Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 2

Inspiration'S in den Gesichtskreis vieler imd wird die verhängnisvolleSpaltungzwischendem „Sach verständigen" und dem „Publikum" eines Tages überwunden werden. Damit würde sich auch die Stellung des schaf fenden Künstlers ändern, der heute sehr oft einsam mit seinem Werk inmitten einer Welt spießerhaften Unverstandes steht, wobei ihm beständig etwas als „Wille des Volkes" vorgehalten wird, was in Wirk lichkeit nur eine „Kombination von Phlegma und Gewohnheit" darstellt. — Ihn, den Künstler, er kennt Gropius als den Prototyp des „ganzen" Men schen, der — im Gegensatz zum Mechanisierungs prozeß — versucht, „den symbolischen Formaus druck für die Phänomene unseres Lebens zu finden". Wenn hierbei auch die anderen Möglichkeiten menschlicher „Ganzheit" übersehen werden, so ist doch die Zerstörung einer Einheit als Vorausset zung der Gegenwarts-Situation richtig erkannt, — selbst wenn die Technisierung hierbei zu einseitig verantwortlich gemacht wird. — Albert Einstein hat einmal treffend diagnostiziert: „Vervollkomm nung der Mittel imd Verwirrung der Ziele scheinen für unser Zeitalter charakteristisch zu sein." Das ist Diagnose und Therapie zugleich: Verdeutlichung der Ziele tut not! — Und dazu hat Walter Gropius im Aufzeigen der „Wege zu einer optischen Kultur" nicht den geringsten Beitrag geleistet. Ob aber seine Stimme von denen gehört wird, die sie am lautesten anruft? Gurt Grützmacher. Allgemeine Kunstwissenschaft Mircea Eliade, Das Heilige und das Profane. In „rowohlts deutsche enzyklopädie". Band 31, Ham burg, 1957, DM 1.90. Die Frage nach dem Wesen der sakralen Kunst steht nach wie vor im Mittelpxmkt der Dis kussion. Die Kunstwissenschaft kann sie von sich aus nicht gültig beantworten, sondern muß sich hier auf die Ergebnisse der Religionswissenschaft stützen. Diese verhältnismäßig junge Wissenschaft untersucht das Wesen des Religiösen, das in Er scheinung tritt als das Heilige. Eine der wichtigsten neueren Untersuchungen auf diesem Gebiet legt Mircea Eliade, der heute zu den angesehensten Religionswissenschaftlem zählt, vor. Nach ihm bildet „das Heilige eine Weise des In der-Welt-Seins", denn der „homo religiosus lebt in einem geheiligten Kosmos". Von dieser Grundbe stimmung. ausgehend schreibt er über den heiligen Raum, die heilige Zeit, die religiösen Ursymbole und die Heiligung des Lebens. Gerade was er über die geweihten Orte sagt, ist von großem Interesse für das Wesensverständnis der sakralen Architek tur. Dabei ist zu beachten, daß für den einfachen Menschen nicht nur der Tempel, sondern auch sein Haus und daher auch das Dorf ein geweihter Ort ist. — In der heiligen Zeit, dem religiösen Fest, wird die mythische Urzeit gegenwärtig gemacht. Der Verfasser sieht, daß das Christentum diesen Vorstellungen gegenüber etwas Neues bringt: durch ciie Menschwerdung wird auch die historische Zeit geheiligt. Die zyklische Zeitauffassung der mythi schen Religionen wird durch eine auf das Ende ausgerichtete abgelöst. Hier deuten sich Probleme an, denen die Religionsphänomenlogie mit ihrem gleichwertigen Nebeneinanderstellen der Religionen nicht mehr gewachsen ist. Eingehend wird sodann die „Naturheiligkeit" imtersucht. „Für den religiösen Menschen ist die Natur niemals nur ,natürlich*: sie ist