Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 2

INHALT Titelbild : Kirche von Norderney, Entwurf Prof. Dominikus Böhm, 1931. DOMINIKUS BÖHM, BAHNBRECHER DES NEUEN KIRCHENBAUS Dr. Leonhard Küppers DER BILDHAUER WALTER RITTER Dr. Wieland Schmied 3 DIE KUBIN-SAMMLUNG DES GEIST LICHEN RATES ALOIS SAMHABER Dr. Erhard Göpel 5 DIE ARCHITEKTURGESCHICHTLICHE STELLUNG DER ÖSTERREICHISCHEN EINSTÜTZENKIRCHE Dr. Erich Bachmann 9 ZUR THEOLOGIE DES FLÜGEL ALTARES Dr. Ekkard Sauser DAS FORÜM Die Geburt der modernen Malerei 17 An der Schwelle der Ausdruckswelt 18 Der Maler der Technik 18 BERICHTE Ein neues, signiertes Astl-Werk .. 19 EINZELPREIS DES HEFTES; 12,50 SCHILLING BÜCHBESPRECHÜNGEN BILDAÜTOREN Hugo Schmölz, Köln (4) — Diözesanbildstelle Linz (4) — Dr. Erich Boch mann, München (4) — Anton Karg, Kuf stein (1). CHRISTLICHE KUNSTBLÄTTER, Eigentümer, Verleger und Herausgeber: Diözeson-Kunslverein, Linz a. d. D., Herrensirafje 19. Sctiriflleller: Pro fessor Dr. Norbert MIko, Linz, Petrinum. — Für die Diözese St. Pölten; Prälat Dr. K. B. Frank, St. Pölten, Domplatz 1. — Der Jatirgang bestellt aus 4 Heften. Bezugspreis für den ganzen Jatirgang: 50 S. Postsctieckkonto Wien 26.090; für das deutsctie Bundesgebiet 10 DM, PostsctieckamtMünctien, Konto Nr. 120.088; für dos übrige Ausland 2 4i. Druck: Jos. Felctitingers Erben, Linz. — Klischees: Franz Krammer, Linz.

Dr. Leonhard Küppers (Düsseldorf) Dominikus Böhm — Bahnbrecher des neuen Kirchenbaus ES sind noch nicht zwei Jahre her, daß in Köln der Architekt Dominikus Böhm starb. Damit nennen wir einen Namen von allerbestem Klang, der berühmt geworden ist nicht nur im deut schen Raum, sondern in der Welt. Dominikus Böhm war aber nicht nur Architekt. Sein echtes, überzeugendes Künstlertum ließ ihn auch an dere Bereiche erobern. Hierher gehört z. B. das ausgedehnte Werk seiner Glasmalerei. Dabei kam es ihm — zum Unterschied von der klas sisch-gotischen Glasmalerei — vor allem auf die Erreichimg eines besonders straffen Gefüges und einer summarischen Wirkung an. Mit ehrlicher Bewunderung stehen wir heute vor seinen groß artigen Rosetten, denen in Dülmen, im Dom zu Worms imd vor allem vor denen in St. Wolfgang in Regensburg. Dennoch muß gesagt werden, daß Böhms letzte Größe sich im Architektonischen, und hier wieder vorzüglich im Kirchenbau, offenbart. Seine große Kunst gestraffter orna mentaler Glasfenster dient seiner Architektur, besser noch vollendet sie, indem sie sie vor dem zu Eigenbetonten oder auch nur Mittelmäßigen aus fremder Hand bewahrte. Was aber von den Glasfenstern des Meisters gilt, daß in ihnen — ausgehend von jenen in der St. Engelbertus-Kirche in Köln-Riehl aus dem Jahre 1931 über viele andere hinweg bis zu jener imposanten vollständigen Farbverglasung der St. Wolfgangskirche in Regensburg aus dem Jahre 1940 — eine kontiniüerliche Weiterentwicklung spürbar bleibt, das gilt auch von seiner Kirdienarchitektur. Dominikus Böhm stammt aus einer bayerisch schwäbischen Baumeisterfamilie und wurde am 23. Oktober 1880 in dem Marktflecken Jettingen an der Mindel geboren. Der musikalische Knabe sollte dem Willen der Mutter entsprechend Lehrer werden, doch dem Drang zum Bau meisterberuf folgend entschied sich der junge Böhm zum Besuch der Bauschule in Augsburg, wo er Schüler von Eugen Hönig wurde. Im elter lichen Baubüro entstanden bald auch schon seine ersten selbständigen Entwürfe. Er wechselte