Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 3

Sein einziges selbständiges Bild, das dem Motiv nach etwas Religiöses enthielt, stellt jenes alte, gebrechliche Mütterchen dar, das die Per len eines Rosenkranzes zwischen den Fingern hält. Der außerordentliche Eindruck, den dieses Gemälde hervorbringt, rührt her aus dem para doxen Gegensatz zwischen äußerlicher Verfal lenheit imd Gebrechlichkeit der Dargestellten und der inneren Festigkeit und Unerschütter lichkeit des Bildaufbaues. In diesen Gegensatz ist hier der religiöse Ausdruck gelegt, weit ent fernt von den Psychologisches abbildenden Dar stellungen schwärmerischer Entrückung oder gefühlvollen Sichverströmens religiös erfüllter Wesen durch andere Maler. Es handelt sich hier eben nicht um ein Gemälde, das einen religiösen Vorgang veranschaulicht, so wie der Maler ihn in seinen äußeren Auswirkungen beobachtet und begreift, sondern um ein aus religiöser Ge sinnung, aus dem ringenden Glauben selbst her vorgebrachtes Werk. Und zwar war Cezannes religiöse Haltung, wie sie sich in seiner Kunst hier und anderwärts ausspricht, ihrem Wesen nach mystisch, begründet auf der Unterwerfung des selbstischen Willens und der Überwindung des Ich, sie war Demut, passive Hingabe in intensivster Anstrengung, das völlige Ausschal ten seiner eigenen Empfindungen, Gedanken und Ansprüche. Obwohl Cezanne diese Stufe der Gesinnung als etwa Dreißigjähriger erreicht hat, hinderte dies nicht, daß er bis in sein Alter hinein seine tiefsten inneren Nöte der Kirnst anvertraute, allerdings nicht mehr klagend oder anklagend, sondern grade im Prozesse ihrer Überwindung, in dem sein Ich sich von ihnen befreite. Das soll noch kurz an der Komposition der „Kartenspieler" erläutert werden. Es ist dies ein Motiv, das Cezanne fünfmal gemalt hat, wahrscheinlich in dem Zeitraum zwischen 1890 und 1899, und es geht zurück auf eine Zeich nung, die der Zwanzigjährige an seinen Freund Zola sandte, zusammen mit einem selbstver faßten Gedicht, das den Gegenstand erklärte. (Abb. 5.) Diese Zeichnung stellt eine Höllen szene, frei nach Dante, dar, in der der Kopf eines Menschen von einem Manne, seinen Kin dern und Enkeln verspeist werden soll, nach dem begleitenden Text eine drohende Anspie lung auf Cezannes Vater, der ihm nicht erlau ben wollte, Maler zu werden^). Cezanne hat, solange sein Vater lebte, unter dessen Lebens tüchtigkeit und seinen Erfolgen in der Welt ge litten und hat ihn, besonders weil er finanziell von ihm abhängig war, zugleich bewundert und gehaßt. Für die Einzelheiten vergleiche mein Buch „Die Kunst Cezannes", Prestel-Verlag, München, 1956. Etwa dreißig Jahre später griff Cezanne — aus einem nicht bekannten Anlaß — das Bild motiv wieder auf, imd es entstand die erste Fassung der „Kartenspieler" mit fünf Figuren (wie auf der rechten Hälfte der Zeichnung). (Abb. 6.) Sie war, ihrem inneren Sinne nach, dazu bestimmt, seinem ehemaligen Freunde Zola zu zeigen, daß er den Widerstand seines Vaters überwunden habe, daß er seiner Auf gabe treu geblieben sei imd nun seine Malerei ungehindert von äußeren und inneren Wider ständen, friedlich wie ein Kartenspiel, fortsetze. Um das zu verstehen, ist es notwendig zu wis sen, daß Cezanne im Jahre 1886 mit Zola gebro chen hatte, weil dieser in seinem Roman „L'Oeuvre" einen Maler, dessen Züge dem Cha rakter und der Erscheinung Cezannes nachge bildet waren, als einen in seiner Kunst Geschei terten geschildert hatte, dem nichts anderes übrig blieb, als Selbstmord zu begehen. Gegen diese ihn tief beleidigende Kritik protestierte Cezanne, da es ihm mit Worten nicht mehr mög lich war, später durch eine Reihe von Kunst werken. Er malte sie aber sicherlich auch, um seine problematischen Beziehungen zu seinem Vater seelisch zu Ende zu bringen und aufzu lösen. Da die Jugendzeichnung von dieser Feind schaft gehandelt hatte, griff Cezanne auf sie zurück; da aber inzwisdien die Beziehungen zu seinem Vater sich grundlegend geändert hat ten — der Vater hatte den Widerstand gegen Cezannes Malerei aufgegeben —, so mußte er den ursprünglichen Entwurf in vieler Hinsicht ändern. Und immer weitere Änderungen erwiesen sich ihm als notwendig, je länger er sich mit dem Problem beschäftigte. Auf Jahre hinaus ließ es ihn nicht los. Es erfolgte ein stufenweiser Pro zeß der Konzentrationund der Klärung. Auf die Fünffigurenfassung folgte eine Version mit vier Gestalten, in der das zuschauende Kind fehlt. Nach einer Zwischenzeit von mehreren Jahren, wahrscheinlich von 1896 ab, entstand die zweite Serie, drei Bilder, auf denen jeweils nur zwei Spieler dargestellt sind. Hingegebener noch als auf den früheren Bildern scheinen darauf die beiden in ihre Tätigkeit versunken, die, wie die feierliche Stimmung des Ganzen ankündigt, mehr ist als bloßes Kartenspiel, die Cezannes künstlerische Tätigkeit symbolisiert. Auf der Knabenzeichnung hatten Kinder und Enkel Ce zannes (zukünftige) Werke symbolisieren sollen, die ihr Vater, der junge Cezanne, mit dem Kopfe jenes Verbrechers füttern wollte, der sie zum Hungertode verurteilt hatte, in die Sprache des Alltagslebens übersetzt, der Cezanne das Geld verweigerte, diese Werke hervorzubringen. Auf dem letzten Bilde der Serie sehen wir den Vater, das ist den Maler, mit seinem Sohne in 12

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