Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 2

Auch im Wehrbau läßt sich der gewölbte Einstützenraum vom hohen Mittelalter bis in die Neuzeit nachweisen®). Möglicherweise gab es für den Typus des mehrgeschossigen, tonnen gewölbten Wehrtums auch schon in der Antike burgusartige Vorstufen. Daß der gewölbte Einstützenraum in den meisten Gebieten Europas auf die Bezirke des Sepulkral- imd Wehrbaues beschränkt blieb, das hängt wahrscheinlich mit den befremdlichen Eigenschaften dieses Raumtypus zusammen, die nicht nur den praktischen Bedürfnissen des Gottesdienstes zutiefst widersprechen, sondern allen Grundforderungen des abendländischen Sakralbaues, der zu allen Zeiten von a n t h r opomorphen Architektursystemen beherrscht war. Wir sind gewöhnt, den Raum aus der Mitte zu erleben. Konstitutiv für alle Sakralbauten ist, daß die Hauptachse des Raums betreten werden kann. Eben dies verhindert beim Einstützen raum der in die lotrechte Mittelachse gepflanzte Pfeiler, der die Mitte sperrt imd den Menschen aus den Schwerpunkt des Raumes verweist. Für Wehrbauten, die von vornherein als Verteidi gungsanlagen zentrifugal orientiert sind, ist dies ohne Belang. Beim Sepulkralbau tut der Mittel pfeiler mit großartiger symbolischer Eindring lichkeit dar, daß das Reich der Toten für immer von der Welt der Lebenden geschieden ist. Auch lebt im Einstützenraum mit Ringtonne wahr scheinlich die uralte Vorstellung des „Laby rinths", des „Reiches der Toten", weiter^). II. Etwas anders als diese kryptenartigen Unter kirchen und Ossarien, die lediglich Nebenräume von untergeordneter Bedeutung in größeren Bauzusammenhängen waren, ist der Ein stützenraum als selbständiger Sakralbau, etwas anderes ist vor allem die rechteckige Einstützenkirche. Daß dieser be fremdliche Raumtypus gegen die praktischen Anforderungen der Liturgie und den Wider stand der herrschenden Architektursysteme in den Sakralbau aufstieg imd fallweise sogar in den Rang von Monumentalbauten erhoben wurde (Marienmünster im Ettal), ist um ®) Vgl. die Bornholmer Wehrkirchen, den Donjon d^Etampes, den Wehrturm von Langres oder den barocken Maschikuliturm in Würzburg. ^) Besonders deutlich wird dies an jenen antiken Sepulkralbauten, die ganze Systeme konzentrischer Ringkorridore aufweisen, von denen jeder endlos in sich kreist (Augusteum, Rom; Tholos von Epidaurus etc.). In reduzierter Form kommen diese labyrinthischen Systeme noch in den Krjrpten der Hl. Grabkirchen von St. Michael in Fulda und in Brixen vor. so bemerkenswerter, als dies nur in begrenzten Gebieten geschieht, von denen zumindest einige offensichtlich den Charakter abendländischer Randzonen haben, in denen die Überlieferungen des europäischen Kernraumes dünn und durch lässig werden. Möglicherweise wirkten hier noch andere Vorstellungskreise und Bauweisen „induzierend". Ob dies der Holzbau ist, wie einige Forscher annehmen, der in der Tat in außereuropäischen Kulturkreisen Sakralbauten in Gestalt von Einmastenkonstruktionen her vorbrachte, muß einstweilen dahingestellt blei ben. Für die rechteckige Einstützenkirche ist mit Einwirkungen dieser Art immerhin zu rechnen. Aber als Ganzes kann zumal die gewölbte Ein stützenkirche keinesfalls so erklärt werden, vor allem nicht jene singulären Wölbungstypen, die sich in Symbiose mit den runden und poly gonalen Einstützenräumen entwickeln. Von den drei wichtigsten Erschei nungsformen der gewölbten Einstützen kirche ist die Rundkirche seit dem 12. Jahr hundert nachweisbar. Allerdings stirbt diese Variante, die ohnehin, wie es scheint, nur „endemisch" auftrat und auf die Insel Born holm beschränkt blieb, schon im 13. Jahrhun dert aus. Das Einstützenpolygon kommt nur in Mitteleuropa und im Spätmittelalter vor (13. bis 15. Jahrhundert). In Österreich fehlt diese Variante überhaupt. Dafür nähert sich der bayerisch-österreichische Sondertypus des Hal lenchors mit zentraler Stütze zuletzt immer mehr einer Raumfolge, die als Kombination von Längsbau und Einstützenpolygon beschrieben werden kann®). In dieser Kombination be hauptet sich das Einstützenpolygon bis in das 19. Jahrhundert. Alle Epochen (Renaissance, Barock und IClassizismus) haben sich damit aus einandergesetzt, wenngleich diese kontrastreiche Raumfolge, die nur im deutschen Baugebiet denkbar ist, nur einmal, allerdings in groß artiger Weise, verwirklicht wurde®). Die zahlenmäßig stärkste Gruppe stellen zwei fellos die rechteckigen Einstützen kirchen dar, von denen es nicht weniger als rund 150 gibt. Die älteste stammt aus dem 11., die jüngste aus dem 17. Jahrhundert. Die Hälfte aller rechteckigen Einstützenkirchen liegt in Deutschland, ein Viertel im skandinavischen Ostseegebiet, anderthalb Dutzend in Österreich, vierzehn in Böhmen imd Westpolen, zehn in der Zips. Nur in Deutschland und Österreich hat diese Variante eine ununterbrochene Über- ^) Vgl. Fernitz. ®) Regensburg, Schöne Maria. Vgl. auch den Ent wurf Schinkels für die Berliner Kirche am Spittelmarkt; Maria Einsiedeln. 10

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