Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 2

Gerade hier wird dem in die Malweise Cezannes eindringenden Auge manches offenbar: wie sich aus den in hauchdünnen Pinselstrichen aufgetra genen Schichten allmählich die Körperlichkeit des Gegenstandes in voller Härte herauslöst und gleidizeitig im Werdeprozeß der Leinwand — nur infolge der Farbstufen! — ein zwingendes Raum bewußtsein entsteht. Hier sind die Tiefen und das Geheimnis der C^zanneschen Kunst, die auszu schöpfen alle Grenzen des Sagbaren überschreitet. — Er hat selbst viel darüber in Gesprächen und Briefen reflektiert. Für ihn stiegen die Farben „von den Wurzeln der Welt" auf, für ihn war „eine Landschaft das schwebende Lächeln einer scharfen Intelligenz", war die Kunst „eine Harmonie parallel zur Natur". Die späten Aquarelle und einige unfertige Öl bilder zeigen, wie der bildnerische Verdichtungs prozeß .ablief, mit welcher Sicherheit und Konse quenz Cezanne seine „Methode" verfolgte. Mit ihm und seinem Denken begann jene Entwicklxmg, deren Verlauf noch andauert: die Loslösung vom Abbildcharakter. Er wußte darum und sprach es aus: „Ich bleibe der Primitive auf dem Weg, den ich entdeckt habe." Der Ruhm kam spät und spärlich zu ihm, und eine banale Gesinnung seiner Mitwelt hat den größten Teil seines Lebens verdüstert. Heute aber blicken die Augen der Welt ehrfürchtig auf das Werk des Einsamen aus Aix, denn: jenseits von Ruhm und Niederlage beginnt das Leben. An der Schwelle der Ausdruckswelt Marginalien zur Van-Gogh-Aussfellung in München, Oktober—Dezember 1956 Nur wenige Schritte waren es von den Bildern Cezannes zur großen Van-Gogh-Schau, die das Haus der Kunst zur gleichen Zeit beherbergte. Was für ungleiche und (cum grano salis) unvergleich liche Welten! Zwei Arten eines gigantischen Mono logs, zv/ei Arten innerer Dramatik, die vom künst lerischen „In-der-Welt-sein" Zeugnis ablegten. Bei Cezanne der disziplinierte Denkakt, der das Ge heimnis der Natur in die Gesetzmäßigkeit einer fast philosophischen Kategorie einzufangen sucht, bei Vincent die auflodernde Gewalt tätiger Wachstums kräfte; bei Cezanne die kaum faßbare Unter ordnung des subjektiven Ich, bei Vincent der be ständig tönende Schrei eines leidenschaftlichen Be kenntnisses; bei beiden erlittene und gestaltete, wahrhafte „Bruchstücke einer großen Konfession". An über 160 Ölbildern und Zeichnungen war der Weg van Goghs zu verfolgen, angefangen mit den sozialkritisch gestimmten Blättern aus der Borinage und der Haager Zeit, über die lichtlosen Gestalten der Zeit in Nuenen, die Verarbeitung des impres sionistischen Ideengutes in Paris, bis zu den Höhe punkten der Arleser Periode mit ihrer alles über strahlenden Leuchtkraft, bis zu den lodernden Leinwänden aus St. Rtoy, bedrohend und imheimlidi, bis zu den letzten Möglichkeiten, die sich auch im Werk des Todkranken von Auvers noch ent falten. Stand das Frühwerk noch ganz im Zeichen der Frömmigkeit Milletscher Prägung, so zeigte die Pariser Periode schon Ergebnisse einer Verarbei tung von Ideen, die wenige Jahre zuvor noch schroff abgelehnt worden waren. Die theoretischen Erkenntnisse des Impressionismus und des Pointillismus waren, beschleunigt durch den persön lichen Kontakt mit Signac und Seurat, TouluoseLautrec und Paul Gauguin, an Vincent nicht spur los vorübergegangen. Die verzehrende Sonnenglut der provencalischen Landschaft zittert in der leuchtencien Palette der Arleser Zeit, die mit dem ersten Zusammenbruch der physischen Kräfte ihren tragischen Abschluß fand. Manche Bilder gleichen schonungslosen Be richten von der eigenen inneren Situation, sie wer den zu „Mitteilungszeichen des Menschlichen". — In St. R6my setzte sich der Prozeß fort, der in dem Wagnis bestand, vom Wurzelgrund der Dinge her ihr Wachstum unmittelbar gestalterisch erle bend zu vollziehen. In wirbelndem Dunkelblau und Schwarz entfesseln sich chthonische KIräfte, die die Leinwand in ein Spannungsfeld kreisender Ener gien verwandeln. — Der bis dahin fließende Duktus des Pinsels weicht in Auvers-sur-Oise einer manch mal imsicheren Härte des Auftrags, unter dem blühende Kastanien und wogende Kornfelder ent stehen, über deren Ähren der Wind streicht. Doch in sein Brausen mischte sich bald der todbringende Flügelschlag jener schwarzen Vögel, die auf dem letzten Bild Vincents ihre unheilvolle Bedeutung bekommen haben. Der Maler der Technik Zur Fernand-Leger-Aussfeliung im Haus der Kunsf, München, März—Mal 1957 An etwa 250 Werken, die auf der Basis der Pariser Ausstellung des vergangenen Jahres zusam mengestellt wurden, wird die Bedeutung eines der wesentlichsten Repräsentanten der modernen Ma lerei erkennbar. (Vergl. Besprechung des Katalogs auf Seite 28.) Man ist beinahe versucht zu fragen, ob Leger nicht der einzige Maler der „modernen Welt" im strengsten Sinne ist, denn in seinem Werk spielt dasjenige Element die hervorragendste Rolle, welches unsere Gegenwart in oft so beängstigender Weise beherrscht: die Technik. Die frühen Bilder zeigen noch impressionistische Manier und die Versuche, sich davon zu lösen, denn — so sagt er selbst — „ich fühlte, daß die Epoche der Impressionisten auf natürliche Weise melodiös gewesen ist, und daß die meinige es nicht mehr war". Schon 1910 entsteht das erste bedeutende Bild, die „Akte im Walde", das im „Salon des Ind^pendants" ausgestellt wird und die Aufmerksamkeit der Zunftgenossen auf sich zieht, wobei auch der Ausdruck „Tubismus" fällt. Vorausgegangen war dieser Art der Gestaltung die Begegnung mit dem 18

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