INHALT Titelbild: Inneres der Herz-Jesu-Klosterkirche in München, Entwurf Alexander Freiherr von Branco und Herbert Groethuysen. Photo Münster-Archiv. CHRISTUS UND DER ALTAR Dr. Heinrich Kohlefeld ... DAS SYMBOLISCHE IN DER KUNST CeZANNES Dr. Kurt Bodt DIE ANALOGIE DES SEINS IM KUNSTWERK Prof. Helmut Kuhn 13 PHYSIOGNOMIK DES KÜNSTLE RISCHEN AUSDRUCKS Prof. Dr. August Vetter 19 DAS SYMBOL DER CHRISTLICHEN KUNST Doz. DDr. Gerhard Egger 23 DAS FORUM; BERNARD BÜFFET Curt Grützmacher 24 Zum Inhalt: Dieses Heft setzt die Diskussion um Probleme der sakra len Kunst fort, die in den Heften 3/1955 und 1/1957 er öffnet wurde. Der Artikel „Christus und der Altar" be schäftigt sich ausführlich mit einem Gegenstand, auf den Dr. Heinrich Kahlefeld bereits auf der Puchberger Künstlertagung kurz eingegangen war. — Die Beiträge von Prof. Helmut Kuhn, Prof. August Vetter und Dozent Egger sind Ausarbeitungen von Referaten, die auf der diesjährigen österreichischen Künstlertagung in Schlier bach gehalten wurden. Sie beleuchten vom Philoso phischen, Psychologischen und Kunsthistorischen her dos gestellte Thema: „Symbol und künstlerischer Schaffens vorgang". Das Heft wurde von Dr. Günter Rombold (München) redigiert. KRITIK Peter Metz, Der Echternacher Codex (Prof. Walter Otto) 26 EINZELPREIS DES HEFTES: 12,50 SCHILLING BUCHBESPRECHUNGEN 27 CHRISTLICHE KUNSTBLÄTTER, Eigentümer, Verleger und Herausgeber; Diözesan-Kunsfverein, Linz a. d. D., Herrensfralje 19. Schrlffleifer: Pro fessor Dr. Norberf Miko, Linz, Pefrinum. — Für die Diözese Sl. Pölten: Prälat Dr. K. B. Frank, St. Pölten, Domplatz 1. — Der Jahrgang besteht aus 4 Heften. Bezugspreis für den ganzen Jahrgang: 50 S. Postscheck konto Wien 26.090; für das deutsche Bundesgebiet 10 DM, PostscheckamtMünchen, Konto Nr. 120.088; für das übrige Ausland 2 SDruck: Jos. Feichtingers Erben, Linz. - Klischees: Kühler & Co., KG., Linz.
Dr. Heinrich Kahlefeid (München) Christus und der Altar Die folgende Überlegung hält sich im Bereidi der Theologie. Sie verzichtet darauf, bei den Fragen, die unsere Architekten, Bildhauer und Maler heute wieder in ähnlicher Weise wie in den zwanziger Jahren bewegen, „mitzureden". Aber sie sagt das Ihre. Der Gottesdienst der Kirdie ist ja ihre Sache, und er ist es nicht nur in seinem innersten dogmatischen Kernbestand, sondern in allen seinen wesentlichen Akten. Sie hat die Quellen zur Verfügung, um die Vor gänge nidit nur nach Ausgangspunkt, Bewe gungsverlauf, Verdichtungsstellen und Aus strahlung zu beschreiben, sondern sie auf ihren Gnadencharakter hin zu interpretieren. Sie hat die Kompetenz, etwa die Stelle des Altares imd eine sachgerechte Aufstellung der Gemeinde zu erörtern; sie ist sogar imstande, so etwas wie den „Ort Christi" im Raum der Versammlung, wie immer er architektonisch geartet sei, anzu deuten. Gewiß kann ein Architekt mit gutem Recht überzeugt sein, er wisse, wie eine Kirche zu bauen sei; bei genauerem Zusehen zeigt sidi aber, daß er es zu einem guten Teil deshalb weiß, weil er als Christ teilhat am theologischen Denken. Ein Zweites ist zu beachten: Die heilige Über lieferung bindet nicht nur den Theologen; auch der Architekt, der Maler und der Bildhauer ist durch sie verpflichtet. Zu fragen ist aber, was die verbindliche Überlieferung sei. Man ver wechselt leicht das Herkommen, den Brauch, die Stilprägung, mit dem, was die Kirche Überlieferimg nennt. Wir sollten den Mut haben, bei allem schuldigen Respekt vor den Doku menten einer 1500jährigen Bau- xmd Kunstge schichte nach dem zu fragen, was imter allen Prägimgen der großen Epochen her als Über lieferungsstrom durch die Jahrhunderte läuft. Es könnte nützlich sein, noch vor die Zeit der ersten markanten Prägung, nämlich die der konstantinischen Basilika, zurückzugehen und zu fragen, was seit der Apostelzeit als wesent liches Gut mitgetragen worden ist. Nicht daß wir selber auf architektonische und bildnerische Prägimg verzichten sollten, aber wir müssen eine solche so gründlich wie möglich ansetzen, müssen also das wesentliche Überlieferungsgut selber in den Blick bekommen. Wahrscheinlich entsteht so allein die Möglichkeit, in einem lan gen und geduldigen Prozeß einen unserer heu tigen bildnerischen Sprache angemessenen Stil zu flnden. 1. Klar steht im Bewußtsein der Gläubigen, daß ihr Gottesdienst in Christus seine !^itte hat. Aber wohin wendet sich der Blick, wenn er sich auf Christus sammeln will? Genügt es zu sagen, er binde sich an die sakramentalen Grestalten von Brot und Wein? Wohin redet die Kirche, wenn sie zu Beginn der Feier die eindringlichen Rufe erhebt: „Herr, Christus, erbarme Dich!"? Das ist die Frage nach dem Ort des lebendigen Christus. Wir hören zunächst ein Beispiel aus der frühesten Verkündigung, wie sie uns die Apostel geschichtein den Reden des hl. Petrus, des Stephanus und des Paulus überliefert. „Wir sind Zeugen", sagen die Apostel, „von allem, was Jesus getan im Lande der Judäer und in Jerusalem, Er, den sie dann am Holze aufgehängt imd getötet haben. Diesen hat Gott erweckt am dritten Tage imd Ihm verliehen, daß Er erscheine, nicht dem ganzen Volke, sondern den zuvor von Gott erwählten Zeugen, uns, als welche wir mit Ihm zusammen gegessen und ge trunken haben, nachdem !Er von den Toten auferstanden war . . . Dieser ist von Gott gesetzt zum Richter der Lebendigen und der Toten." (10, 39—42.) Die Apostel bezeugen also, was mit Jesus ge schehen ist, wie die Menschen mit Ihm ver fahren sind und was darauf Gott mit Ihm getan hat. Er hat den Hingerichteten aus dem Toten reich ins Leben zurückgerufen und hat Ihn ent rückt in die eigene Sphäre. Von dorther läßt Er Ihn den erwählten Zeugen sichtbar werden, läßt Ihn aufs neue die Gemeinschaft des Mahles mit ihnen schließen und macht sie gewiß, daß dieser ihr Meister, wie Er in den Worten vom „Menschensohn" es angekündigt hatte, einst als Weltenrichter kommen werde. Die Evangelien treten mit einer Reihe von Berichten über Begegnungen mit dem Auf erstandenen diesem Zeugnis der Apostel bei. Sie bekunden nicht nur die Tatsache der Auferweckung Jesu, sondern zeigen zugleich, was sie für Ihn und für die Jünger bedeutet. 