Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 3

darstellen, einer zweidimensionalen Bildfiächengliederung von gewaltigem Rhythmus und unerschütterlicher Ordnung. Es war um das Jahr 1870, als der nunmehr über Dreißigjährige (geboren 1839) die Erleuch tung erfuhr, die seine Kirnst zu etwas „Wunder"barem in seinem Jahrhundert machen sollte. Nichts Tatsächliches ist darüber bekannt, kein besonderes Erlebnis oder Ereignis, nur die Werke zeigen es an. Sie aber verkünden es un zweideutig. Der Sturm legte sich, das Chaos wurde der Ordnung unterworfen, eine neue Weltsicht tat sich ihm auf. Das drückte sich aus in einer neuen Art gezügelter Tedmik, in einer neuen Farbigkeit und in neuer Formung, alles hervorgehend aus einer neuen Auffassimg von Welt und Leben, die darin begründet war, daß C^zanne die Empörung in sich überwunden hatte und bereit war, sein Schicksal als Ein samer, Unvollendeter, Unverstandener und Erfolgloser anzunehmen. In den Werken, die diese neue Einstellung nach der „Umkehr" zei gen, erreichte Cezanne die zweite, die meta physische Stufe seiner Symbolik. Ganz rein und abgeschlossen trat sie vielleicht zum ersten Male in jener Landschaft aus Auvers (an der Seine) hervor, die unter dem Na men „Das Haus des Gehängten" bekannt ist, gemalt 1872/73; in langer Arbeit entstanden und von Cezanne so hoch geschätzt, daß er sie noch in seinem Alter auf eine Ausstellung sandte. Der (von einem Kunsthändler erfun dene) Titel ist irreführend. Das Bild enthält nichts Unheimliches, sondern einfadi ein paar Dorfhäuser, eines davon mit moosbewachsenem Strohdach, und ein paar Bäume neben der Straße. Jedoch, ohne weiteres ist es klar, daß mit diesen geringen Alltagsdingen etwas Grö ßeres und Bedeutendes ausgesagt worden ist, eben jenes bleibende Sein, das sich als uner schütterlich, in unverrückbarer Festigkeit, schicksalslos unter dem Schein der vergäng lichen Dinge erhält. Charakteristischerweise gibt es auf diesem Gemälde, das eine Land schaft darstellt, kein atmendes Wesen, keinen Menschen und kein Tier. Selbst die Bäume sind fast ohne Laub, fast wie starr gewordene Ge rüste. Das bewegte Leben ist in der reinen Stille einer ewigen Gegenwart erloschen. Das ist nun ein gemeinsames Merkmal aller Land schaften Cezannes von diesem Zeitpunkt an, es wird zum Merkmale auch seiner Stilleben und seiner Menschendarstellung, und es rührt davon her und weist darauf hin, daß Cezanne, der diese Art Bilder immer vor der Natur malte, nur an dem seinen Blicken sich zeigenden Bleibenden interessiert war. Der Beobachtung von dessen Farben und Formen mit äußerster Selbstaufopferung hingegeben, hat er diese an geschaute „Idee" in seiner Malerei sichtbar zu machen gestrebt, auf der Suche nach dem ver hüllten Ewigen, nach dem der Zeit auf immer Entrückten. Von dieser Absicht geleitet schuf sich Ce zanne eine neue Technik; er bedeckte seine Leinwände mit vorsichtig und gelassenen, hin gesetzten Pinselstrichen, klein, punkt- oder kommaartig, oft geradezu mit pedantischer Akkuratesse, welche bestimmte Grundfarben der Dinge, hier z. B. das Ockergelb der Haus wände, das Moosgrün eines Daches, Erdfarbe und Himmelsblau in einer Unzahl zarter Nuancen abwandeln, „modulieren", wie Ce zanne dieses Verfahren selbst nannte, Nuancen, die sowohl in alle möglichen, den Grundfarben fremde Töne hinüberspielen als auch ins Hel lere und Dunklere übergehen. Durch dieses ununterbrochen über die ganze Bildfläche sich fortsetzende Farbenspiel, das an gewebte Tapis serien erinnert, werden gleichzeitig auch die plastischen Formen der Dinge wiedergegeben, ihre beleuchteten und beschatteten Teile, und es wird die konventionelle Trennung von Form und Farbe aufgehoben, während die Linienzüge als Mittel der Bildgestaltung verschwinden. Hatte Cezanne in den Bildern vom Anfang der siebziger Jahre auch bereits die Grundvorstellung gefunden, die er darstellen wollte, so war er damals doch noch weit entfernt davon, jenen Einblick in das Wesen der Welt mit einer ihn befriedigenden Klarheit und Intensität ver mitteln zu können. Die Formvorstellungen, mit denen er arbeitete, enthielten noch zuviel Kon ventionelles, die Dinge Vereinzelndes, nicht auf jenen Einblick hin Beobachtetes. Noch fünf unddreißig Jahre hat er sich deshalb haupt sächlich darum gemüht, die Einzelformen der Dinge aus jenen Zusammenhängen des Ganzen hervorgehen zu lassen, in denen die Wahrheit vom Zusammenstehen der Dinge zur Welt des bleibenden Seins aufleuchtet. In immer neuen Versuchen ist er zu Formen, Farbformidentitä ten gelangt, die mit höchster Klarheit, Prä gnanz und höchstem Reichtum seine Grundidee symbolisieren, dabei aber zugleich das Gegen ständliche der Dinge mit höchster Kraft ver wirklichen. Das erklärte Ziel seiner Kunst ist diese „Ver wirklichung" (realisation) gewesen, die sich ihm als eine ungeheuer schwierige Aufgabe erwies, schwierig schon deshalb, weil sie ohne irgend welches Vorbild unternommen werden mußte, schwieriger aber noch, weil es dabei darauf an kam, drei voneinander unabhängige Forderun gen zu verwirklichen: die Plastizität der Natur, eine vollkommene Gliederung und Belebung der Bildflächen und eine Darstellung des wah ren Wesens der Dinge. Keine von ihnen durfte 10

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