die Schule und kam danach als Schüler Theodor Fischers an die Technische Hochschule nach Stuttgart. Mit 27 Jahren bereits wurde der hoch begabte junge Architekt im Jahre 1907 als Lehrer an die Bausdiule in Bingen am Rhein be rufen. Im Jahre 1908 ging er an die Bau- und Kunstgewerbeschule nach Offenbach am Main, wo er eine tiefe und dauernde Freundschaft mit Rudolf Koch, dem Erneuerer des deutschen Schriftwesens, schloß. Aus zahlreichen Ent würfen aus dieser Zeit läßt sich erkennen, daß die große Liebe Böhms vor allen Dingen dem Kirchenbau galt, wobei sich in auffallender Herbheit bereits eine deutliche Abwendung vom Altherkömmlichen beweist. Das machte sich auch spürbar, als Böhm im Jahre 1919 die Sankt Josefs-Notkirche in Offenbach baute, die allerdings in ihrer Art noch eine starke An lehnung an früher Vorhandenes beweist, hier an die sogenannten nordischen Mastenkirchen. Die erste Schaffensperiode Böhms im Bereich des Kirchenbaus fand ihren Abschluß mit der schwäbischen Kriegergedächtniskirche in N e uU1 m aus den Jahren 1924/25, die in frappieren den Durchblicken, überraschenden Lichtfüh rungen, Fensterdurchbrüchen und schrägen Pfeilerfluchten nicht nur einen gänzlich neuen Raumgedanken verrät, sondern auch das eigentliche, liturgische Anliegen des tief gläubigen Christen Böhm erkennen läßt, nämlich christozentrisch imd damit auf den Altar als Zentrum und Mittler hin zu bauen. Von dieser klaren Intention hat Dominikus Böhm sich bei allen Kirchen, die er in der Folgezeit gebaut hat, bestimmen lassen. Er stand gläubig und in echter Lebendigkeit im Kreis jener, denen die „liturgische Erneuerung" damals ernstes und dringliches Anliegen war, das aber will besagen, denen es darum zu tun war, daß Menge Volk und Volk Gottes volk würde in der Begegnung mit Christus im Opfer auf den Vater hin. Von daher hat Dominikus Böhm es deutlich gewußt, daß der christliche Kirchenbau keineswegs nur Gottes haus zu sein hätte, sondern ebensosehr auch Haus des Gottes v o 1 k e s, daß es in ihm also nicht lediglich einen eigen- und überbe tonten Altarraum zu geben hätte, sondern auch einen Raum für die Gemeinde, einen Raum, der es möglich macht, eine unbeteiligte Gemeinde zu beteiligen, eine schlafende Gemeinde zu wecken, eine tote Gemeinde zu verlebendigen, sie in das „heilige Spiel der göttlichen Liturgie" einzubeziehen und damit zu erlösen vom gelangweilten Dasein des bloßen Zuschauers bei etwas, was 1

droben auf bühnenhaftem Chor gleichsam wie von prädestinierten Akteuren vollzogen oder vorzelebriert würde. Man wird das ein wenig bedenken müssen, will man das erstaunlich um fangreiche kirchenbauliche Werk von Dominikus Böhm verstehen können, und will man vor allen Dingen auch die Mannigfaltigkeit seiner Grundrisse und Bauformen verstehen können, die jeden überraschen, der sich mit diesem ein zigartigen Kirchenbaumeister unserer Zeit be schäftigt. Es dürfte wohl kaum übertrieben sein, wenn man behauptet, daß der formal künstle rische Reichtum Böhmischer Kirchenbauten die Spannungsweiten der katholischen Liturgie, ja des Christentums überhaupt, in einer Weise be stätigt, wie das wohl kaum sonst einem ein zelnen Architekten gelimgen ist. Damit ist allerdings keineswegs gesagt, daß Dominikus Böhm auch von Anfang an von allen gleich be griffen worden wäre, und daß seine Kirchen bauten unwidersprochen hingenommen wurden. Sein Weg als Kirchenbauer aus