Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 3

Die Legitimation dieser und verwandter metaphysisch - theologischer Deutungen des Kunstwerks liegt in dem ihm eignen Ganzheits und Einzigkeitscharakter. Es ist Eins wie sonst kein vom Menschen geschaffenes Werk. Ein Werkzeug, ein Gerät oder eine Maschine ist eins durch den seiner Herstellung vorangehen den, durch den Zweck bestimmten Entwurf. Dieser Entwurf oder Plan als das Einheit stiftende bestimmt die Bestandteile als in Gren zen auswechselbar: die Zusammenordnung des vielen Teilhaften zur Einheit des Ganzen bleibt den Teilen bis zu einem gewissen Grade äußer lich. Nicht so bei dem Kunstgebilde. Zwar liegt auch dem Kunstgebilde ein Werkhaftes zu Grunde, von dem sich sagen läßt, daß es her gestellt, aus Teilen zusammengesetzt wird und daß es also, wie irgend ein Gerät, äußerliche Einheit ist. Aber diese werkhafte Grundlage, die Zusammenordnung von Wörtern in der Rede, von Farbwerten auf der Leinwand, von Flächen und Rundungen, die den Steinblock begrenzen — sie ist das künstlerische Gebild nur in potentia. In seiner Aktualisierung, als vernommen oder geschaut, in einem Akte der Ergriffenheit wiedergeschaffen, erhebt es sich zur Integrität einer Einheit, die nicht zusam menfaßt, sondern sich entfaltet und alles in ihr Erfaßte durchformt — zu organischer Einheit, wie man zu sagen pflegt. Denn in der Tat ist die Einheit des Lebewesens ein passender imd doch auch wieder unzulänglicher Vergleich. Innerhalb der natürlichen Welt kennen wir keine höhere Art von Einheit und folglich auch kein passenderes Gleichnis für die Einheit des Kunstgebildes. Aber diese steht im Rang über allen natürlich-innerweltlichen Einheiten. Nicht ist sie wie die natürlich-organische Einheit bloße Variation innerhalb der Grenzen des Gattungstypus, sondern sie ist zur Einzigkeit geprägt durch die übernatürliche Bestimmung der Seele, aus der sie stammt. Ein solches einzig-einiges Gebilde paßt weder in den Zusammenhang cies vom Menschen Her gestellten noch überhaupt in die natürliche Welt. Es sprengt diesen Rahmen. Weder hat es eine Zweckstelle in der Kulturwelt noch eine Daseinsstelle in der Naturwelt. Es ist eine Welt für sich. Seine Daseinsart wird denn auch im Blick auf diese seine zwiefache Unzugehörigkeit durch Negationen bezeichnet. Innerhalb der Kulturwelt fällt es aus dem Rahmen, weil es keinen Zweck hat und sich also dem Prinzip der Nützlichkeit nicht unterordnen läßt: es ist bloßes Spiel. Gleichermaßen fällt es aus dem Rahmen der Naturweit, weil es keine echte Existenz hat. Sein eigentliches Dasein ist ab hängig von der Re-aktualisierung durch den Menschen, und sofern es auch ein dingliches Dasein besitzt, ist es nicht es selbst: seinem eigentlichen Sein nach ist es bloßer Schein. Aber gerade weil es zweckloses Spiel, subsistenzloser Schein ist und somit ganz und gar aus der Welt herausfällt, kann es für die Welt einstehen. Es kann uns in sich hineinziehen und bis zur völligen Selbst- und Weltvergessenheit bezaubern. Entrückimg ist die Form der Aktua lisierung, in der sich die ganze Macht seiner Gegenwart entfaltet. Keine spekulative Be mühung und keine idealistische Konstruktion ist nötig, hier die analogia entis nachzuweisen. Früh hat man gesehen und ausgesprochen, daß, was sich da vollzieht, am deutlichsten im Wort des begnadeten Dichters, nicht ohne die Ver mutung eines göttlichen Anhauchs verstanden werden kann. So unverkennbar ist der Augen blick, in dem sich das Kunstwerk zur Gegen wart aktualisiert, ein menschlich-zeitliches Gleichnis des göttlichen nunc st ans, das schein hafte Bild ein Analogen der geschaffenen Welt. Soll mit all dem gesagt sein, daß wir das Kunstwerk als eine Hieroglyphe des Absoluten zu behandeln haben, als ein Medium der Gottesanschauung, die die Welt (auch sie ein Analogen Gottes, aber von minderer Verwei sungskraft) zeitweilig für unser Bewußtsein auslöscht? Keineswegs. Um hier Irrtum von Wahrheit zu unterscheiden, müssen wir sorg fältiger die Natur der Entrückung als der ge steigerten Form der Gegenwart des Kunst gebildes beachten — ihre ästhetische Eigenart, die darin besteht, daß sie überweltlich und weltlich zugleich ist. Gewiß entdecken wir, eins darin mit der idealistischen Ästhetik, im Kunst werk, in seiner über-weltlichen Einheit und Einzigkeit den transzendenten Verweis. Aber die analogische Verweisung ist zwiefach — sie weist immer auch auf die im Bild überwundene und doch auch erhaltene und, wenn man so sagen darf, verdoppelte Welt. Nicht umsonst wendet sich das Kunstwerk an die Sinne — es ist auch bei hoher Geistigkeit ganz wahrgenom mene Gestalt, ganz Hörbarkeit oder Sichtbar keit, Geist, aber inkamierter Geist, und es ergreift das menschliche Gemüt durch Appell nicht nur an dessen ekstatische Kraft, sondern auch an seine Sinnlichkeit. Die Entrückung ist immer zugleich eine Entrückung in die Welt, vollzogen und erlitten von dem Menschen, der sich mit klammernden Organen an Klang, Farbe und Form der erscheinenden Welt als an sein menschliches Patrimonium hält. Deshalb führt ein dem Geist des Christentums zuwider laufender Dualismus, der die Welt verschmäht statt sie zu überwinden, zum Ikonoklasmus. Bei Schelling hingegen (dem Schelling des Jahres 1802) ist die Zwiegerichtetheit der analogischen Verweisung durch die Mangelhaftigkeit des 15

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