immer von religiöser Bedeutung erfüllt." Ursymbole sind der Himmel, das Wasser, die Erde. Durch diese Symbole öffnet sich der religiöse Mensch dem Allgemein gültigen und Universellen. Im Gegensatz dazu ist der moderne profane Mensch in sich verschlossen. Darum ist seine Existenz eine tragische. Nur wird das teilweise dadurch verdeckt, daß sein Verhalten vielfach ein kryptoreligiöses ist. Eine vollkommen profane Existenz gibt es nicht, kann es nicht geben. Soweit Mircea Eliade. Es ist aber nicht zu über sehen, daß damit nur die — durchaus einer Unter suchung würdigen — religiösen Sekimdär-Phänomene berührt sind. Primär unterscheidet sich der religiöse Mensch vom nichtreligiösen dadurch, daß er ein Verhältnis zum lebendigen Gott hat. Wenn man das nicht sieht, steht man ratlos vor dem lebendigen Christentum unserer Städte, das — nach dem Urteil des Verfassers! — die kosmischen Werte eingebüßt hat, ohne daß man es als abge sunken oder minderwertig bezeichnen könne (sie!). Hier stehen wir an den Grenzen der Religions wissenschaft. Denn das Verhältnis des Menschen zu seinem Gott ist phänomenologisch nicht zu er fassen. Es sei noch angemerkt, daß um der termino logischen Sauberkeit halber eine Auflösimg des Gegensatzpaares heilig—profan in drei Gegensatz paare wünschenswert wäre: religiös — nicht-religiös, heilig — unheilig, sakral — profan (wobei der letzte Gegensatz sich auf den dinglichen Bereich bezieht, also etwa auf „sakrale" und „profane" Kunst). G. R. Kunst der Gegenwart Alfred Kubin — Leben, Werk, Wirkung. Im Auf trage von Dr. Kurt Otte, zusammengestellt von Paul Raabe. Rowohlt Verlag, Hamburg, 1957, DM 33.50. Da liegt es, das Schlößl, die „Arche" Kubins. Zilli, die Haushälterin, geleitet mich hinauf ins Arbeits zimmer. Pfarrer Samhaber ist da; durch die Tür höre ich, wie er aus Glückwunschbriefen vorliest. Ich werde gemeldet, hereingeholt und stehe vor dem Meister. Wir sind schnell im Gespräch; Kubin ist ungeheuer lebendig und menschlich nahe. Sein Antlitz verändert sich ständig, spiegelt Emst, Spott, Anteilnahme, Heiterkeit. Mir fallen die Worte von Paul Klee ein: „Ein faszinierender Mensch, mimisch unerhört!" Spielerisch greift er nach dem Buch von Otte, das vor ihm liegt — es ist gerade rechtzeitig zum 80. Geburtstag erschienen — und blättert darin. Die Vergangenheit wird lebendig: die Kind heit — wunderliche Zeit! —, der schreckliche Tod der Mutter. Wir sprechen über München, und um uns versammeln sich die Freimde: Dauthendy, Hans von Weber, Kandinsky, Gabriele Münter, Franz Marc. Plötzlich sind wir im altösterreichischen Prag. Der Name Kafka fällt. Die Szenerie wechselt. Stuttgart, im Hause Fischer. Wir erinnern uns der dortigen Zeichnimgen. Und damit sind wir bei seinem Werk. Der geheimnisvolle weiße Schrank wird aufgetan. Ein Stoß von Skizzen wandert auf den Tisch, wird durchgesehen. Seine Welt tut sich auf, die „andere Seite" der unsrigen. Das ge waltige Reich des Verfalls. „Kubin bewegt sich in den Vorhöfen, von denen die ganze Residenz des Königs Tod umgeben ist, und dazu gehört doch letzten Endes die ganze Welt. Er kennt den Genuß, den das Leben gerade unter dem Aspekt des Ver gänglichen gewährt, und er ist mit der Morbidezza der Dinge vertraut, die ja alle bestimmt sind, 24

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