1. Jesus ist lebendig in der vollmenschlichen Wesenheit. Die Male der Wunden erweisen die Selbigkeit des Leibes. Die leibhaftige Erschei nung schließt ein, daß das Grab leer ist. 2. Jesus war durch Seinen Tod dem Greschichtsprozeß entzogen worden. Handeln konnte man nur noch an Seinem Leibe, und 1
von diesem Handeln waren durch die Fügung des Vaters die Feinde ausgeschlossen. — Durch die Auferweckung ist Jesus vollends von der Erde entrückt. Er befindet sich im Zustand der eschatologisdien Vollendung und steht in der Sphäre Gottes. 3. Aus der Sphäre Gottes tritt der Vollendete in den Kreis der Jünger. Er taucht in ihrer Mitte auf und entschwindet, und ist durch kei nen Ort gebunden. 4. Der Vollendete ist nicht mehr wie in der geschichtlichen Existenz Objekt der mensch lichen Erkenntnis noch des Handelns. Er ist reines Subjekt der Begegnung: Er tritt an die „vorerwählten Zeugen" heran, und kein anderer sonst erfährt Seine Gegenwart. Aber auch vor den Jüngern ist Ihm die Selbstoffenbarimg vor behalten: Keiner erkennt Ihn bis zu dem Augen blick, wo Er in Freiheit sich zu erkennen gibt in der beziehungstiftenden Anrede (Maria Magda lena, Petrus bei Tiberias) und im gemeinschaft stiftenden Akt des Brotbrechens (Emmaus). 5. Die Glorie des Vollendeten ist verhüllt; Seine Erscheinungsweise ist dem Stand der Jün ger angeglichen. Anscheinend ist alles darauf angelegt, sie nicht zu schrecken, sondern ihren Glauben zu ermutigen. 6. Der Auferstandene wendet den Jüngern Seine Sorge zu. Er überwindet ihre Zweifel und löst ihnen das scheinb^e Ärgernis Seines Todes. 7. Die letzte Begegnung schließt damit ab, daß der Herr zum Himmel hin entschwindet. Das aufschließende Wort sagt, Er werde ebenso am Ende kommen, wie Er nun zum Himmel aufgefahren sei. Damit ist den Jüngern gezeigt, wo sie den Entrückten von nun an zu suchen haben. — Wir hören noch einmal die Osterbotschaft der Apostel: „Diesen Jesus hat Gott auferstehen ge macht, wovon wir alle Zeugen sind. Er höht also zur Rechten Gottes, hat Er den verheißenen Heiligen Geist vom Vater empfangen und Ihn ausgegossen, wie ihr es seht und hört. Denn David ist nicht aufgestiegen zu den Himmeln, imd doch sagt er: ,Es sprach Jahwe zu meinem Herrn: Setze Dich zu Meiner Rechten, bis daß Ich Deine Feinde zum Schemel Deiner Füße mache.* So erkenne also das ganze Haus Israel mit Sicherheit, daß Ihn Gott zum Herrn und Gesalbten gemacht, diesen Jesus, welchen ihr gekreuzigt habt." (AG. 2, 32—36.) Die Auferwechung Jesu, Seine Entrüchung zu Gott, Seine Einsetzung in die volle Macht des Messias, Seine Anwartschaft auf den letzten Triumph über Seine Feinde, das alles steht also ineinander, und dieses Ganze meint das Wort von der „Erhöhtmg" des Gekreuzigten. Damit ist der „Ort" Christi erkannt. Der Herr ist lebendig unci als Lebendiger allen Gene rationen Seiner Jünger „gleichzeitig". .Wenn sie von Ihm reden und zu Ihm rufen, geht ihr Blick nicht rüchwärts in ein vergan genes Damals, sondern aufwärts zu Gott dem Vater hin; denn dort, zur Rechten des Vaters, ist Er. Alles, was mit Ihm und durch Ihn ge schehen ist, trägt Er vollendet bei sich. Darum sind die Berichte der Evangelien und der apo stolischen Zeugen nicht nur Mitteilung über das, was sich im irdischen Wandel Jesu begeben hat, sondern zugleich Verkündigung dessen, was ist und bis zum Jüngsten Tag mit formender Kraft in die Kirche einwirkt. Die Erhöhung Jesu schwächt Seine Beziehung zur Gemeinde der Jünger nicht ab, sondern vertieft und vollendet sie (vgl. Job. 16, 5ff). Daß Jesus mm in der Glorie des Vaters „Herr und Messias" geworden ist, besagt, daß Er in einer Wirkmacht, die in Seinem irdischen Wandel noch verhüllt war, das messianische Volk, die Kirche Gottes, lenkt, belebt imd mit der Kraft des Heiligen Geistes erfüllt und durch sie um das Heil der Völker ringt. Vollendung dieses durch die Zeiten hindurchgehenden Wirkens ist dann Sein Hervortreten als „Menschensohn" am Jüngsten Tage. Die Apostelverkündigung bringt das zunächst dadurch zum Ausdruck, daß sie die Ausgießung des pfingstlichen Geistes als Werk des erhöhten Jesus verkündigt: „Zur Rechten Gottes erhöht, hat Er den verheißenen Heiligen Geist vom Vater empfangen imd Ihn ausgegossen, wie ihr's gesehen und gehört habt." (AG. 2, 33.) Das Gleiche tritt zutage, wo von der wirken den Macht des „Namens" Jesu geredet wird. Nach der Heilung des Gelähmten werden Petrus und Johannes vor Gericht gefragt: „Durch welche Kraft oder durch welchen Namen habt ihr das getan?" und Petrus antwortet „voll des Heiligen Geistes": „. . . es möge euch allen und dem ganzen Volke Israel kund sein, daß kraft des Na mens Jesu Christi, den ihr gekreuzigt und den Gott von den Toten erweckt hat, dieser Mensch gesund vor euch steht.** Petrus fährt fort: „Und in keinem anderen liegt das Heil. Es ist ja kein anderer Name unter dem Himmel, der den Menschen gegeben wäre, durch welchen wir gerettet werden sollten." (AG. 4, 8—12.)
