Gottesbegriffes derart verdunkelt — Gott ist für ihn das „Wesen" des als Kunstwerk ge dachten All —, daß die Philosophie der Kunst zur Offenbarungslehre wird: die griechische Mythologie erscheint ähnlich wie bei Hölderlin als „das höchste Urbild der poetischen Welt", Christus als „der letzte Gott" (a. a. O. 412, 452). Als Spiel und als Schein steht das Kunst gebilde jenseits der Tätigkeitswelt und der Naturwelt. Aber diese negativen Bestimmun gen — Verneinung der Zweckhaftigkeit und Verneinung der Wirklichkeit — haben je ein positives Gegenstück, und der doppelten Jen seitigkeit entspricht eine doppelte Rüdcbezogenheit auf die transzendierte Welt. Als Spiel ist es zugleich, rückbezogen auf die Tätigkeitswelt, Feier, als Schein, rückbezogen auf die Natur welt, Verklärung. Das Spiel feiert das Leben, von dem es sich ausschließt, der Schein ver klärt die Wirklidikeit, an der es nicht teilhat. So übersteigt wohl das künstlerisdie Bild die Welt, aber es steigt auch aus der Welt hervor — ja, aus dem Innersten ihrer Weltlichkeit. In aller zweckgebundenen Tätigkeit ist schon ein Element des Spiels enthalten, in manueller Arbeit kenntlich als Rhythmus, in intellektualisierter Arbeit als zeremonielle Form, und von sich selbst her drängt das tätige Leben danach, sich im Fest zu krönen und zu über steigen. Ein gleiches gilt von der Naturwirklichkeit. Der Kunstschein tritt ihr nicht als etwas Fremdes entgegen, als eine Art von Zauber, der das Wirkliche an der Wirklichkeit zeitweilig zum Verschwinden bringt. Vielmehr kommt dem scheinbildnerischen Tun des Men schen eine Tendenz der Dinge und Wesen der Welt entgegen: wo sie sich zur Schönheit voll endet, scheint die Natur selbst für einen Augen blick stille zu stehen und zur Betrachtung ein zuladen, so als wollte sie, zum Bild geworden, sich von ihrer schöpferischen Vergänglichkeit lossagen. Sie ruft nach dem Bildner, der diese Loslösung vollbringt. Vorweisung auf den göttlichen Ursprung, Rückweisung auf die aus Gott entsprungene Welt — das sind die beiden voneinander un trennbaren Richtungen der Seinsanalogie im Kunstwerk. Aus der Rückverweisung ergibt sich der darstellende Charakter des Kunstwerks. Mit der oberflächlichen wenn auch in ihren Grenzen berechtigten Unterscheidung von nach ahmenden und nicht-nachahmenden Künsten dringen wir nicht zum Wesen der Sache. Gleichgültig, ob in einem Bild ein bestimmter Gegenstand zur Darstellung kommt und wieder erkannt wird (die Stadt Toledo etwa oder ein Friedhof) oder ob das nicht der Fall ist — das Darstellerische ist mit dem Kimstwerk als solchem immer schon gesetzt. Es folgt aus seiner Seinsart als ästhetischer Schein, dem der Rückverweis auf die Wirklichkeit, aus der er stammt und von der er sich abhebt, unverkennbar auf geprägt ist. Vor einem Bilde von Kandinsky verzichte ich darauf, die auf der Leinwand ver einigten Linien und Färben als eine Wieder gabe von Gegenständen zu verstehen. Sobald ich aber das Bild als Bild sehe, ihm die gleiche Seinsart zuschreibe, die ich natürlicherweise in einer Landschaft von Corot verwirklicht weiß, dann vollziehe ich auch schon jenen Akt des Inbeziehung-setzens, der der Linien- und Far benkomposition erst seine Bedeutung und sein Interesse verleiht. Die farbig gegliederte Fläche wird zum Bild, das mir etwas sagt. Das Bild wird Darstellung. Aber was stellt die Darstellung dar, wenn nicht Wesen und Dinge, die sich mit Namen bezeichnen lassen? Die Antwort auf diese Frage wird durch eine unvermeidliche und sinnvolle Zweideutigkeit gekennzeichnet sein — dieselbe Zweideutigkeit, auf die wir besonders bei der philosophischen Interpretation des musika lischen Kunstwerks stoßen. Einmal werden wir auf die Beziehung zu der erfahrbaren Welt wirklichkeit ihrer allgemeinen Struktur nach verweisen — auf die Verhältnisse von Har monie und Disharmonie, Gleichgewicht und Ungleichgewicht, Ruhe und Bewegtheit, die das Bild erst zum Bild werden lassen, die es aber zugleich mit allem weltlich Seienden teilt. Doch ist diese Antwort offensichtlich ungenügend. Ein weiterer Bezug, also eine dritte Richtung oder Dimension der analogischen Verweisungs kraft, tritt hervor und nötigt uns zu einer Er weiterung unseres Begriffskreises. In dem Bild stellt sich auch ein Mensch, sein Schöpfer, dar. In allem was es aussagt, sagt es auch ihn als empflndendes Wesen aus, seine Hoffnungen und seine Qualen, die Harmonien und Spannungen, die Höhen und Abgründe seines Wesens, und wie das Kunstwerk mich, den empflndenden Beschauer anspricht, spricht in seinem Werk der Künstler zu mir. Bisher haben wir nur von einer menschlichen Tätigkeitswelt gesprochen, die das Kunstwerk als Spiel und Feier transzendiert und auf die es zugleich zurückver weist. Nun müssen wir das lebendige Substrat und Zentrum dieser Tätigkeitswelt ins Auge fassen, das menschliche Individuum als Schöp fer und Nachschöpfer. Die überweltliche Einheit und Einzigkeit des Kunstwerks, die jeden Gedanken an Herstel lung ausschließen, stammen, so sagten wir, aus der selbst durch ihre übernatürliche Bestim mung geprägten Seele des Künstlers. Diese Herkunftsbestimmung ist, wie sich nun zeigt, bestimmend für die besondere Seinsart des künstlerischen Gebildes. 16
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