und ein zum Gelb tendierendes Rot —, die aber durch immer stärker werdende Beimischung von Schwarz verschmutzt und allmählich entkräftet wird. Die Energie beginnt sich immer mehr axif die Linie zu verlagern, so daß sich die heutigen Aus drucksmittel Büffets fast ausschließlich auf eine reiche Skala kristallinisch wirkender, abgestufter Grautöne beschränken, sowie auf ein graphisches Liniennetz, welches wie drahtartiges Gitterwerk die gesamte Fläche überspannt. Während ein Stilleben von 1946 nodi durch seine Valeurs den Dingen einen gewissen Oberflädienreiz verleiht, ihre Tastbarkeit und Zweckbestimmtheit erkennen läßt, erscheinen die Gegenstände eines Stillebens von 1952 oder 1955 in einer radikalen Linearität, auf einen abstrakt wirkenden Grund kontur reduziert, in einer 2aisammenhanglosen Un bestimmtheit, deren einziges — dafür aber umso stärkeres — Ordnungsprinzip von den Erforder nissen der Komposition diktiert wird. Während noch 1945 ein „Maler beim Malen", also eine bestimmte, handelnde Person, zum Büdthema gemacht wird, fehlt den menschenähnlichen Wesen auf den späteren Bildern jede Aktion, ja, sogar die Möglichkeit da zu; sie verharren in einer makabren Statik, ihre Bewegungen sind nicht das Ergebnis eines subjek tiven Willensaktes, den man sich fortgesetzt denken könnte, sondern sie sind der gefrorene Moment. Anläßlich dieser Feststellungen taucht die in die sem Zusammenhang zur Deutung wohl wichtigste Frage auf, nämlich die Frage nach der Zeit im Bild, oder besser: Was bezeichnet das Dargestellte für eine Situation? — Zunächst läßt die Dingmache bei Büffet stärkste Ähnlichkeit mit der „pittura metafisica", also auch mit der bildnerischen Zeitauffassung des magischen Realismus vermuten. In dieser Malweise erschien der bisher unbeachtete, vernachlässigte Gregenstand, das „objet trouve", auf einsamen Plätzen inmitten einer beängstigiend strengen Städtearchitektur (wie bei de Chirlco) oder in einer Landschaft, d. h. immer in einer ihm durchaus nicht zukommenden imd normalerweise niemals möglichen Umgebung. Dort agierte das Ding, seiner gewohnten, konventionellen Erscheinungsweise beraubt, wie auf einer einsamen Bühne und entfaltete durch die harte Realistik seiner äußeren Gestalt jene Würde, die ihm seinen „metaphysischen Aspekt" seine Dingmagie verlieh. Eine Art coincidentia oppositorum fand statt: Dinge ohne gemeinsame Begriffseinheit verbanden sich zu einer alogischen Erscheinunigseinheit, die herme tisch ihr eigenes Dasein behauptete und den Men schen in die Schranken seiner Welt verwies. — Die Dinge bei Büffet jedoch erhalten ihre xmheimliche, bedrohliche Wirkimg nicht durch das Erscheinen in einer unwirklichen Umgebung, sondern durch das Erscheinen in einer unwirklichen Zeit. Hier ist die Grenze der „science fiction" bereits überschritten, die Stunde X ist schon gewesen; übrig bleibt eine Welt der absoluten Gegenstände, zwi schen denen jedes menschliche Leben erloschen ist. Wie vom todbringenden Eishauch einer unbekannten Katastrophe ist alles Lebendige vernichtet und zu gleich verschwunden, und nur die zurückgebliebene Dingwelt, die gestern noch ihren Sinn innerhalb der menschlichen Lebensphäre erfüllte, erscheint heute als archäologisches Studienobjekt einer ge wesenen Epcxhe. Die häßlichen, kalkweißen Häuser der Pariser Stadtlandschaften, — wobei die kitschige Bauweise des 19. Jahrhunderts betont hervor gehoben wird —, die Mauern und Schornsteine