Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 3

Nun sprechen wir von einer bestimmten Art von menschlichemSchöpfertumund einer be stimmten Gattung menschlicher Werke: vom Künstler und vom Kunstwerk. Im Bemühen um das Verstehen dieses besonderen Schaffens und dieser besonderen Werkgattung stellen wir unter Anleitung des Analogiebegriffs zwei Fragen, von denen die eine das Schaffen, die andere das Werk betrifft. Die erste lautet: hebt vielleicht das künstlerische Schöpfertum in höherem Maße als andere Formen der mensch lichen Produktivität die Analogie zum gött lichen Schöpfertum ins Licht? In jedem schöp ferischen Akt bezeugt sich Freiheit. Ist nicht die Freiheit des Kunstschaffenden gegenüber seinem Werk ein klareres Abbild des freien kosmogonischen Fiat als es sonst im Bereich menschlicher Werktätigkeit zu finden ist? Die zweite Frage: dürfen wir das Kunstwerk als eine der denkenden Erfassung der Welt gegen über selbständige, bildlich-analogische Auslegimg der Welt auf Gott hin betrachten? Gott ist nicht wie die Dinge oder Wesen der Welt — weder seiner Natur noch seiner Existenz nach. Dennoch verweisen alle Dinge imd Wesen durch ihre Vollkommenheiten auf Gott. Denn alle diese Vollkommenheiten sind in Gott, wenn auch auf andere Weise, per modum eminentiorem — auf vollkommene Weise. Der meta physische Gedanke der Gottebenbildlidikeit der Schöpfung ist die Gnmdlage des Begriffs der Seinsanalogie: mit Hilfe dieses Begriffes buchstabieren wir die göttliche Handschrift (sein Schöpfungswerk) rückwärts. Die Frage ist nun, ob wir im Kunstwerk eine andere, minder mühsame aber freilich auch minder klare Ent zifferungsart erblicken können — ein Hervor leuchten der sonst versteckten und nur dem geübten Auge sichtbaren göttlichen Spur, eine Überhöhung und Verklärimg des analogischen Welt-seins durch eine analogische Seinsart anderer imd, in gewissem Sinn, höherer Ord nung. Die beiden Fragen hängen aufs engste mit einander zusammen, schon deswegen, weil dem Kxmstwerk nicht das schlichte Dasein anderer Weltdinge zukommt. Es entspringt dem schöp ferischen Akt nicht, um dann als Bestehendes zu bleiben, sondern in der Weise einer Potentialität, als wieder und wieder zu erfüllende Forderung. Es fordert Re-aktualisierung im nachschaffenden Empfangen. Seine postnatale Geschichte ist eine diskontinuierliche Reihe von Selbsterneuerungen, erzeugt durch reproduk tive Berührungen mit dem vernehmenden Geist. Wir dürfen hinzufügen: mit dem genießenden Geist. Denn gegenüber der Verdüsterung und angestrengten Verquältheit, die die Physiogno mie des schöpferischen Menschen der Nach kriegszeit entstellen, ist daran festzuhalten, daß das Kimstwerk zur Freude geschaffen ist — zu einer Freude, die wohl als ein Nachhall der Schöpferlust zu betrachten ist: „Und siehe, es war sehr gut!" Freilich ist diese sogenannte ästhetische Lust nicht ein Teil des Kunstwerks. Aber ebenso wenig ist sie eine ihm äußerliche, von seinem Wesen abtrennbare Folge. Vielmehr verhält sie sich zu dem Werk (um einen von Aristoteles stammenden Vergleich zu benutzen) wie der Jugendzauber zu der Kraft des jugend lichen Leibes: sie ist die Krömmg und Blüte seiner vollkommenen Verwirklichimg, unent behrlich und doch durch keine die Mittel be rechnende Absicht hervorzubringen. Dem Werk meister geschenkt, wird sie uns durch das Werk neu geschenkt und bezeichnet so seine da imd dort aufleuchtende Lichtspur durch die Zeiten. Dies ist die Dauer, die der Künstler für sein Werk erhoffen kann — eine stets mit Ab reißen bedrohte Kette von Augenblicken. Ewigkeit ist dafür ein zu großes Wort. Aber doch ist in jedem dieser Augenblicke der Wiedergeburt die Zeit nidit nur imterbrochen, sondern in festlicher Gegenwart aufgehoben. So ergibt sich aus der Seinsart des Werkes, daß die Frage nach dem Schaffensvorgang und die Frage, die das Werk betrifft, ineinander ver woben sind. Soweit sie sich aber trennen las sen, wollen wir uns auf die zweite Frage be schränken. Wir fragen nach der Axt, wie sich die analogia entis — die Verweisung eines end lichen und kontingenten Seins auf ein ab solutes Sein — im Falle des Kunstwerks darstellt. In einem Brief vom Juli 1938 zitierte Max Beckmann: „Um das Unsichtbare zu erfassen, mußt du dich tiefer und tiefer in das Sichtbare vertiefen." Der Maler war von diesem Spruch der Kabbala ergriffen, er deutete ihn um und wandte ihn auf seine Kunst an. Wenn wir diese Umdeutung mitvollziehen, finden wir in ihm in der Tat eine Vorwegnahme der Einsicht, die dann von der deutschen idealistischen Ästhetik (der Ästhetik, die bis zum heutigen Tag das Denken über Kunst weitgehend be stimmt) in ihrer Weise ausgesprochen worden ist. So verstand Schelling die Schönheit als das Heraustreten des Realen in die Erscheinung, und die Philosophie der Kunst wurde von ihm konstituiert als „Wissenschaft des All in der Form öder Potenz der Kunst". Damit ist, nicht dem Wort aber dem Gedanken nach, die ana logische Beziehung des Kunstwerks zu Gott hergestellt. Denn Gott wird von Schelling ver standen als „unendlich Affirmierendes", das als solches das Wesen des „idealen All" ausmacht (Philos. d. Kunst. Werke. Jubiläumsdruch III 388, 400). 14

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