Dieses Wissen von der Lebendigkeit und wir kenden Nähe des pneumatisch mächtig gewor denen Herrn ist bei Paulus weit ausgestaltet. Paulus hat, geleitet von der fundamentalen Er kenntnis, die ihm vor Damaskus zuteil gewor den ist, die Wirkimgen des Geistes als das Werk des erhöhten Christus erkannt. Dort, wo er dem ersten Menschheitshaupte, Adam, dem von der Erde stammenden, der nur ein irdisches Lebeii weiterzugeben vermochte, den vom Himmel stammenden anderen Adam gegenüberstelli:, formuliert er den Satz: „Der letzte Adam ward zum lebenspendenden Geist" (1. Kor. 15, 45). Er also, der himmlische Menschensohn, teilt an dis Ihm Zugehörigen das unsterbliche, pneumatische Leben mit. Darum wird an anderer Stelle der Geist als „das Pneuma des Kyrios" bezeichnel:, und es wird sogar der Satz gewagt: „der Kyrios ist das Pneuma" (2. Kor. 3, 17). Das Gleiche zeigt sich dort, wo Paulus von den besonderen Gnadengaben redet, die sich iii der Gemeinde zeigen (1. Kor. 12, 4—11): Es han delt sich lun geistgewirkte Fähigkeiten, wie die Rede, die göttliche Geheimnisse aufschließt (v. 8), die Kraft der Wunder imd Heilungen (v. 9), die unterscheidende Erkenntnis der geist gewirkten Vorgänge (v. 10) u. a. Was Paulus sagen will, ist dieses: So verschieden die Gaben in den Einzelnen erscheinen, so gehen sie dodi aus einer einzigen Quelle hervor: „Alles das wirkt der eine und selbige Geist" (v. 11). Nmi steht aber hinter dem Pneuma der Kyrios; darum kann ebensogut gesagt werden: „Es gibt unterschiedliche Dienste, aber es ist der eine Kyrios" (v. 5). Aber hinter dem Kyrios steht „Gott, der alles in allen bewirkt". So hat Chri stus sozusagen die mittlere Stelle in einer Auf reihung, nicht wie im Trinitätsgeheimnis neben einander, sondern in gestaffelter Tiefe hinter einander. Gott wirkt das Ganze; aber Gottes Wirkorgan ist der Kyrios, und dessen Wirk organ im Bereich der Kirche ist wiederum das Pneuma. Daß Paulus so denkt, zeigt sich in der Fort führung seiner Rede an derselben Stelle: So gleich entwickelt er den Gedanken des Leibes Christi, in dem alle Getauften durdi den eineii Heiligen Geist zusammengeschlossen und Chri stus zu eigen geworden sind (12, 12—31). Der erhöhte Herr — das ist die große Einsicht des Apostels in das Geheimnis der Kirche — hat i:i ihr den Bereich Seiner uneingeschränktenMacht und Herrsdiaft, in welchem Seine Bewegunge i und Wirkungsansätze sich auch über die Träg heit und Plumpheit des „Fleisches" hin schließ lich durchsetzen. Ein riesiger, pneumatischer Organismxis steht unter der Lenkimg des „Er lösers Seines Leibes" (Eph. 5, 23); er wird i:i immer neuen Lebensstößen durch Ihn belebt imd genährt imd zum Wachstum gebracht — er ist das Gottesgeheimnis inmitten der Menschen welt und des Kosmos. Die Bildaussage des Paulus über den pneu matischen Organismus wäre mißverstanden und ihre Ebene verfehlt, wenn nicht all diese Beziehimgen zwischen Christus und den Gliedern des Leibes und der Glieder untereinander per sonal gesehen wären. Paulus selbst ist in sein Christus-Verhältnis durch die befreiende Be gegnung von Damaskus gekommen, darum denkt er, wenn er im Galaterbrief sagt: „Aber nicht mehr ich lebe, es lebt Christus in mir" (2, 20), nicht an ein Erlöschen seiner personalen Eigenständigkeit imter einer entpersönlichen den Übermacht, sondern umgekehrt an die Schaffung der personalen Freiheit im per sonalen Aufgehobensein. Die Macht Christi wirkt in ihm in Gestalt des Pneuma, d. h. des belebenden Hauches, und von ihr sagt Paulus, wieder auf Grund von Erfahrung: „Wo das Pneuma des Kyrios ist, dort ist Freiheit" (2. Kor. 3, 17). Es ist nicht etwas anderes, son dern eben die völlige Aufgehobenheit in der Personssphäre des Herrn, wenn Paulus sagt, in ihm spreche Christus, sobald er als Apostel spricht (2. Kor. 13, 3). Die Eingliederung in den pneumatischen Organismus hebt ja auch den Austausch im Gebet zu Christus nicht auf: „Dreimal habe ich den Kyrios gebeten, daß der Satansbote, der mich ins Gesicht schlägt, von mir abstehe, aber Er hat mir gesagt: ,Meine Gnade ist dir genug*" (2. Kor. 12, 7). Es ist das Gleiche, als wenn Stephanus „den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehn** sieht und Ihm sein Leben in die Hände gibt: „Kyrios Jesus, nimm hin meinen Geist!** (AG. 7, 56). 4. Die Erhöhung Jesu hat das Verhältnis der Jünger zu Ihm in einen Raum gespannt, der von der Erde bis in den Himmel reicht. Zum Thron Gottes schauen sie auf, wenn sie „Ihm ein Kult lied singen als einem Gott** (Plinius), wenn sie nach Seiner Ankunft verlangend rufen: „Maranatha**, wenn Stephanus Ihn „zur Rechten Gottes stehen** sieht, wenn Paulus sich bittend imd fragend an Ihn wendet. In diesem großen Raum steht der Lebensaustausch zwischen Chri stus dem „Haupt** und Seinem „Leib". Vom himmlischen Haupte her wird das Ganze durch wirkt bis ins letzte Glied (Kol. 2, 19), und ver möge der Zugehörigkeit zum himmlischen Haupte sind die Getauften „in Ihm" bereits der himmlischen Thronsitze mit-teilhaftig geworden (Eph. 2, 6).
Aber in diesem „großräumigen" Verhältnis zwischen Christus und den Jüngern geht doch das alte Wissen von einer umschriebenen Gegenwärtigkeit Jesu nicht verloren. Sie bleibt dort wirksam, wo es eine berufende, haltende und bekundende „Gestalt" Seiner Anwesenheit und Seines Handelns gibt. Eine solche ist be reits mit der Versammlung der Jünger gegeben. Denn Jesus hat in der Klarheit über Seinen nahen Tod imd Seine Erhöhung den Jüngern eine Verheißung gegeben. Die Absicht jenes Wortes war, zu sagen, was es vor Gott bedeute, wenn die Jünger sich brüderlich versammeln. Was sie dann erbitten, wird ihnen gewährt. Und nun der Grimd: Sobald sie sich „auf Seinen Namen", d. h. als Seine Kirche, versammeln, tritt Er mitten unter sie, und um Seinetwillen werden sie erhört (Mt. 18, 19—20). Auch das Abschiedswort Mt. 28, 20 ist offenbar so ge meint, denn es tröstet die Jünger über das Ende der Vierzig Tage mit der Verheißung: „Seht, Ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung der Weltenzeit." Es ist also nicht nur verheißen, der Herr werde in ebensolcher Weise, wie Er den Augen der Jünger entzogen wurde, am Tag der Wiederkunft aufs neue sichtbar werden; es ist darüber hinaus gesagt, auch in der Zeit Seiner Entrückung werde Jesus sich