Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 3

Anschauung des Ganzen heraus die dargestellte Welt mit ihren Objekten zum Gleichnis eines Seins erhoben worden ist, das sich in seinem Bestehen unbewegt, unerschüttert und uner schütterlich, bleibend erhält. Cezanne hat in den rund 40 Jahren seiner künstlerischen Tätigkeit zwei Arten des male rischen Symbolismus entwickelt, zwei Stufen symbolischen Gestaltens erreicht. Auf der ersten, psychologischen, brachte er Werke her vor, die, gleichgültig was immer sie zum Ge genstande hatten, als Zeichen für die Leiden schaftlichkeit seines Temperaments anzusehen sind. Diese Art der Symbolik, obwohl er sie bis zu seinem Tode beibehielt, wurde überformt von einer zweiten, weltanschaulichen, in der die Dinge und ihre Art dazusein zur Sichtbarkeit kamen, derart, daß sie, über jede Individuation und über jedes Einzelschichsal hinaus, stell vertretend für ein Prinzip, für ein Uranfäng liches erscheinen. Noch heute gehören die frühesten Arbeiten, die von Cezanne erhalten sind, zum Erstaun lichsten, was je gemalt wurde. Es sind Länd schaften oder Figurenbilder, die einen unbe greiflichen Mangel an Talent für die Wieder gabe von Wirklichkeitsformen zeigen, eine Un fähigkeit, das erkenntlich zu machen, was jedem kleinen Malschüler leicht fällt. Sie sind voll von Verzeichnungen, von Entstellungen des Natürlichen, von beinahe unkenntlichen Ge bilden, jedoch nicht etwa abstrakte Form zusammenstellungen, sondern eindeutig mit der Absicht gemalt, Stücke der Natur Wirklichkeit wiederzugeben. Diese kleinen Monstrositäten besitzen jedoch ganz eindeutig den Charakter von Kunstwerken, etwas rohen vielleicht, je doch sehr kraftvollen; sie besitzen auch klar sichtbare Formen, die zusammen mit den Far ben das Ganze tragen, ein Ganzes ausmachen. Es wäre falsch zu sagen, daß sie Ausdruck be säßen, psychischen Gehalt anstelle der man gelnden Schönheit. Im Gegenteil, auch ihr Ge halt hat nichts Sprechendes noch Ansprechen des, nichts Erregtes oder Pathetisches sondern wird ausgemacht von einer großen Intensität des Vorhandenseins, des Bestehens der Dinge, die aneinander festgebannt, in eine gewaltsam gesteigerte Wirklichkeit ragen, indem sie diese Wirklichkeit aus sich hervorbringen. So begann der Symbolismus in der Malerei Cezannes; und diese zeigte sich von Anböginn dadurch bestimmt, daß sie Wiedergabe von Wirklichem erst auf dem Umwege über die symbolische Bedeutung und die von deren Dar stellung erforderten Form- und Farbgebung anstrebte. Ihr Urelement war der selbständige Farbfleck, der auf den Sinn des Ganzeh hin gewählt und gesetzt wurde, im Gegensatz zu aller sonstigen gegenständlichen Malerei, die von der Nachahmung von etwas Wirklichem ausgeht, mag sie auch dieses Wirkliche selbst auf die ungewöhnlichste, subjektiv freieste Weise entstellen. In diesen frühesten Werken ging es Cezanne darum, seine eigene Existenz mit ihrer uner bittlichen Forderung, Kunstwerke zu schaffen, gegen die Übermacht der materialistisch ver standenen Wirklichkeit und den Bestand tra ditionsgemäß aufgefaßter Formen durchzuset zen. Sehr bald aber ging er dazu über, zu malen, um seiner Leidenschaftlichkeit Ausdruck zu geben. — Ein Südfranzose, halb italienischer Abkunft, phantasiebegabt und bedrängt von zeugender Gewalt, dabei schüchtern, ehrgeizig und durchaus nicht frei von Neid, litt er am Widerstreit seiner Träume mit der Realität, die zu meistern er außerstande war. Er sehnte sich nach Liebe, Freundschaft, Meisterschaft und Erfolg und erlebte die tiefste Einsamkeit, ein fortwährendes Scheitern und die demütigendste Erfolglosigkeit. Die Gefühle, die ihn überwäl tigten, malten sich in seinen Bildern. Diese wirken, als ob nicht mehr ein Mensch, der seine Empflndungen durch Vernunft zu zügeln im stande ist, sie geschaffen hätte, sondern als führten diese Empflndungen selbst, dunkle, anonyme, schrankenlose Mächte den Pinsel, der in leidenschaftlicher Zuchtlosigkeit mit düste ren Farben und verkrampften Bewegungen arbeitet. Diese Leidenschaften erspähten sich oft wüste, grausame, grauenhafte Motive bald durch eine von ihnen selbst genährte Phantasie, bald mit Hilfe der Literatur; so z. B. die Ver suchung des Heiligen Antonius, die Cezanne wieder und wieder zu gestalten unternahm. Schlimmer noch und noch bezeichnender, diese Leidenschaften vergriffen sich an der Umwelt des Malers, an den Gestalten seines Vaters, seiner Freunde, ja selbst an der Landschaft seiner Heimat. Sie vergifteten seinen Blick, entstellten die vertrauten Formen und zwangen den Verdüsterten, statt der Pinsel, mit denen die Farben immerhin sorgfältig gemischt und bedachtsam aufgetragen werden müssen, ein Palettmesser zu verwenden, den breiten Spach tel, mit dem er fette Farbmassen auf die Lein wände schmierte und quetschte. Doch auch in diesen Werken berserkerhafter, barbarischer Wildheit vergaß Cezanne sein künstlerisches Ziel nicht; auch diese Bilder besitzen eindeutig, streng und dabei leuchtend, den Charakter von Kunstwerken, eine neue Wahrheit enthüllende Poesie; ihre Farbmaterie ist von bezaubernder Kostbarkeit, oft juwelengleich, reich und feu rig; ihre groß zusammengefaßten Formen imterwerfen das Dreidimensional-Wirkliche, das sie

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