in brüder lichem Sinn versammeln. Im Unterschied zum enthüllten Kommen am Jüngsten Tage ist solche Gegenwärtigkeit nicht mit Augen zu sehen, aber sie ist im Glaubenerkannt (vgl. Joh. 20, 29). Solche „berufende" Gestalt ist femer das Bru dermahl der Getauften. Hier verdichtet sich offenbar das Bewußtsein von der Nähe des Herrn. Darauf mag die Bemerkung der Apostel geschichte deuten, die Jünger hätten ihr täg liches gemeinsames Sättigungsmahl „mit Jubel und in Herzenseinfalt" miteinander gehalten (AG. 2, 46). Der Jubel geht wohl zunächst aus der Erkenntnis hervor, daß im irdischen Mahl der Jünger das himmlische der Vollendung vor gebildet und vorausgenommen wird. Aber ge rade dadurch wird es zur Brücke zwischen den Mählern, die der Meister in Seiner Erdenzeit mit den Seinen gehalten hat, imd dem künftigen, bei dem Er „aufs neue mit ihnen vom Gewächs des Weinstodes trinken" wird (Luk. 22, 16). So läßt sich weiter vermuten, daß hier die Erfahrung der Vierzig Tage fortwirkt: Der Auferstandene hatte durch das gemeinsame Mahl die Gemein schaft mit den Seinen neu geknüpft; nun liegt es nah, das Mahl, als das intensivste Zeichen des Zusammenschlusses auch als die Gewähr für die Gegenwart des Herrn zu erkennen und in jubelnder Freude und lauterer Bruderliebe der gnadenvollen Gegenwart zu entsprechen. Ähnlich haben offenbar die Paulus-Gemein den gedacht. Wenn das Mahl in seiner höchsten Form, nämlich mit den gestifteten, sakramen talen Handlungen des Abschiedsabends, began gen wird, dann nennt man es — das setzt Pau lus als bekannt voraus — das „Herrnmahl" (1. Kor. 11, 20). Der Name weist auf die Her kunft aus dem Abschiedsmahle Jesu hin, aber er besagt wohl auch, daß bei diesem Mahle der Kyrios präsidiert. Er hat Seine Jünger zu Gast; sie sind am „Tisch des Kyrios" (1. Kor. 10, 21). An ihm trinkt man den „Becher des Kyrios" (v. 21), durch den man „Anteil hat am Blute des Christus" (v. 16). Damit ist man eine persönliche Treueverpflichtung eingegangen und kann nun nicht mehr nebenher in den Tempeln der Götter essen und somit „am Tisch der Dämo nen teilhaben". So etwas würde bedeuten, „den Kyrios zur Eifersucht reizen" zu wollen, und Paulus fragt: „Sind wir denn etwa stärker als Er?" (v. 22). — So personhaft ist die Gegen wart Christi beim Herrnmahl gesehen. (Ähnliches würde eine Untersuchung der Johannes-Schriften zeigen.) In all dem tritt die Wirksamkeit Christi stark hervor, und es liegt nah, zu fragen, ob da nicht eine „Christozentrik" entwickelt werde, die Gott den Vater aus dem Blick zu verlieren drohe. Die Frage kann aus der Schrift beant wortet werden, und die Antwort klärt und be festigt die gewonnenen Erkenntnisse. Man bedenke die folgenden Sätze aus den Paxüus-Briefen: „Als die Zeit voll war, sandte Gott Seinen Sohn, vom Weibe geboren und unter das Gesetz getan, auf daß Er die loskaufe, die unter dem Gesetze waren." (Gal. 4, 4.) „All das kommt von Gott, der uns mit sich durch Christus versöhnt." (2. Kor. 5, 18—20.) „Darin erweist Gott Seine Liebe gegen uns, daß . . . Christus für uns starb." (Röm. 5, 8.) „Alles gehört euch, ihr aber gehört Christus, Christus aber gehört Gott." (l.Kor.3, 23.) „Eines jeden Mannes Haupt ist Chri stus, Christi Haupt aber ist Gott." (1. Kor. 11, 3.) Diese Sätze machen klar, daß Gott der Wir ker (der Erlösung ist. Gewiß ist Jesus Erlöser, aber durch Ihn und an Ihm führt Gott Seinen Erlösungsplan und -ratschluß durch. Ebenso ist nicht die Verherrlichung Jesu, sondern die Ehre Gottes Ziel und Ende des Heilsgeschehens:

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