den Sei nigen gewähren, sofern sie sich nur in brüder lichem Sinn versammeln. Im Unterschied zum enthüllten Kommen am Jüngsten Tage ist solche Gegenwärtigkeit nicht mit Augen zu sehen, aber sie ist im Glaubenerkannt (vgl. Joh. 20, 29). Solche „berufende" Gestalt ist femer das Bru dermahl der Getauften. Hier verdichtet sich offenbar das Bewußtsein von der Nähe des Herrn. Darauf mag die Bemerkung der Apostel geschichte deuten, die Jünger hätten ihr täg liches gemeinsames Sättigungsmahl „mit Jubel und in Herzenseinfalt" miteinander gehalten (AG. 2, 46). Der Jubel geht wohl zunächst aus der Erkenntnis hervor, daß im irdischen Mahl der Jünger das himmlische der Vollendung vor gebildet und vorausgenommen wird. Aber ge rade dadurch wird es zur Brücke zwischen den Mählern, die der Meister in Seiner Erdenzeit mit den Seinen gehalten hat, imd dem künftigen, bei dem Er „aufs neue mit ihnen vom Gewächs des Weinstodes trinken" wird (Luk. 22, 16). So läßt sich weiter vermuten, daß hier die Erfahrung der Vierzig Tage fortwirkt: Der Auferstandene hatte durch das gemeinsame Mahl die Gemein schaft mit den Seinen neu geknüpft; nun liegt es nah, das Mahl, als das intensivste Zeichen des Zusammenschlusses auch als die Gewähr für die Gegenwart des Herrn zu erkennen und in jubelnder Freude und lauterer Bruderliebe der gnadenvollen Gegenwart zu entsprechen. Ähnlich haben offenbar die Paulus-Gemein den gedacht. Wenn das Mahl in seiner höchsten Form, nämlich mit den gestifteten, sakramen talen Handlungen des Abschiedsabends, began gen wird, dann nennt man es — das setzt Pau lus als bekannt voraus — das „Herrnmahl" (1. Kor. 11, 20). Der Name weist auf die Her kunft aus dem Abschiedsmahle Jesu hin, aber er besagt wohl auch, daß bei diesem Mahle der Kyrios präsidiert. Er hat Seine Jünger zu Gast; sie sind am „Tisch des Kyrios" (1. Kor. 10, 21). An ihm trinkt man den „Becher des Kyrios" (v. 21), durch den man „Anteil hat am Blute des Christus" (v. 16). Damit ist man eine persönliche Treueverpflichtung eingegangen und kann nun nicht mehr nebenher in den Tempeln der Götter essen und somit „am Tisch der Dämo nen teilhaben". So etwas würde bedeuten, „den Kyrios zur Eifersucht reizen" zu wollen, und Paulus fragt: „Sind wir denn etwa stärker als Er?" (v. 22). — So personhaft ist die Gegen wart Christi beim Herrnmahl gesehen. (Ähnliches würde eine Untersuchung der Johannes-Schriften zeigen.) In all dem tritt die Wirksamkeit Christi stark hervor, und es liegt nah, zu fragen, ob da nicht eine „Christozentrik" entwickelt werde, die Gott den Vater aus dem Blick zu verlieren drohe. Die Frage kann aus der Schrift beant wortet werden, und die Antwort klärt und be festigt die gewonnenen Erkenntnisse. Man bedenke die folgenden Sätze aus den Paxüus-Briefen: „Als die Zeit voll war, sandte Gott Seinen Sohn, vom Weibe geboren und unter das Gesetz getan, auf daß Er die loskaufe, die unter dem Gesetze waren." (Gal. 4, 4.) „All das kommt von Gott, der uns mit sich durch Christus versöhnt." (2. Kor. 5, 18—20.) „Darin erweist Gott Seine Liebe gegen uns, daß . . . Christus für uns starb." (Röm. 5, 8.) „Alles gehört euch, ihr aber gehört Christus, Christus aber gehört Gott." (l.Kor.3, 23.) „Eines jeden Mannes Haupt ist Chri stus, Christi Haupt aber ist Gott." (1. Kor. 11, 3.) Diese Sätze machen klar, daß Gott der Wir ker (der Erlösung ist. Gewiß ist Jesus Erlöser, aber durch Ihn und an Ihm führt Gott Seinen Erlösungsplan und -ratschluß durch. Ebenso ist nicht die Verherrlichung Jesu, sondern die Ehre Gottes Ziel und Ende des Heilsgeschehens:
„Darum hat Ihn (den Gekreuzigten) Gott über alles erhöht und Ihm den Namen ge geben, der über allen Namen ist, auf daß sich beugen die Knie aller auf Erden, im Himmel und in der Unterwelt, und jede Zunge preisend bekenne; Herr Jesus Chri stus! — zum Ruhme Gottes des Vaters." (Phil. 2, 9—11.) Innerhalb dieses umfassenden Zusammen hangs tritt nun aber Christus als Gottes Reprä sentant und Wirkorgan kräftig hervor. Die Sen dung des Sohnes in die Welt, von der das Wort aus dem Galaterbrief sprach, schafft eine zuvor nicht gewesene Lage zwischen Gott und der Menschheit. Schon immer hatte Er durch Sein bewegendes Wort und durch machtvolle Taten inmitten Israels ein geschichtliches Werk getan. Indessen, Er hatte dadurch im Geschichtsraum gewirkt, daß Er Menschen erwählte und zu innergeschichtlichen Trägern Seines Willens machte. Nim aber hat Er etwas Neues getan; Er ist selber im Geschichtsraum aufgetreten: „Er hat Seinen Sohn abgesandt, vom Weibe ge boren und unter das Gesetz getan" (Gal. 4, 4). Das Gleiche ist im Vierten Evangelium so aus gedrückt: „Der Einzige vom Vater" (1, 14), der bei Gott war und die Glorie Gottes zu eigen hatte, längst ehe die Welt wurde (17, 5), „ist Fleisch geworden" (1, 14). Von da an tut Er als Logos, d. h. als Gottes wesenseiniges Wirkorgan, in den Geschichtsraum gestellt durch die Menschwerdung, in einer den Propheten nicht möglichen Unmittelbarkeit „die Werke Seines Vaters" (14, 10). Das gilt für die irdische Wirk samkeit Jesu, in welcher der alte Kampf der Propheten um Israel auf die Höhe der Entschei dung geführt wird, das gilt vor allem für die Passion, in welcher der Messias den königlichen Opfergang für Sein Volk tut; aber es gilt nicht •minder für die pneumatisch-mächtige und höchst lebendige Wirksamkeit des Erhöhten. Der zu Gott entrückte Jesus aber hat weiter hin eine aktive Funktion im Kampf um die Schöpfung. Seine messianische Kyriosstellung schließt ein, daß Ihm das Heil der Völker auf gegeben, Seine Ausstattung mit der pneumati schen Macht, daß Er zum heilwirkenden Kampf ausgerüstetist. Paulus hat das Außerordentliche dieser Funktion des Erhöhten offenbar deutlich empfunden. Denn er ist sich klar, daß am Ende des herrschenden Aion die gleichsam delegierte Vollmacht an den Vater zurückfällt. Dann bleibt Christus Mitte tmd Haupt der erlösten Mensch heit, als der Sohn, dem der König das Hoch zeitsmahl zugerüstet hat (Mt. 22, 2, vgl. Apk. 19, 7); aber der Kampf hat aufgehört, und der große Friede ist über die Schöpfung gekommen, und ohne Spannung und Widerstand ist nun wirklich, „Gott alles in allem". Paulus sagt: „Dann kommt das Ende: Wenn Er dem Gott und Vater die Herrschaft übergibt, wenn Er alle Herrschaft und alle