der Natur der Gesichte" (1912) und „Vom Bewußt sein der Gesichte" (1920). Man spürt noch das aus einer komplexen Vielschichtigkeit kommende Pro gramm des Expressionismus durch: „Daß in der Kunst der Verwirklichungsprozeß nicht von außen nach innen, sondern von innen nach außen ge schieht . . ." (Pinthus). Äußerungen zur Kunst und Briefe aus den letzten Jahren runden das Porträt des Dichters Kokoschka ab. Besonders wertvoll sind die Literaturnachweise am Schluß des Bandes. Vom gleichen Herausgeber wurde das schmale Bändchen Dokumente zusammengestellt, welches Urteile über Kokoschka von 1908 bis zur Gegenwart enthält. Diese wenigen Seiten stellen eine schöne und aufschlußreidie Ergänzung zu dem SchriftenBand dar, nicht zuletzt durch die Fotos und Zeich nungen. Das Beste darin: Ohne Zweifel der 1921 ge schriebene Kokoschka-Aufsatz von Max Dvofak. Curt Grützmacher Werner Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert. Tafelband, Prestel-Verlag, München, 1955, DM 68.—. Haftmanns dreibändiges Werk über die „Malerei im 20. Jahrhundert" kann schon heute, nachdem zwei Bände erschienen sind — der dritte dürfte in Kürze folgen — als das Standardwerk in deut scher Sprache zu diesem Gegenstand bezeichnet werden. Es ist ein ähnlich großer Wurf wie seiner zeit das ebenfalls dreibändige Werk von MeierGraefe, das die Voraussetzungen dieser Kunst be leuchtete. Nachdem Haftmann im ersten Band das Werden dieser Kunst und ihre Phasen imtersucht hat (ver gleiche meine Besprechung in Heft 1/1956), legt er im zweiten eine sorgfältige Auswahl von Abbil dungen vor (aber warum De Pisis „Soldat im Ate lier"?), damit der Betrachter „Werden, Wesen, Ab sichten und Qualität des bildnerischen Ausdrucks unseres Jahrhunderts einsehe". Der knapp gefaßte Begleittext enthält glänzende Bildanalysen, an gefangen von „Joie de Vivre" eines Matisse bis zu „Peinture" eines Hans Härtung. In großer Klarheit wird die innere Konsequenz der Entwicklung herausgestellt. In der ersten Phase (1905 bis 1918) folgt auf den Fauvismus und den gleichgerichteten deutschen Expressionismus der Kubismus, aus dem sich der Orphismus, der Futu rismus und die Kunst des Blauen Reiter ergeben und über den die Entwicklung dann einerseits zum konkreten Bild (Mondrian), andererseits zur Pittura Metafisica hinausführt. Die Malerei zwischen den beiden Kriegien hat auf dieser Grundlage auf gebaut. Unser besonderes Interesse ist naturgemäß auf die unmittelbare Gegenwart gerichtet, also auf die Jahre seit dem Zweiten Weltkrieg. Ihr bestimmen der Stilausdruck ist die Abstrakte. In ihr ist „Natur nicht mehr das, was sich als Naturgegenstand dem Auge des Menschen entgegenstellt, sondern was sie existentiell im Menschen ist imd was sie in ihm an ruft". Drei Namen erhielten in diesem Jahrzehnt einen außerordentlichen Glanz: Klee, Kandinsky und Mondrian. Ihre Anregungen haben zu den Bild formen von heute geführt. Da ist zunächst das „evozierende Bild", eine orphische Umdichtung visueller Erlebnisse und schließlich deren her metische Vertiefimg (Manessier, Bissiere und Bazaine seien genannt). Dann das expressive Bild, eine spontane Veransdiaulichung unmittelbarer Lebens impulse (Härtung, Soulages, Wols, Vedova). Endlich das „konkrete Bild", das die konkrete Schönheit von Zahl und Proportion anvisiert (Vasarely, Max