einer gespenstischen Fabrik, aus denen kein Rauch mehr quillt, die Gegenstände des täglichen Gebrauchs, Tassen, Teller, stehengebliebene Uhren, umgestürzte Stühle — sie alle warten nur noch darauf, inventa risiert zu werden. Niemand wird sie wieder in ihrer ursprünglichen Eigenschaft benutzen, niemand wird das halbgefüllte Glas austrinken oder die ver lassenen Treppen hinaufsteigen. Denn zusammen mit dem Menschen verschwand auch das menschliche Begriffsschema, und sinnlos imd ohne das verbin dende Fluidum menschlicher Ordnungen steht eine Welt der puren Objekte da, wobei die graue Fassade einer Vorstadtkirche in der Bedeutung dem Fabrikschomstein gleichwertig wird. Der chaotische, läh mende Eindruck, den diese Gespensterwelt aus strahlt, wird durch ihre äußerliche Unversehrtheit nur noch verstärkt. Hier liegt etwas vor, was man nicht mehr als Magie der Dinge bezeichnen kann, sondern was man Magie der Situation nennen müßte. Mit der Zweckgerichteten menschlichen Definition der gegenständlichen Welt wird auch deren Sinn einheit aufgehoben; die Einzeldinge eines Stülebens von Büffet sind voneinander völlig isoliert und werden nur durch ein technisches Mittel, nämlich die Verspannimg der gesamten Bildfläche mit einer graphischen Struktur, in eine Kompositionseinheit gebracht. Es ist die Bestandsaufnahme einer Welt, der die Prämisse des menschlichen Daseins abhan den gekommen ist. Die Konsequenz dieser Tatsache glauben wir in der Darstellung der menschlichen Figur selbst bei Büffet am deutlichsten zu sehen. Ihre makabre Er scheinung ist — hierin den Dingen gleich — völlig abgelöst von der Substanz, sinnentleert und eher einem Leitfossil ähnlich. Daß es sich dabei stets um die Selbstdarstellung in der häßlichsten Form han delt, dürfte seinen Grund in einer manischen Kom ponente der Persönlichkeit Büffets haben, was aber ausschließlich Gegenstand einer psychologischen Un tersuchung zu sein hat. Nach den bereits festgestellten, die Buffet'sche Bildwelt betreffenden Momenten, muß es nunmehr möglich sein, die Frage nach dem Transzendental wert jener Bilder zu beantworten, deren Inh^te — Rosenkranz, Bibel, Brot und Wein — an sich für den christlichen Menschen einen komplexen Sinn haben. Vielleicht vermag hier mancher durch den an schaulichen Bildcharakter und die immer wi^er zu bemerkende virtuose Sicherheit der Komposition ge täuscht werden. Wo aber eine zeitliche Situation postuliert wird, in der die menschliche Begriffs welt aufgiehört hat zu existieren, da hat auch der sakrale Gegenstand seinen sinnvollen Aussagewert eingebüßt, d.h.: er ist lediglich noch Inventar. Wenn bei Büffet die Grenze zwischen Talent und Genie oft genug zu verfließen scheint, dann tritt sie hier um so unausweichbarer hervor. Hier fällt auch die Entscheidung, ob und inwieweit für ihn die Ma lerei eine „cosa mentale", eine „Sache des Geistes" im Sinne Leonardos ist, — wie Jean Bouret gele gentlich behauptet hat. Eine geistige Angelegienheit, die alle als Geistesträger bisher möglichen Erschei nungen nicht zur Voraussetzung, d.h. zur eigenen Lebensgrundlage macht, müßte für ihr Anliegen zumindest einen anderen Ausdruck suchen. Allein die Zeit wird lehren, ob das igroße Talent Bernard Büffet neue Möglichkeiten für sich zu finden ver mag oder die einmal gefundene Form in einer un verbindlichen Manier versanden läßt. Gurt Grützmacher (München) 25
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