Gewalt und Macht vernichtet hat. Denn Er muß königlich herrschen, bis daß Ihm (Gott) alle Feinde imter die Füße legt . . . Wenn aber alles Ihm unterworfen ist, dann wird auch Er, der Sohn, sich Dem unterwerfen, der Ihm alles imterworfen hat, auf daß Gott sei alles in allem." (1. Kor. 15, 24—28.) Nun erscheint die Gegenwärtigkeit Christi in der Versammlung der Jünger in einem neuen Licht. Die gleiche Großmut des Vaters, die den Sohn ins Fleisch gesandt hat, gewährt der hei ligen Kirche die helfende, stärkende, tröstende und rettende Nähe ihres Herrn dort, wo die Zeichen errichtet werden, die solche Gegenwär tigkeit aus Gnade zu „berufen", zu „halten" imd zu bekunden vermögen. Wie man von dieser personalen Nähe an schaulich redet, ist nicht entscheidend. Man kann an die Erfahrungen der Vierzig Tage anknüpfen und zugleich der Verheißung Jesu sich erinnern und sagen: „Er tritt in unsere Mitte." Man kann auch sagen: Er öffnet den Raum, und wir stehen vor Seinem himmlischen Thron. Wichtig ist nur, daß der Glaube an die „Gleichräumigkeit", an die personale Nähe und wirkende Zugewandtheit des Herrn, so wieErist, nicht verdünnt wird. Nur so können die kultischen Vorgänge im Gottesdienst der Kirche gewürdigt werden; nur so kommen Akte wie etwa das KyrieChriste-Rufen zu ihrer vollen Realität, nur so wird die Wortverkündigung als eine hier und jetzt ergehende, von drüben hereintretende An rede ernst genommen, nur so wird das eucharistische Geheimnis der feiernden Gemeinde zum überwältigenden Ereignis der Gnade. 6. Die Frage nach den „Orten" des Gottesdien stes verlangt eine weitere Überlegung. In der Versammlung der Gemeinde kommt ihre Verfassung zum Ausdruch. Von der Syna goge haben die Judenchristen die Einrichtung des „Presbyteriums", d. h. der Gemeindeführung durch die Gruppe der Ältesten, übernommen. Aber die Apostel haben ihre eigene Führungs vollmacht so sehr geistlich verstanden, daß eine reine Ordnungsautorität der Ältesten ihnen nicht genügen konnte. Sie haben, wie der Be richt der Apostelgeschichte besagt, aus der Gruppe der Würdigen einige erwählt und ihnen für den begrenzten Bereich der Einzelgemeinde oder einer Gruppe von (gemeinden von der eigenen Vollmacht mitgegeben. Dadurch sind die Erwählten zu Werkzeugen des himmlischen Hirten der Herde Gottes und die Funktion der
Ältesten, zu einem heiligen Amte geworden (vgl. AG. 14, 23; 20, 28). Wenn nach dem Weggang der Apostel die Gemeinden auf sich gestellt sind, erwählen die anerkannten Charismatiker, die sie für die Ge meindeführung für berufen halten, und diesen legen die Männer des „Presbyteriums" zur Über tragung der Vollmacht die Hände auf (1. Tim. 4, 14; 2. Tim. 1, 6). Von den so ermächtigten „Pres bytern" wird gesagt, daß es ihre Aufgabe ist, als „Vorsteher" die Gemeinde zu leiten und sich zu mühen mit dem Wort der Verkündigung und der Lehre (1. Tim. 5, 17). Weiter ergibt sich, daß jeweils einer aus dem Kreis des Presbyteriums als Haupt der Ver sammlung und als „Hausvater" des heiligen Mahles fungiert. Es ist jener Würdigste, der später von den übrigen Ältesten und Vorste hern abgehoben und allein „episcopos" genannt wird. Er ist umgeben von den Presbytern, die Gemeinde aber steht ihm gegenüber. Sie wird ja von ihm her angeredet, und zu ihm hin gibt sie Antwort. Wahrscheinlich ergab sich bei einem Rechteck-Grundriß als das Natürliche, vor allem, wo die Gemeinde nach der Sippen ordnung aufgestellt war — zuvorderst die Männerj dann die Jünglinge, dann die Frauen, die Mäddien, die Kinder und schließlich die Katediumenen —, daß das Presbyterium an eine der Schmalseiten des Raumes trat. So findet man in dem Haus von Duro-Europas am mittleren Euphrat, das zu Beginn des 3. Jahrhunderts erbaut ist, im südlichen Raum der Versamm lung, der einen Flächeninhalt von 13X5 m auf weist, an der östlichen Schmalwand noch die Stufe, auf der wahrscheinlich der Stuhl des Bi schofs gestanden hat. Aber, wie immer die Gemeinde sich in den Raum füge, die Wand über dem Bischof und den Presbytern erhält noch vor jeder architek tonischen oder malerischen Gestaltimg die Be deutsamkeit eines heiligen Ortes. Wenn die Pro pheten- und Apostellesung und das Evangelium vom Presbyterium her vorgetragen und durch die Homilie des Bischofs den Gläubigen erschlos sen wird, und wenn solches Sprechen als Dienst für den Kyrios verstanden wird, der Seine Ge meinde vor Seinem Angesicht versammelt hat, dann geht der Blick des Glaubens hinter und über den „Diener des Wortes" hinaus, und die Fläche über dem Presbyterium wird zur Er scheinungsstelle Christi. Was der Glaube auf seine Weise wahrnimmt, kann dann später ma lerisch nachgeschrieben werden, sei es im Zei chen, sei es im Bild. Aber das Thema ist vor gegeben: Es ist nicht Gott Vater, sondern der Sohn; nicht die göttliche Dreieinigkeit, sondern Jesus in der göttlichen Glorie; es ist nicht der Himmel schlechthin, sondern der Kyrios, der Von dorther zu den Seinen tritt. Verlangt ist also nicht ein erzählendes, zur Betrachtung ein ladendes, sondern ein verkündigendes, ansagen des, zu personaler Beziehung helfendes, Begeg nung stiftendes Bild. Es muß nicht sein, daß die Kontur der Gestalt oder das Angesicht des Herrn in Seiner Hoheit angedeutet werde; es könnte auch das Zeichen Christi, das pure Kreuz, aber im Glanz der Verklärung, Seine Gegen wart ansagen, so wie es dem Kaiser Konstantin widerfahren sein soll. Man könnte sich auch denken, daß „imgegenständlich" Hoheitsvolles, in der Bewegung des Hereindringens, ausgesagt wäre. Oder aber es bleibt die reine Fläche, und der Blick des Glaubens trifft dort auf Den, der in kein Bild zu fassen ist. Die Apostelgeschichte zeigt, daß bereits die Urgemeinde von Jerusalem in den Säulenhallen des Tempels einen Verkündigungs- imd Gebets gottesdienst gehalten hat, der auch für Ungetaufte offen war. Im Gegensatz dazu waren die Zusammenkünfte in den Häusern exklusiv. Das abendliche Brudermahl und vor allem das sa kramentale Mahl in der Nacht zum Herrntag war auf den Kreis der Jünger eingeschränkt. Sehr wahrscheinlich hatte das Herrnmahl noch die Struktur des Abschiedsmahles Jesu, d. h. die sakramentale Handlung mit dem Brot stand noch am Beginn des Essens und die Handlung mit dem Becher am Anfang des Symposions. Das Symposion des Weintrinkens