Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 3

gleichsam „der Introitus des Evaiigelienbudies" sind oder „das innere Portal der Kathedrale". Das alles wirkt angesichts der Bilder und beim Wortlaut der Inschrift, die beide ganz Eindeutiges aussagen, nur gesucht und verfälschend. Denn es handelt sich bei aufgeschlagenem Kodex links um die Majestas Domini, um Christus in seiner ewigen Herrlichkeit, umgeben von Propheten und Evangelistensymbolen (das Bildmuster stammt von dem großen Meister C. der karolingischen Vivianbibel, Sehule von Tours) und rechts um zwei Engel, die, umgeben von vier Tugenden, eine große beschriftete Tafel halten: „Auf der ersten Seite des Buches thront der Herr scher des Oljnmp; hierher gesetzt als erster, denn niemand ging ihm voraus: aller Könige Königi ist er und Gott der Götter. Wer dem Herrn des Him mels, dem das himmlische Beich dient, sich einen will und zugesellen, der tue, was dieses Buch be fiehlt, auf daß er frei sei von Schuld und so dort hin gelange, wo er in alle Ewigkeit lebt". Inschrift und Bilder ergänzen sich also gegenseitig. Christus ist „der Erste, König aller Könige", absoluter Ur heber, Anfang und Ziel der Menschen. Er thront in der Ewigkeit. Die Propheten haben in der Vergan genheit, der verstreichenden Zeit, seine irdische An kunft vorausgesagt, und die Evangelistensymbole schauen seine Herrlichkeit, um davon ihren Textschreibem (wie es der weitere Verlauf der Bilder serie zeigt) und damit aller Zukunft mitzuteilen. Die Engel („das himmlische Reich") dienen ihm, indem sie die Verbindung mit den heilsbedürftigen Men schen aufnehmen, indem sie, unter Anempfehlung der Tugenden, die große Tafel vorweisen: „Wer dem Herrn des Himmels sich einen will und zuge sellen, der tue, was dieses Buch befiehlt..." Zweierlei ist es also, was Bilder und Text aus sagen. Einmal die absolute Zentral- und Universal bedeutung Christi und zum anderen die Auffordenmg zur geistigen Aneignung des in diesem Buch Aufgezeichneten und Verbildlichten. Metz hat offen bar diesen Charakter nicht begriffen. Die Majestas Domini wird gerade nicht getragen, weder von den Evangelistensymbolen noch von den Propheten, und Metaphern wie Introitus und inneres Portal greifen lediglich formal die Anfangsstellung der Bilder auf, während doch in der Inschrift gesagt ist, daß diese Anfangsstellung zugleich die höchste und die MittelStellung ist. Wenn also schon ein Vergleich mit dem Kirchengebäude angestellt wird, dann müßte die Majestas Domini mit dem Allerheiligsten Altarsa krament verglichen werden. Und trotz „Introitus" entgeht es Metz, daß von dieser Darstellung her die ganze Bilderfolge der Handschrift in ihrer Ordnung und in ihrer Stei gerung zu verstehen ist. Bei Matthäus wird der Gläubige aufgefordert, sich dem zu einen, der auf wunderbare Weise in diese Welt kam, so^eich an erkannt, aber auch sogleich angefeindet wurde, der den Teufel kategorisch abwies und der die ersten Jünger berief. Wenn Metz an Hand der Farbsym bolik hier feststellen möchte, daß der Akzent darauf liegt, daß „Christus aus Gerechtigkeit und Liebe das Fleisch der Sünder angenommen hat, um sie heimzuführen" (S. 53), so kann das nur eine Nebenbecleutung sein. Absolut gesetzt läßt sie die herr scherliche Macht Christi, die sich im ersten Bilder paar und wieder am Ende dieses Teilzyklus aus prägt, völlig außer