dem Geist und der Lebendigkeit der Liturgie war ebenso müh sam und schwer wie der aller jener, die sich in den Dienst der „liturgischen Erneuerung" stell ten, Was heute in dieser Beziehung bereits bis auf die entlegenen Dörfer hin eine Selbstver ständlichkeit geworden ist, war es keineswegs von Anfang an. Auch Dominikus Böhm mußte sich als „Bahnbrecher des neuen Kirchenbaus" zimächst Schritt für Schritt das Feld erobern. Wer vergäße die Schockwirkung, die die Sankt Engelbertus-Kirche in Köln-Riehl aus dem Jahre 1930 bei offiziellen kirchlichen Stellen auslöste, während das Volk etwas milder und gnädiger war, d. h. in köstlich witzigen Benennungen seinem Herzen Luft machte vor dem Unge wohnten, das ihm damals zugemutet wurde. Vorausgegangen waren allerdings schon einige beachtliche Kirchen, unter anderen die Dorf kirche in Frielingsdorf im Bergischen Land, nicht weit von Köln, die ganz vom Ge wölbe her gebaut, man könnte sagen e n t w i kk e 11, wurde und deren schöne „gotische Span nungen" einmal von einer einfachen Bauersfrau dahingehend begriffen wurden, daß sie meinte, diese Kirche wirke im Innern wie fromm ge faltete Hände. Es folgte im Jahre 1929 die Kir che des Krankenhauses für Asthmaleidende in Mönchen-Gladbach, die, wie es bereits bei der Kirche in Hindenburg geschehen war, in sauberer Klarheit Priester- und Laienraum zu einem einzigen Opferraum zusammenfaßt und die von außen gesehen wie ein mächtig sich ver breitender Strahl wirkt, der seinen Ursprung in dem völlig in Glas aufgelösten Chor hat. Im Jahre 1930 entstand die bereits erwähnte St. Engelbertus-Kirche in KölnRiehl als kreisrunder Zentralbau, dem man die Wirkung eines Zeltes in Beton nicht ab sprechen kann, ohne daß man allerdings auch sagen möchte, daß Dominikus Böhm sich nur von dem heute etwas modisch gewordenen Begriff der „Kirche als Gotteszelt" hätte bestimmen lassen, und der allerdings die eine Inkonsequenz aufweist, daß der Opferaltar nicht auch genau in die Mitte der Kirche gestellt wurde. Im Jahre 1935 entstand die St. Engelbertus-Kir che in Essen, die im letzten Weltkrieg stark beschädigt und nun wieder in der alten Weise aufgebaut wurde. Ihr folgte in gleicher Groß zügigkeit und gleichen machtvollen Maßen die Kreuzkirche in Dülmen in Westfalen, ebenfalls im Krieg stark beschädigt imd heute wieder hergestellt, bei der das Problem zu lösen war, einen liturgischen Raum mit dem unliturgischen Faktum einer Grabkirche in Einklang zu bringen, was den sonst gerne vermiedenen stark erhöhten Chor-Raum bedingte, hinter dem, tie fer gelegen, der Ort für das Grab der zu Anfang des vorigen Jahrhunderts verstorbenen Mysti kerin Anna Katharina Emmerik gewonnen wer den mußte. Es kann sich hier nur darum han deln, einige wenige der vielen Böhmischen Kir chen zu erwähnen. Bis zu jener Kirche „Sankt Maria Königin" in Köln aus seiner letzten Schaffenszeit gilt von allen Böhmischen Kirchen bauten, daß sie gebaut imd nicht, wie das bei vielen andern sogenannten modernen Kirchen der Fall ist, „konstruiert und experimentiert" sind. Dabei war es dem großen Baumeister und gläubigen Christen Dominikus Böhm geradezu eine Selbstverständlichkeit, daß der Bau als solcher in der Harmonie des Innen und Außen bereits die christliche Gemeinde „vor zubilden" hätte. So wird es auch begreiflich, daß im Detail nirgendwo der Eindruck des Ge suchten entsteht, daß alles seinen richtigen Ort hat. Das