bildet wohl den Rahmen für die Worte der Apostel, Prophe ten und Lehrer, so wie es nach dem IV. Evan gelium den Rahmen für die Abschiedsreden des Herrn bildet. Das große Mahl barg also in sich sowohl die sakramentale Eucharistie wie auch die Wortverkündigung imd das Gebet. Auch als in den Paulus-Gemeinden (1. Kor. 11) die beiden sakramentalen Handlungen aus dem Gefüge des Sättigungsmahles herausgenommen und im Sinn des Höhepunktes an den Schluß gesetzt waren, standen sie doch noch in der Gesamtgestalt des „Herrnmahls". Wahrscheinlich hat erst die Ver legung der Eucharistie auf den Morgen vollends die Ablösung vom Sättigungsmahl vollzogen. Das also stilisierte und konzentrierte Gebilde der Sakramentshandlungen steht aber weiter unter dem Begriff des Mahles. Denn ein Mahl findet sich überall dort, wo (a) mehrere am Tisch vereinigt sind, (b) der Würdigste im Kreise als Hausvater den Lobspruch über Speise und Trank im Namen aller spricht, und (c) gemein sam gegessen und getrunken wird. Mit dem Charakter des Mahles bleibt aber auch erhalten, was man die „Mahlaufstellung" nennen kann. Am Abschiedsabend hatte der
Herr Sein Liegepolster an der Schmalseite des langen, niederen Speisetisches. Zu Seiner Rech ten und Linken lagen, wenn wir dem IV. Evan gelium folgen, Johannes und Petrus. Die übri gen Apostel schlössen sich jeweils in Dreier gruppen, nach der Alterswürde geordnet, an den Langseiten des Tisches an. Hier bildet der Tisch die Mitte des Gesche hens. Ihn umschließt der Ring der Feiernden. Dessen Anfang und Ende liegt bei dem Haus vater, der im Namen aller den Lobspruch spricht. Der Lobspruch bezieht sich auf das Brot oder den Becher in seiner Hand über dem Tisch. Aber er steigt aus dem Ring um den Tisch nach oben auf zum „König des Himmels". Hier sind die primären sakramentalen Zeichenvorgänge, das Gebet Jesu über Brot und Wein und die aus ihm hervorgehenden Worte des Sakraments, die Austeilung imd das Essen und Trinken der hei ligen Speise, aufs engste verwoben mit den se kundären Momenten der Ordnung um den Tisch. Das Ganze bildet eine geschlossene Gestalt, die sich selbst interpretiert und keiner architek tonischen oder darstellerischen Hilfe — etwa durch eine Kuppel über dem Ort des Altars, die als Himmelsgewölbe verdeutlicht wäre — be darf. Die „Mahlaufstellung" bleibt erhalten, auch wenn später die Feiernden nicht mehr am Tische liegen oder sitzen, sondern aufgestanden und einige Schritte zurückgetreten sind, wenn der große Speisetisch ersetzt ist durch einen klei neren, an den nur noch der Bischof mit den Presbytern herantritt. Der Bischof steht im wörtlichen Sinn „an der Stelle" Christi, die Gläubigen aber umgeben den Tisch des Herrn von den drei anderen Seiten als „circumstantes". Öder auch, sie stehen im Block vor ihm, den Liturgen gegenüber; auch dann bleibt der Tisch des Herrn die Mitte der Versammlung. Hier erhebt sich eine Frage, der eine Über legung wie die unsere nicht ausweichen darf: Als gegen Ende des 1. Jahrhunderts die sakra mentale Eucharistie vom Abend auf den Mor gen verlegt wurde, traf sie dort auf einen mor gendlichen Wortgottesdienst und schloß sich mit ihm im Nacheinander zu einer neuen Einheit zusammen. Nun entspricht aber dem Wort gottesdienst die Situation der hörenden und antwortenden Versammlung gegenüber dem Presbyterium, hingegen der Sakramentsfeier die Situation des Ringes um den Tisch. Wie gelingt also der Übergang von der einen zu der an deren Situation? Die ursprüngliche Lösung des Problems ist von überzeugender Einfachheit: Nach dem Wortgottesdienst verläßt der Bischof mit seiner ganzen Umgebung die Plätze an der Rückwand oder in der Apsis imd schreitet die Stufen des erhöhten Presbyteriums hinab zu dem wenig über die Grundfläche erhobenen Altar. Damit hat sich die weite Versammlung, die den Raum bis an den Rand ausnutzte, sinnbildlich zusam mengezogen und den Tisch des Herrn zur Mitte gemacht. (Der Vorgang ist beschrieben bei F. van der Meer: „Augustinus der Seelsorger", Köln, 1953, in dem Kapitel: „Ein Sonntag in Hippo".) Dabei behält die Gemeinde ihre anfängliche Aufstellimg, und hier muß ein Ausgleich zwi schen beiden Grundformen geschehen: Entweder hat man von Anfang an die Mahlaufstellung, und der Wortgottesdienst geschieht in dem gro ßen Ring, dessen Mitte bereits durch den Altar gebildet ist; oder aber man hat die Blockauf stellung gegenüber idem Presbyterium, dann bleibt diese in der sakramentalen Feier erhal ten, und auch so bildet der „Tisch des Herrn" die Mitte. Eine Veränderung dieser Grundverhältnisse ist eingetreten, wo das kosmisch-kultische Ge setz der Gebets-Ostung sich nicht nur für den Wortgotteadienst, sondern auch für die sakra mentale Feier durchsetzte. Die Schritte der Ent wicklung sind vermutlich so anzusetzen: a) Der Platz des Bischofs befindet sich zunächst im Westen der Basilika. Er spricht also die Gebete des Wortgottesdienstes nach Osten. Das Volk aber wendet sich zum Gebet nach Osten um. b) Das Presbyterium wird auf die Ostseite ver legt; so kann das Volk stehen bleiben, und. nur die Liturgen wenden sich zum Gebet um. c) Die Aufstellung zur Eucharistie ist dadurch zunächst noch nicht betroffen. Dann aber hat sich offen bar die kultische Tendenz vollends durchgesetzt, und der Liturge mußte auch beim Eucharistie gebet nach Osten schauen. Er trat also auf die Seite ides Volkes und wendete ihm nun den Rücken zu. Natürlich konnte die so entstehende Aufstellung theologisch leicht interpretiert wer den; es ist ja die des alten Tempelkultes: Dort stand der Priester auf der Seite des Volkes, dem Allerheiligsten des Wohnens Gottes zugewandt, und opferte als Mittler zwischen Volk und; Gott am mittlerischen Altar. So zeigte die neue Auf stellung über die primäre Zeichengestalt des gottgeweihten Males hinweg den gnadenhaften Gehalt des Altarsakramentes an: das Versöh nungsopfer Christi, zuteilgegeben der opferwil ligen Kirche. Der „Tisch des Herrn" war schon um die Wende des 1. Jahrhunderts um das sakramen talen Opfers willen als „Opferstätte", als „Altar", interpretiert worden; nun ist er auch räumlich als Altar behandelt. Er bildet mm wirklich wie im Tempelkult die „Schwelle" zum heiligen Bereich Gottes; er ist die Stelle des Übergangs und der versöhnlichen Zulassung.