Bill, Vordemberge-Gildewart). Dabei sind das expressive und das konkrete Bild Gegensätze (zum subjektiven und objektiven Pol der Wirklichkeitserfahrung hin), was Kandinskys Begriffe vom „großen Realen" imd „großen Abstrakten" (zum letzteren würden beide gehören!) eher verschleiern. Sie wurden von Kan dinsky auch in einer anderen Situation gepräigt und sollten daher heute (Haftmann!) mit großer Vor sicht gebraucht werden. Man legt das Buch mit zwei Fragen an die Zu kunft aus der Hand: Wird der expressive Flügel unserer bildenden Kunst der Gefahr des Psycho- ■gramms entgehen? Und wird die „konkrete Ma lerei" sich davor hüten, die Grenze zur reinen Geo metrie hin zu überschreiten? G. R. Lothar Günther Buchheim, Die Künstlergemeinscfaaft Brüche. Buchheim Verlag, Feldafing, 1956, DM 68.—. Lothar Günther Buchheim urteilt mit Recht: „Der Expressionismus ist geistig nicht bewältigt." Dies leistet zwar auch sein Buch nicht, aber es schafft in mancher Hinsicht die Voraussetzungen dazu, indem es eine Fülle von Dokumenten und Bildmaterial vorlegt und damit weiteren Kreisen eine Zusam menschau ermöglicht, die bisher nur wenige Kenner und Sammler haben konnten. Der Text geht von der Problematik des Begriffs „Expressionismus" aus. Dieser bezeichnet keinen Stil, sondern eine — zu allen Zeiten mögliche, aber in manchen Epochen bevorzugte — Ausdrucksart. Ge rade darum ist er auf die „Brücke-Maler" anwend bar, die keine neuen Stilmittel entwickelt haben, sondern innere Gesichte bildhaft machen wollten. Ihr adäquates Ausdrucksmittel war die Graphik: in ihr haben die Künstler der Gruppe ihr Größtes und Eigenstes geleistet. Die „Brücke"-Gemeinschaft fand sich in Dresden und setzte sich in Berlin fort. Sie währte von 1905 bis 1913 und war von außerordentlicher Frucht barkeit: jeder war zugleich Gebender und Nehmen der. Kirchner führte die Freunde ins ethnogra phische Museum vor die Plastik der Palauinsulaner und wies sie nachdrücklich auf den Holzschnitt hin, dessen großer Meister er werden sollte. Otto Müller brachte den Reiz der Leimfarbe, Heckel die Berüh rung mit der Literatur, Pechstein die Verbindung mit den verwandten Fauves (vor allem mit Kees van Dongen, der aber nicht, wie vielfach behauptet, Brücke-Mitglied war), Nolde seine Radiertechnik, vor allem aber sein elementares Naturgefühl. Und dennoch blieb jeder ein einzelner, unver wechselbar er selbst: Heckel lyrisch, Kirchner ner vös-sprühend, Schmidt-Rottluff einfach und klar, Pechstein leicht und oberflächlich, Otto Müller still, melancholisch, dem verlorenen Paradies nachsin nend. Am wenigsten wird der Autor dem großen Nolde gerecht. Hier wiegen negative Formulierun gen vor: „In seinem gesamten Werk hat Nolde die Sinne allzu selbstherrlich schalten lassen . . . die Mängel und Gefahren der expressionistischen Ma lerei werden in seinem Werk am stärksten offenkun dig ... seine unbeherrschte Malweise ist nur selten wirklich malerisch . . .". Das Chthonische seiner Kirnst wird als „unbewältigter Blut- und Boden mythus" gedeutet, womit das Wesen dieser Kunst wohl doch verfehlt wird (denn das hat nichts mit der frühen Parteizugehörigkeit Noldes zu tun!). Auf die persönlichste Leistung Noldes, auf seine Aqua relle, wird nur ganz kurz angespielt. 29
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