gilt nicht nur vom Altar oder vom Turm, das gilt auch vom Ort der Taufe. Böhms Taufkapellen sind, architektonisch ge sehen, Kunstwerke besonderer Art, die immer dem Ganzen seiner Kirchenbauten organisch zu geordnet bleiben. Es ist da aber noch ein anderer Gedanke, der in Böhms Kirchenbauten wieder so etwas wie eine Auferstehung feiert. Er zeigt sich im Be streben, Kirchenbau und Umwelt miteinander zu befreunden, was nicht verwechselt wer den darf mit einer plumpen Angleichung aneinander, derartig etwa, daß einer glaubt, er müsse z. B. einer Kirche in einer Fabrikgegend das Aussehen einer Fabrik, einer Gottesfabrik also, geben. Wie Böhm diese Be freundung verstand, beweisen vor allem seine vielen schönen Dorfkirchen. Da wäre in

erster Linie die frühe Kirche in Frielings dorf im Bergischen Land zu erwähnen. Man könnte sagen, daß diese Kirche im Wuchtig schweren der Außenform, im Material, ja sogar im Farbigen des Steins und des Daches sich der Umwelt befreundet, wichtiger aber bleibt trotz allem, daß hier die Kirche die Landschaft be herrscht, daß sie Krone dieser Landschaft ist und damit den Primat des Heiligen vor allem Säkularen betont. Andere Dorfkirdien sind die in Ringenberg bei Wesel am Niederrhein und die im Jahre 1929 erbaute Kirche in B i rk e n im Westerwald, um noch diese beiden zu nennen. Jene enthält zweifellos die ganze Groß zügigkeit und beglückende Weite der nieder rheinischen Landschaft und ist doch alles an dere als „plump vertraulich". Sie macht sich nicht gemein mit der Umwelt, sie nimmt sie nur sehr ernst und bleibt trotz allem in vor nehmen Abstand. Sie gibt nichts preis vom Hei ligen, dem der Meister in sicherem Wissen den „s t i 11 e n B e z i r k" zuordnet. Von hier aus ist es begreiflich, daß Dominikus Böhm — wie es auch die konsequente Eigenart von Rudolf Schwarz ist — dem Altar im Innern der Kirche einen „heiligen insularen Bezirk" zu ordnet. Aber es geht nicht bloß um das Innere und um den Altar. Dafür ist die erwähnte zweite Dorfkirche, die in Birken, schönstes Beispiel. Der Meister war an die Umfassungs mauern einer alten Kapelle gebunden und kam so wie von selbst zu einem kegelförmigen Dach über einem quadratischen Raum. Auch hier gilt: was in der konsequenten Durchführung nachträglich an ein Zelt erinnern könnte, möge man nicht gleich verwechseln mit etwas, was aus einem voraufgegangenen Willen zum Zelt vielerorts in unserer Zeit — und dann nebenbei aus falscher theo logischer Voraussetzung — entsteht. Böhm schuf in dem Dorfkirchlein von Birken ein Bild der Gemeinde und sagt mit der Umfrie dung des heiligen Bezirks durch eine Mauer zu gleich aus, daß wahre Gemeinde immer nur sein kann in dem Maße, als sich die Menschen aus der Zerstreuung in die Sammlung, aus dem Lärm in die Stille zu holen vermögen. Mit sol cher Erkenntnis, realisiert in seinen Kirchen bauten, ragt Dominikus Böhm nun noch über den Bereich seiner künstlerischen Sen dung hinaus xmd wird zugleich zum säuber lichen Verkünder einer echten theologischen Wahrheit, einer Wahrheit, die gerade unserer bedrohten Zeit besonders not tut. Dr. Wieland Schmied (Wien) Der Bildhauer Walfer Ritter Renoir sagte einmal: „Kunst ist ein Hand werk wie die Tischlerei." Der Bildhauer Walter Ritter, der in Linz als Professor an der Kunstschule wirkt, möchte nach eigenen Wor ten lieber als Handwerker, denn als Künstler angesprochen werden. Kunst ist für ihn