Wenn nun entsprechend der Stellung des Liturgen am Altar die Kathedra des Bischofs aus der Apsis entfernt und seitlich in der Region zwischen Volk und Altar aufgestellt wird, dann vollendet sich darin eine Umordnung, die der theologischen Erschließung des Altarsakramen tes sinnvoll entspricht und hilfreich entgegen kommt. Allerdings kann eine solche Situationsver änderung nicht ohne Folgen bleiben: Während zuvor die Aufstellung des Wortgottesdienstes, als die anfängliche der Versammlung, durch den einfachen Vorgang der konzentrischen Zusam menziehung in die sakramentale Feier über ging, wird nun die Aufstellung vor dem Opfer altar für die ganze Zusammenkunft von ihrem Anfang an maßgeblich, und die des Wortgottes dienstes tritt in ihrer Besonderheit nicht mehr zur Geltung. Das bedeutet Gewinn und Verlust zugleich. Gelungen ist ein eindringlicher und beredter Hinweis auf den sakramentalen Gehalt der Eucharistie, gemindert ist die Darstellung der zum Sakrament erhobenen und alle sakramen talen Einzelmomente zusammenschließenden Ursprungsgestalt des gottgeweihten Mahles. Gesdiwächt ist auch die ehemals so eindring liche Darstellung der heiligen Versammlung des Volkes Gottes vor dem Bischof oder dem von ihm beauftragten Presbyter. Das Großartige und Erstaunliche ist nun, daß die Kirche in der Treue gegen ihre Überliefe rung bis zum heutigen Tag neben der abgewan delten die ursprüngliche Form hat bestehen und gelten lassen; sie ist in den römischen Titel kirchen und in der großen Liturgie des Papstes sogar die vorgesehene. Aber auch im gleichen Kirchenraum können beide nebeneinander ge pflegt werden, je nach dem Rang des Gottes dienstes und der Aufnahmefähigkeit der Teil nehmer. Für eine Gemeinde kann das bedeuten, daß sie beide Gestalten und die besondere Aus sage einer jeden sdiauend zu erfassen und die eine aus der anderen zu verstehen lernt. Unsere Überlegung endet bei der Erkenntnis, daß die Bemühung des Theologen um das Ver stehen der kultischen Vorgänge, die des Liturgen um eine volle Verwirklidiung des Gottesdiienstes in allen seinen wesentlichen Akten, und die des Architekten und des Bildners um die Schaffung des plastischen Raumes einander be dingen und sich wechselseitig fördern. Darum kann keiner von ihnen im „Alleingang" sein Ziel erreichen. Der Theologe wie der Künstler kann nur im vollzogenen Gottesdienst, in der gläubig-schauenden und demütig-empfangenden Teilnahme an ihm zu Einsichten und „Visionen" kommen, die den Anstoß zu einer Ausarbeitung geben. Der Liturge muß auf den Theologen hören, will er das Wesentliche und Heilwirkende etwa von den ästhetischen Momenten unter scheiden und die Gemeinde zu den Quellen der Mysterien leiten. Der Künstler aber vermag eine eigene Aussage, auf die der Theologe hören sollte und die dem Liturgen viele Predigten er setzen kann. Denn seine Sache ist es, Unsicht bares in Gestalt zu fassen und geistige Reali täten den aufgeschlossenen Sinnen zu bezeugen. Dr. Kurt Badt (Überlingen) Das Symbolische in der Kunsf Cezannes Cezanne gehört zu den Wundern seiner histo rischen Epoche. Auf keine Weise ist ein Künstler seiner Art imd seines Ranges aus sei ner Zeit zu erklären noch in seiner Zeit zu er warten gewesen. Wohl konnte man in einem Jahrhundert hervorragender naturwissenschaft licher Entdeckungen und großer sozialer Um wälzungen, nachdem die Aristokratie und die exklusiven Bildungsschichten von den empor kommenden Bürgern und Arbeitern verdrängt worden waren, Künstler voraussagen, die die neuesten optischen Theorien verwerten und sich dem Studium der Natur als dem einzig vertrau enswürdigen und daher einzig zulässigen Ge genstande hingeben würden (wie die Realisten und Naturalisten, z. B. Courbet und Manet, Im pressionisten und Neoimpressionisten); wohl konnte man einen sozialen Maler wie Millet, einen leidenschaftlichen Bußprediger gegen die Massentendenzen dieser Zeit wie van Gogh und sogar den Flüchtling vor dieser Zeit zu den Paradiesen der Primitiven Gauguin vorausden ken; nicht aber einen Geist wie Cezanne, dem es gelang, die Malerei zum Darstellungsmittel unsichtbarer Seinsstrukturen, ja den Prozeß des Malens selber zur symbolischen Form zu er heben. Dies nämlich ist der Sinn und die Bedeutung seines Werkes, daß darin im Vollzuge und mit tels des künstlerischen Darstellens aus einer 8
Anschauung des Ganzen heraus die dargestellte Welt mit ihren Objekten zum Gleichnis eines Seins erhoben worden ist, das sich in seinem Bestehen unbewegt, unerschüttert und uner schütterlich, bleibend erhält. Cezanne hat in den rund 40 Jahren seiner künstlerischen Tätigkeit zwei Arten des male rischen Symbolismus entwickelt, zwei Stufen symbolischen Gestaltens erreicht. Auf der ersten, psychologischen, brachte er Werke her vor, die, gleichgültig was immer sie zum Ge genstande hatten, als Zeichen für die Leiden schaftlichkeit seines Temperaments anzusehen sind. Diese Art der Symbolik, obwohl er sie bis zu seinem Tode beibehielt, wurde überformt von einer zweiten, weltanschaulichen, in der die Dinge und ihre Art dazusein zur Sichtbarkeit kamen, derart, daß sie, über jede Individuation und über jedes Einzelschichsal hinaus, stell vertretend für ein Prinzip, für ein Uranfäng liches erscheinen. Noch heute gehören die frühesten Arbeiten, die von Cezanne erhalten sind, zum Erstaun lichsten, was je gemalt wurde. Es sind Länd schaften oder Figurenbilder, die einen unbe greiflichen Mangel an Talent für die Wieder gabe von Wirklichkeitsformen zeigen, eine Un fähigkeit, das erkenntlich zu machen, was jedem kleinen Malschüler leicht fällt. Sie sind voll von Verzeichnungen, von Entstellungen des Natürlichen, von beinahe unkenntlichen Ge bilden, jedoch nicht etwa abstrakte Form zusammenstellungen, sondern eindeutig mit der Absicht gemalt, Stücke der Natur Wirklichkeit wiederzugeben. Diese kleinen Monstrositäten besitzen jedoch ganz eindeutig den Charakter von Kunstwerken, etwas rohen vielleicht, je doch sehr kraftvollen; sie besitzen auch klar sichtbare Formen, die zusammen mit den Far ben das Ganze tragen, ein Ganzes ausmachen. Es wäre falsch zu sagen, daß sie Ausdruck be säßen, psychischen Gehalt anstelle der man gelnden Schönheit. Im Gegenteil, auch ihr Ge halt hat nichts Sprechendes noch Ansprechen des, nichts Erregtes oder Pathetisches sondern wird ausgemacht von einer großen Intensität des Vorhandenseins, des Bestehens der Dinge, die aneinander festgebannt, in eine gewaltsam gesteigerte Wirklichkeit ragen, indem sie diese Wirklichkeit aus sich hervorbringen. So begann der Symbolismus in der Malerei Cezannes; und diese zeigte sich von Anböginn dadurch bestimmt, daß sie Wiedergabe von Wirklichem erst auf dem Umwege über die symbolische Bedeutung und die von deren Dar stellung erforderten Form- und Farbgebung anstrebte. Ihr Urelement war der selbständige Farbfleck, der auf den Sinn des Ganzeh hin gewählt und gesetzt wurde, im Gegensatz zu aller sonstigen gegenständlichen Malerei, die von der Nachahmung von etwas Wirklichem ausgeht, mag sie auch dieses Wirkliche selbst auf die ungewöhnlichste, subjektiv freieste Weise entstellen. In diesen frühesten Werken ging es Cezanne darum, seine eigene Existenz mit ihrer uner bittlichen Forderung, Kunstwerke zu schaffen, gegen die Übermacht der materialistisch ver standenen Wirklichkeit und den Bestand tra ditionsgemäß aufgefaßter Formen