acht. Und wenn dann Metz bei den Bildern zu Markus nicht „nur Wunder", son dern vor allem bedeutungsvolle „sigma" sieht (S. 59), so stellt er die Dinge fast auf den Kopf. Man braucht die Szenen nur genau anzusehen, um zu er kennen, daß der Akzent durchaus auf dem jewei ligen wunderbaren Vorgang liegt. So ist es in der gesamten ottonischen Kunst und so schon in der karolingischen Zeit, übrigens in stärkstem Gegen satz zur Spätantike, die zunächst nur eine symbo lische Seite der Wunder kennt. Zweifellos soll bei Markus der Gläubige ciurch Christi Wundertaten im Glauben gefestigt werden. Und von dieser noch nicht sehr hohen Stufe, die Christus selber bemängelt hat, erfolgt nun bei Lukas der Aufstieg, zu einer ent schieden höheren Ebene: Gleichnisse werden ver bildlicht. Sie sind auf weitere Faßkraft zugeschnit ten: das Himmelreich ist gleich... Der ganze christ liche Glaubensbereich ist jeweils gleidmishaft zu sammengefaßt. Oder vom Bild und vom Text her führt der Weg hinein in reine geistige Sphären. Wenn Metz hier sagt, daß durch die Gleichnisse der Symbolcharakter der Darstellungen in dem ganzen Evangeliar besonders deutlich würde (S. 63), so ist das ebenso ein Denk- wie ein Sehfehler. Und bei Johannes ist der wesentliche Sinn der Bilder selbst verständlich die Passion des Herrn, die bereits im Kreuznimbus der Majestas Domini zu Anfang ange deutet ist und die nun der Gläubige im Geist nach vollziehen soll. Der Kodex ordnet also die Bilder auf die Majestas Domini hin und zwar chronolo gisch und geistig gestuft. Die Handschrift schließt mit der Himmelfahrt und dem Pfingstbild. An der Herabkunft des Heiligen Geistes haben außer den Aposteln acht bewegte und namenlose Männerge stalten teil, in die sich der Gläubige nun einreihen mag. Die Teilhabe am Heiligen Geist ist für ihn noch wichtiger als die Ankunft Christi in dieser Welt, als seine Wunder, seine Gleichnisreden und seine Passion. (Sie alle sollen ihn vorbereiten auf den Heiligen Geist.) Denn dieser Geist gibt dem Menschen letzthin die Gewißheit, daß er sich Gott in seiner ewigen Herrlichkeit „einen und zugesellen" wird. Womit sich der Bilderzyklus schließt. Für diesen ebenso einfachen wie umfassenden Sachverhalt hat sich Metz von lauter Symbolik den Blick trüben lassen. Er hat damit das Köstlichste verfehlt, was uns heute noch das frühe Mittelalter zu schenken vermag: den bildlichen Ausdruch eines im besten Sinne kindlichen Glaubens. Hätte Metz den Blick statt auf symbolische Bedeutungen einfach auf die ewigen und unwandelbaren Glaubenswahr heiten gerichtet, so hätte ihm dieses Kostbare nicht völlig entgehen können. Und der besondere Geist der Epoche, mit dem Metz von vornherein an den Kodex herangehen wollte, er hätte sich dabei wie von selbst ergeben. Univ.-Prof. Walter Otto BUCHBESPRECHUNGEN Neuerscheinungen zur Kunst der Gegenwart Paul Cczanne, Über die Kunst. Gespräche mit Gasquet-Briefe, Herausgegeben von Walter Hess. „Rowohlt-Klassiker der Literatur und der Wissen schaft", Band 6, DM 1.90. Joachim Gasquet, der Bewunderer Cezannes hat uns drei Gespräche mit diesem hinterlassen, die zwar so nie gehalten wurden, aber — nach der Mei nung Gasquets — die künstlerische Gesamtkonzep tion Cezannes wiedergeben. Gasquet arbeitete in diese fingierten Gespräche sowohl eigene Notizen 27

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