nichts Isoliertes, keine bloß ästhetische Angelegenheit, sondern untrennbar verbimden mit dem Leben wie jedes andere Handwerk und jede andere Handlung des Menschen. Künstlerisches Tun kommt für ihn aus der Einheit des Lebens und Erlebens, in dem nicht begrifflich zwischen den Hervorbringungen des Menschen geschieden wird. Was der Mensch tut, dient nie bloß einem bestimmten Zweck, sondern dem ganzen Men schen. Ritters Auffassung der Kunst nähert sich darin weitgehend der des mythisch-religiösen Menschen, der Kunst schuf und religiös war, ohne dafür bestimmte Begriffe ausgebildet zu haben. Die künstlerische Gestalt aller Arbeiten Wal ter Ritters wird mitbestimmt durch das ver wendete Material, durch die Technik, durch das Handwerkliche. „Jede neue Technik ist ein neuer Stil", sagt Ritter. Und er hat in seinem Leben ein Großteil seiner Anstrengungen auf die Entwicklung neuer Techniken, neuer Aus drucksmöglichkeiten, verwandt. Ritter ordnet sein Werk zuerst in den Sinnzu sammenhang der Welt, dann erst in die Formen sprache unserer Zeit. Das bedeutet, daß seine Arbeiten immer die Gestalt von Lebewesen an nehmen, wie sie die Natur hervorbringt oder doch hervorbringen könnte: von Menschen, Tie ren oder Fabelwesen („Harpyie"). Dabei ist es gleichgültig, um welches Thema es Ritter geht, was er im Einzelfall ausdrücken will: ob das Thema inhaltlich bestimmt ist (wie beim „Abendmahl") oder ob es im Formalen begrün det liegt („Dreiklang": drei Figuren, deren Hai-

tung, Bewegung imd Buhe, Kontrapunkt und Harmonie vereint), ob es einen Zustand ausdrükken soll (Ausgewogenheit, Leichtigkeit beim „Jongleur") oder ob man von einem Thema eigentlich gar nicht mehr sprechen kann und die Plastik bloß aus spielerischer Freude am Ge stalten erwächst, wie viele Tierplastiken von Walter Ritter. Immer sind seine Gestalten ge deckt durch Gestalten, die die Natur hervor bringt; nie sind es bloß abstrakte Formen. Dabei ist die Erscheinungsform der Lebe wesen für Ritter noch lange keine Befehlsform, an die er sidi sklavisch halten würde. Die Ge stalt der Lebewesen ist für ihn die Möglich keit, sich künstlerisch auszudrüdcen. Ihm geht es nicht ums Abbilden, sondern ums Bilden; nicht um die Wiedergabe, sondern um die Ge staltung. Das Wort Cezannes hat auch für ihn Gültigkeit: wie die Natur arbeiten, nicht nach der Natur! Walter Ritter wurde am 26. Mai 1904 in Graz geboren. 1921 bis 1925 besuchte er die Kimstgewerbeschule in Graz, 1925 bis 1928 die Aka demie der Bildenden Künste in Wien. 1936 er hielt Walter Ritter für sein Kruzifix in schwar zem Zement, das er für die Holzmeister-Kirche in Wien-Mauer geschaffen hat, den Großen österreichischen Staatspreis. Aus dem zweiten Weltkrieg und anschließender Kriegsgefangen schaft heimgekehrt, erhielt er 1946 eine Be rufung als Lehrer an die Grazer Kunstgewerbesdiule, zwei Jahre später an die Kunstschule der Stadt Linz; hier wirkt er seither. 