durchzuset zen. Sehr bald aber ging er dazu über, zu malen, um seiner Leidenschaftlichkeit Ausdruck zu geben. — Ein Südfranzose, halb italienischer Abkunft, phantasiebegabt und bedrängt von zeugender Gewalt, dabei schüchtern, ehrgeizig und durchaus nicht frei von Neid, litt er am Widerstreit seiner Träume mit der Realität, die zu meistern er außerstande war. Er sehnte sich nach Liebe, Freundschaft, Meisterschaft und Erfolg und erlebte die tiefste Einsamkeit, ein fortwährendes Scheitern und die demütigendste Erfolglosigkeit. Die Gefühle, die ihn überwäl tigten, malten sich in seinen Bildern. Diese wirken, als ob nicht mehr ein Mensch, der seine Empflndungen durch Vernunft zu zügeln im stande ist, sie geschaffen hätte, sondern als führten diese Empflndungen selbst, dunkle, anonyme, schrankenlose Mächte den Pinsel, der in leidenschaftlicher Zuchtlosigkeit mit düste ren Farben und verkrampften Bewegungen arbeitet. Diese Leidenschaften erspähten sich oft wüste, grausame, grauenhafte Motive bald durch eine von ihnen selbst genährte Phantasie, bald mit Hilfe der Literatur; so z. B. die Ver suchung des Heiligen Antonius, die Cezanne wieder und wieder zu gestalten unternahm. Schlimmer noch und noch bezeichnender, diese Leidenschaften vergriffen sich an der Umwelt des Malers, an den Gestalten seines Vaters, seiner Freunde, ja selbst an der Landschaft seiner Heimat. Sie vergifteten seinen Blick, entstellten die vertrauten Formen und zwangen den Verdüsterten, statt der Pinsel, mit denen die Farben immerhin sorgfältig gemischt und bedachtsam aufgetragen werden müssen, ein Palettmesser zu verwenden, den breiten Spach tel, mit dem er fette Farbmassen auf die Lein wände schmierte und quetschte. Doch auch in diesen Werken berserkerhafter, barbarischer Wildheit vergaß Cezanne sein künstlerisches Ziel nicht; auch diese Bilder besitzen eindeutig, streng und dabei leuchtend, den Charakter von Kunstwerken, eine neue Wahrheit enthüllende Poesie; ihre Farbmaterie ist von bezaubernder Kostbarkeit, oft juwelengleich, reich und feu rig; ihre groß zusammengefaßten Formen imterwerfen das Dreidimensional-Wirkliche, das sie
darstellen, einer zweidimensionalen Bildfiächengliederung von gewaltigem Rhythmus und unerschütterlicher Ordnung. Es war um das Jahr 1870, als der nunmehr über Dreißigjährige (geboren 1839) die Erleuch tung erfuhr, die seine Kirnst zu etwas „Wunder"barem in seinem Jahrhundert machen sollte. Nichts Tatsächliches ist darüber bekannt, kein besonderes Erlebnis oder Ereignis, nur die Werke zeigen es an. Sie aber verkünden es un zweideutig. Der Sturm legte sich, das Chaos wurde der Ordnung unterworfen, eine neue Weltsicht tat sich ihm auf. Das drückte sich aus in einer neuen Art gezügelter Tedmik, in einer neuen Farbigkeit und in neuer Formung, alles hervorgehend aus einer neuen Auffassimg von Welt und Leben, die darin begründet war, daß C^zanne die Empörung in sich überwunden hatte und bereit war, sein Schicksal als Ein samer, Unvollendeter, Unverstandener und Erfolgloser anzunehmen. In den Werken, die diese neue Einstellung nach der „Umkehr" zei gen, erreichte Cezanne die zweite, die meta physische Stufe seiner Symbolik. Ganz rein und abgeschlossen trat sie vielleicht zum ersten Male in jener Landschaft aus Auvers (an der Seine) hervor, die unter dem Na men „Das Haus des Gehängten" bekannt ist, gemalt 1872/73; in langer Arbeit entstanden und von Cezanne so hoch geschätzt, daß er sie noch in seinem Alter auf eine Ausstellung sandte. Der (von einem Kunsthändler erfun dene) Titel ist irreführend. Das Bild enthält nichts Unheimliches, sondern einfadi ein paar Dorfhäuser, eines davon mit moosbewachsenem Strohdach, und ein paar Bäume neben der Straße. Jedoch, ohne weiteres ist es klar, daß mit diesen geringen Alltagsdingen etwas Grö ßeres und Bedeutendes ausgesagt worden ist, eben jenes bleibende Sein, das sich als uner schütterlich, in unverrückbarer Festigkeit, schicksalslos unter dem Schein der vergäng lichen Dinge erhält. Charakteristischerweise gibt es auf diesem Gemälde, das eine Land schaft darstellt, kein atmendes Wesen, keinen Menschen und kein Tier. Selbst die Bäume sind fast ohne Laub, fast wie starr gewordene Ge rüste. Das bewegte Leben ist in der reinen Stille einer ewigen Gegenwart erloschen. Das ist nun ein gemeinsames Merkmal aller Land schaften Cezannes von diesem Zeitpunkt an, es wird zum Merkmale auch seiner Stilleben und seiner Menschendarstellung, und es rührt davon her und weist darauf hin, daß Cezanne, der diese Art Bilder immer vor der Natur malte, nur an dem seinen Blicken sich zeigenden Bleibenden interessiert war. Der Beobachtung von dessen Farben und Formen mit äußerster Selbstaufopferung hingegeben, hat er diese an geschaute „Idee" in seiner Malerei sichtbar zu machen gestrebt, auf der Suche nach dem ver hüllten Ewigen, nach dem der Zeit auf immer Entrückten. Von dieser Absicht geleitet schuf sich Ce zanne eine neue Technik; er bedeckte seine Leinwände mit vorsichtig und gelassenen, hin gesetzten Pinselstrichen, klein, punkt- oder kommaartig, oft geradezu mit pedantischer Akkuratesse, welche bestimmte Grundfarben der Dinge, hier z. B. das Ockergelb der Haus wände, das Moosgrün eines Daches, Erdfarbe und Himmelsblau in einer Unzahl zarter Nuancen abwandeln, „modulieren", wie Ce zanne dieses Verfahren selbst nannte, Nuancen, die sowohl in alle möglichen, den Grundfarben fremde Töne hinüberspielen als auch ins Hel lere und Dunklere übergehen. Durch dieses ununterbrochen über die ganze Bildfläche sich fortsetzende Farbenspiel, das an gewebte Tapis serien erinnert, werden gleichzeitig auch die plastischen Formen der Dinge wiedergegeben, ihre beleuchteten und beschatteten Teile, und es wird die konventionelle Trennung von Form und Farbe aufgehoben, während die Linienzüge als Mittel der Bildgestaltung verschwinden. Hatte Cezanne in den Bildern vom Anfang der siebziger Jahre auch bereits die Grundvorstellung gefunden, die er darstellen wollte, so war er damals doch noch weit entfernt davon, jenen Einblick in das Wesen der Welt mit einer ihn befriedigenden Klarheit und Intensität ver mitteln zu können. Die Formvorstellungen, mit denen er arbeitete, enthielten noch zuviel Kon ventionelles, die Dinge Vereinzelndes, nicht auf jenen Einblick hin Beobachtetes. Noch fünf unddreißig Jahre hat er sich deshalb haupt sächlich darum gemüht, die Einzelformen der Dinge aus jenen Zusammenhängen des Ganzen hervorgehen zu lassen, in denen die Wahrheit vom Zusammenstehen der Dinge zur Welt des bleibenden Seins aufleuchtet. In immer neuen Versuchen ist er zu Formen, Farbformidentitä ten gelangt, die mit höchster Klarheit, Prä gnanz und höchstem Reichtum seine Grundidee symbolisieren, dabei aber zugleich das Gegen ständliche der Dinge mit höchster Kraft ver wirklichen. Das erklärte Ziel seiner Kunst ist diese „Ver wirklichung" (realisation) gewesen, die sich ihm als eine ungeheuer schwierige Aufgabe erwies, schwierig schon deshalb, weil sie ohne irgend welches Vorbild unternommen werden mußte, schwieriger aber noch, weil es dabei darauf an kam, drei voneinander unabhängige Forderun gen zu verwirklichen: die Plastizität der Natur, eine vollkommene Gliederung und Belebung der Bildflächen und eine Darstellung des wah ren Wesens der Dinge. Keine von ihnen durfte 10
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