Das Kunstwerk ist nicht da in der Weise anderer dinghafter Bestandteile der mensch lichen Umwelt — es wartet auf die Aktualisie rung, besser Re-aktualisierung in einem empfindend-sdiauenden Geist, auf Wiedererweckui^ des schöpferischen Aktes, dem es sein Dasein verdankt. Das Fortleben eines Werkes ist zu gleich das Fortleben seines Schöpfers in ande ren, gleichgültig, ob sein Name vergessen ist oder erinnert wird. Es gibt keine genauere Analogie des Verhältnisses Gottes zur Schöp fung als das Verhältnis zwischen dem Künstler — nach Dantes Wort dem „Enkelkind Gottes" (a Dio quasi e nipote) — und seinem Werk: es wurde und es ist nur durch seine fortwirkende Schöpferkraft. Inwiefern aber, so müssen wir fragen, lebt hier der Schöpfer als Person in seinem Schöpfungsakt? Wenn wir annehmen, daß der pythagoreische Lehrsatz wirklich von dem Philosophen entdeckt worden ist, nach dem er benannt wird, so vollziehe ich zwar Keim Beweis dieses Satzes einen Gedanken nach, den der Grieche Pythagoras vorvollzogen hat. Aber mit dessen Person hat diese Wieder holung wenig zu tun. Nun ist auch im Kunst werk ein Allgemeines niedergelegt. Es will jeden angehen, jedem die Botschaft der in ihm verschlossenen Freude bringen. Aber diese All gemeinheit liegt auf einer anderen Ebene. Sie ist nicht — oder nicht ausschließlich und wesent lich — die Allgemeinheit der Wahrheiten, die begrifflich erfaßt und mitgeteilt werden können. Die im Kunstwerk dargestellte unbegriffliche Wahrheit gründet sich auf das AllgemeinMenschliche, repräsentativ verwirklicht in einem Menschen, und das Vermögen, das sie er faßt, die imaginative Einsicht, ist der Weisheit so nahe verwandt, daß wir mit Recht von künst lerischer oder dichterischer Weisheit sprechen. Weisheit aber, im Unterschied zu den minderen intellektuellen Vermögen, berührt die Wahrheit nicht bloß des Kopfes, sondern des Herzens: ihre Einsicht entspringt der Wohlordnung aller, auch und gerade der emotionalen Gemütskräfte. Sie erringt Klarheit nicht durch Absehen von den Stürmen der Verzweiflung und Hoffnung, die unseren Blick trüben, sondern dadurch, daß sie in ihnen über sie triumphiert. Sie ist mit der Großsinnigkeit, der „Tugend der Hoffnung" verschwistert. Doch ist hier ein Unterschied streng festzuhalten: die Liebe des Schöpfers als Schöpfer gehört nicht der zu erschauenden Wahrheit, sondern der Darstellung der Schön heit im Werk, und es ist die Lust an der Schön heit, die er in uns erwecken will. Die Schönheit steht aber in einem festen Verhältnis zur Wahr heit. Sie bringt Wahres zur Erscheinung, so jedoch, daß der Schein sich bis zu einem ge wissen Grade dem, was in ihm erscheint, ent fremden kann, ohne seinen Zauber einzubüßen. Die Bezauberung wird dann zur Verführung. Als Plato im „Gastmahl" die Lehre vom Eros entwickelte als einer göttlichen Kraft, die im Schönen zeugen will, dachte er nicht an Kunst in unserem Sinn — der Begriff selbst war ihm fremd. Dennoch enthüllt uns jener Dialog die Natur der Liebe, unter deren strengem Gebot der Künstler sein Werk gestaltet, und er lehrt uns, das Fortleben des Werkes als das Fortzeu gen eben dieser schöpferischen Liebe zu ver stehen. Der Künstler selbst ist in seinem Werk, seine Person als geistige Einheit, zusammenge faßt und gesteigert imter der von der Lust am Schönen beseelten Gestaltungsliebe. Weil also das Werk seinen Meister zur Erscheinung bringt, weil wir in ihm den Pulsschlag eines per sönlichen Lebens wahrnehmen können, wird der Genuß des Werkes zu einer Art von sublimer Kommunikation. Besonders in Werken, die einer Epoche hoher Individualisierung entstam men, lassen wir uns von dem Klang einer un nachahmlichenStimme hinreißen, fühlen wir uns getroffen von dem Glanz eines Augen paares, das wie keines zuvor der Welt geöffnet ist, brüderlich vertraute oder angelische erha bene Stimmen dringen zu uns und wir wissen uns, wenn auch nur für Augenblicke, einer er laubten Gemeinschaft eingegliedert. All diese Erfahnmgen gehören wesenhaft mit zur Erfahrung der Kunst, und sie stehen kei neswegs in Widerspruch zu der analogischen Verweisung des künstlerischen Gebildes axif die Welt. Wenn wir eine „objektivistische" und eine „subjektivistische" Ästhetik zur Wahl stellen, haben wir uns schon den Zugang zum Begrei fen verbaut. Die Subjektivität, die sieh im Kunstwerk ausdrückt, ist nicht eine weltlose Monade, sondern das Ich als weltverwurzelt und weltverbunden. Das Kunstwerk ist das beredte Dokument der Verwandtschaft unseres Geistes mit den Wesen und Dingen der Welt. „Wo Schönheit in Frage steht, da ist die Grundtat sache, die wir zu beobachten haben, eine Art von gegenseitiger Durchdringung von Natur und Mensch", schreibt Jacques Maritain {Creative Intuition in Art and Poetry, New York 1953, S. 5). Wohl verwandelt der Mensch als Bildner die Natur, die ihm zur Vorlage dient, entfrem det sie ihr selbst, zieht sie hinein in den magi schen Kreis seiner Menschlichkeit, stempelt das, was äußerlich war, zum Ausdruck seiner Inner lichkeit, substituiert seine eigene Seele der Seele cier Naturwesen. Aber dem Gewaltakt geht ein Akt der Hingabe voraus. Die Umwand lung des Natürlichen in das Menschliche hat die Metamorphose des Menschen in das Natürliche zur Voraussetzung. Das Natürliche läßt sich zum Menschlichen entfremden, aber die Entfremdung 17
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