1957 wurde ihm vom Bundespräsident der Titel „Professor" verliehen. Er ist derzeit Präsident der Künstler vereinigung „MAERZ". Walter Ritter hat sich an zahlreichen Ausstel lungen beteiligt. Auf der Biennale in Sao Paolo 1955 kam er in die engste Auswahl bei der Ver leihung des Bildhauerpreises. Viele seiner Werke sind in öffentlichem Besitz: eine Madonna in der Kirche von Wien-Floridsdorf; Grabdenk mäler in Graz, Leoben, Gröbming und Urfahr; ein Porträt Kardinal-Erzbischofs Innitzer im Bundesministerium für Unterricht in Wien; weitere Werke im Besitz der österreichischen Galerie in Wien und der Neuen Galerie in Linz. Insbesondere für Linz, das ihm zur zweiten Heimat wurde, hat er eine Reihe von Plastiken gesdiaffen, die an öffentlichen Plätzen oder Fassaden zu sehen sind. Handwerkliche Disziplin und reiche Erfin dungsgabe und Phantasie, Modernität und etwas imgemein österreichisches kennzeichnen das Werk Walter Ritters. Strebte die Plastik in früherer Zeit eher zum Monumentalen, so sind die Bildhauerarbeiten Ritters ein Lächeln über dieses Streben. Seine Figuren sind nie Helden oder Heroen: sie sind liebenswert, haben Charme und kommen einem menschlich nahe. Dabei entwirft Ritter nie ein verniedlichtes Bild des Menschen, sondern der Mensch wird als Schöpfung, als Kreatur dargestellt; mit sei nen Schwächen und Fehlern und seiner Größe, die wir ja erst erkennen können, wenn wir zu vor seine Grenzen begriffen haben. Dem Er kennen der menschlichen Schwächen folgt bei Ritter — und das ist das Wesentliche — kein Verspotten, sondern ein Beschützen, ein Um hegen. Den Menschen gerade in seinen Schwä chen verstehen und lieben zu lehren: das ist eine uralte Aufgabe der Kunst. Sie gilt heute wie je. Das Heitere, Ruhige, Gelassene am Werk Rit ters ist typisch österreichisch; ebenso das Sen sible, Feinnervige und die Musikalität, die sei nen Figuren oft innewohnt. Walter Kasten schreibt dazu: „So ist ein tief im Menschlichen begründetes Anliegen Walter Ritters die Über windung der Schwere und Belastung der Exi stenz, in dem sich Sehnsucht nach Leichtigkeit, Ausgeglichenheit und Harmonie ausdrückt. Dar aus erwächst ihm die Figur des „Jongleurs", der seit Jahren immer wieder neue Abwandlungen erfährt, jede für sich gültig." Einen beträchtlichen Teil im Schaffen Ritters nehmen die Arbeiten ein, die religiöse Themen zum Gegenstand haben oder für Kirchen be stimmt sind. Ritter arbeitet an diesen Figuren mit der gleichen Freude und Hingabe wie an allen anderen Werken; sie kommen wie diese aus der Einheit eines reichen Lebens, in der jede Tätigkeit des Menschen Selbstverwirklichung im Sinne des Schöpfungsplanes ist. Was an seinem „Schmerzensmann" den Be schauer am stärksten berührt, ist die Einheit von Leiden, Verklärimg, Hingabe, Gelöstheit. Gerade die Menschwerdung Gottes ist es, die Ritter beeindruckt. Sein Christusbild hat etwas sehr Menschliches und bringt uns Gott auf diese Weise nahe. Sein „Schmerzensmann" ist dem Leiden preisgegeben wie jeder andere Mensch. Es ist ein Christus in der Stunde der Schwäche; aber immer ist, so spüren wir, in ihm etwas anwesend, das dies alles überwinden wird; sein Gottsein, das der Welt in dieser Stunde noch verborgen bleibt . . . Nennen wir hier noch einige andere Arbeiten Ritters, die wir dem Bereich christlicher Kunst zurechnen dürfen. Da ist sein „St. Georg" (Bronze), seine „Madonna" (Steinplastik), das „Abendmahl" (Terrakotta), der „Kruzifixus" (Gips), „Die Nonnen" (Terrakotta) und sein gra phischer Zyklus „Kreuzweg", den er in der von

