Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 3

vernachlässigt werden. Denn diese drei Forde rungen erwiesen sich für Cezanne als von einander untrennbar, weil jegliches auf einem dieser drei Gebiete Erreichte sich als eine Stei gerung des auf den anderen Gebieten Erreich ten herausstellte. Erst dann enthüllte sich die von Cezanne erkannte Wahrheit vom Wesen der Welt, wenn die „musikalische" Bewältigung der Bildfläche im Rhythmus der Massen, in der Melodik der Verbindungsbahnen, in der Farbchromatik und -modulation gelang und zugleich das dargestellte Stück Welt vollplastisch in die Erscheinung trat. Der Grund aber dieser Untrennbarkeit lag darin, daß für Cezanne die Natur, die einzige von ihm anerkannte Lehr meisterin, die Hinweise auf das Vollbringen in allen drei Bereichen enthielt: die plastischen Formen der Einzeldinge (also die Erkenntnis des Raumes), die Mittel zu deren malerischer Bewältigung in den „musikalisch" interpretier baren Stufenfolgen ihrer Farb-„töne" (also die Beherrschung der Fläche) und auch Zweck imd Ziel, das sichtbare Gleichnis des „ewigen" Seins, das sich dem Blicke desjenigen ergibt, der in den Grenzen, den Umrissen der Objekte ihre Bindimgsstellen und in den Merkmalen ihrer räumlichen Abstände voneinander das sie aneinander Bindende schaut (also die Enthül lung der Wahrheit). (Abb. 1.) II. Die ungeheure Schwierigkeit der Aufgabe, die sich Cezanne stellte, hat zur Folge gehabt, daß er außerstande war, die Mehrzahl seiner Bilder zu vollenden. Er bezeichnete sie selbst als Studien, imd letzten Endes waren sie für ihn samt und sonders nur Studien für das eine monumentale Werk, das er zu schaffen wünschte, ein Werk, das würdig sein sollte, neben den Schöpfungen der großen Meister in den Museen zu hängen. Es sollte die vollkom menste Glückszeit seines Lebens, ja des Lebens überhaupt darstellen, ein Zeugnis des Geistes und der Seele, die alle irdische Schwere und Bedrängung überwunden haben und die zum Anschauen des ewigen Seins vorgedrungen sind. Dies waren die „Badenden", für die es zahllose Entwürfe, Einzelstudien und mehrere Bildfassimgen gibt, die aber ebenfalls unvoll endet geblieben sind. Die „Idee" dieses Bildes ging zurück auf Erinnerungen aus Cezannes Jugendtagen, die er mit seinen Kameraden badend, lesend, träumend, genießend am Ufer eines kleinen Flüßchens nahe seiner Heimat stadt Aix-en-Provence verbracht hatte. Viele Male versuchte er, das darzustellen, indem er Aktzeichnungen, die er sorgfältig aufgehoben hatte, immer aufs neue zu endgültigen künst lerischen Formen erhob und sie zu einer Kom position aus vielen Figuren zusammenstellte. (Abb. 2.) Während dieser Arbeit, als er älter und reifer wurde, entwickelte sich in seiner Phantasie ein zweites Bild ähnlicher Art, das allmählich in seinem Geiste die Vorherrschaft zu gewinnen begann. Statt der Männer waren darin badende Frauen dargestellt. Damit war im Sinne Ce zannes der Weg zu einer höheren Stufe der „Verwirklichung" erschlossen. Die Männer, von denen er selber einer gewesen war, blieben nach seiner bitteren Erfahrung noch in den Stunden des Glücksgenusses dem irdisch Schwe ren verhaftet. Wollte er nun ein Dasein wahr haft reinen und dauernden Glüd^es zur Darstel lung bringen, so eigneten sich dafür — für ihn, der alles andere als ein Frauenkenner war — die unbekannte, geheimnisvolle Natur des Weib lichen besser als Ausgangspunkt; nicht die schöne, verführerische, glückverheißende Ge stalt, sondern die schwere, in sich ruhevolle, mütterliche, der „dauernden" Erde tiefer ver bundene. (Abb. 3.) An der endgültigen Verwirklichung dieser Paradiesbilder ist Cezanne gescheitert, nieder gezogen von der „heillosen Zeit", in die er hineingeboren wurde. Aber mehrere Male ist es ihm doch gelungen, Studien bescheideneren Aus maßes zu vollenden. Diese erst geben uns den Maßstab für die Größe seiner Weltauffassung, für den Ernst, mit dem er seiner Kunst diente, für die Kraft seiner schöpferischen Phantasie. Die seinen geistigen Rang begründende Welt auffassung erweist sich bei einer genaueren Analyse von Cezannes Gesamtwerk als religiös mystisch, und sie kommt am ergreifendsten in dem Spätwerk der „Alten Frau mit dem Rosen kranz" zum Durchbrueh.(Abb. 4.) Cezanne war als Katholik geboren imd er zogen, wurde aber, sobald er erwachsen war, ein „eingefleischter Antiklerikaler", ohne jedoch je das Bewußtsein seiner transzendenten Natur zu verlieren. In seiner Vereinsamung hat er dann den Weg aus der hemmungslosen Selbst bejahung und der Empörung in die Demut, zur Annahme seines Schicksals gefunden und ist — als etwa Fünfzigjähriger — zu der Kirche, die er nun als seinen Schutz und Halt im Leben empfand, zurückgekehrt. Lange vorher aber schon hat er, ohne je religiöse Stoffe oder The mata zu behandeln, aus tiefer religiöser Ergrif fenheit gemalt, in allem Kreatürlichen das Ewige erkennend, und zwar aus einer allen Eigenwillens sich entäußernden Hingabe an seine Aufgabe und an die Dinge, deren Formen ihm als Maler zur malerischen „Entzifferung" ihres Wesens gegeben und aufgegeben waren. 11

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