ihm entwickelten Technik des Schablonendrudcs (Riffel-Grafik) ausführte. Was die Arbeiten Ritters vor den meisten aus zeichnet, die heute für den sakralen Raum ge schaffen werden, ist ihre schlichte Würde, ihre Haltung, die Größe hat, ohne monumental pathetisch zu wirken, und menschlich ist, ohne deswegen kitschig-süßlich zu sein. Dr. Erhard Göpel (München) Sammeln als Aufgabe Die Kubin-Sammlung des Geisflichen Rafes Alois Samhaber Otto Wilhelm Gauß freundschaftlich gewidmet Mit der breiten Front zum schnellfließenden Inn lagert sidi das Pfarrhaus von Wernstein an die Uferstraße. Hier wohnt der Geist liche Rat Alois Samhaber, der Pfarrer von Wernstein. Jenseits des Flusses, auf der deut schen Seite ragt die Neuburg über der steilen Schlucht auf. Diesseits steigt das Gelände zur barocken Pfarrkirche an, die der Friedhof um gibt. Schmale Wege führen die kleinen Täler hinauf, zu den Hügelrüd^en, auf denen sich Waldstücke hinziehen, von Weilern durchsetzt. Wenn am Sonntag, am frühen Nachmittag, die Orgel und der Gesang in der Kirche verklungen sind, plaudert der Pfarrer wohl noch einen Augenblick mit den Sängerinnen des Kirchen chors. Im Gespräch mit Zilli, einer der Stützen des Chors, erkundigte er sich dann, wie es Mei ster Kubin geht, den sie oben in Zwickledt, im Bauernschlößl, betreut. Seit dem Jahre 1948, in dem die Gattin Kubins starb, tut sie es ganz allein und hat nicht nur Verstand von Essen und Trinken, sondern erheitert den „Professor", wie sie ihn nennt, hin und wieder mit ihrem Kla vierspiel, das sie sich selbst beigebracht hat, und ihrer frischen Stimme. Seine Zeichnungen weiß sie wie kein zweiter einzustufen, der Zeit der Entstehung nach, aber auch nach ihrem inneren Wert, ihrer Qualität. Da der Herr Pfar rer seit einem Jahr, seit Kubins Hand müde ge worden ist, ihm die Mühe der Korrespondenz abgenommen hat, gibt es immer etwas zu be stellen, zu fragen, zu berichten, denn ins Dorf kommt Kubin seit Jahr und Tag nicht mehr, so gern er früher mit den Bewohnern geplaudert hat. Kubin ist beiden, der Zilli und dem Geist lichen Rat, zum Schicksal geworden. Er hat sie in eine ihnen ursprünglich fremde Welt, die Welt der Bilder, eingeführt. Nicht die der from men Tafeln auf den Altären, der Dechengemälde mit festlichen Allegorien in den Kirchen, son dern in die der nächtlichen Dämonen, eines Zwi schenreiches, in dem das Unheimliche haust. Als Alois Samhaber 1937 die Pfarre in Wern stein übernahm, hatte er den Namen Alfred Kubins noch kaum gehört. Der Kontakt stellte sich nur langsam her, denn Kubin lebte in sei nem Hause, von dem man weit ins Land hinein sieht, im Norden nach Passau hin, bis zu den Bergzügen des Böhmerwaldes, im Süden nach Schärding und ins Bayrische, sehr zurück gezogen. Bei gelegentlichen Besuchen bekam er Zeichnungen zu sehen, die gerade entstanden waren. Die schweren Zeiten, die der Geistliche nach dem „Anschluß" erlebte, brachten ihn mit dem gleichgesinnten Ehepaar Kubin in engere Beziehung. Diese Kunst, die in die unheimlichen Bezirke des Menschen eintaucht, war damals nicht beliebt. Eine Art Schid^salsgemeinschaft bildete sich. Der Pfarrer begann einige der Lithographien zu erwerben, sich mit ihnen zu umgeben, und so in die Welt Kubins ein zudringen. Nach und nach sah er den Schatz von Zeich nungen, die Kubin in dem flchtenen, weiß gestrichenen Schrank in seinem Arbeitszimmer aufbewahrt. Ein Blatt, die Marter der heiligen Agathe, grausam-schön und voll eines tiefen Gehaltes, hatte es ihm besonders angetan. Nach seiner Art hatte es Kubin erst mit Feder und Tusche gezeichnet, ganz auf den Kontrast von Schwarz-Weiß gestellt, um es dann mit ge dämpften Aquarellfarben anzulegen. Kubin ist selbst ein großer Sammler und besitzt neben Tausenden seiner eigenen Zeichnungen Blätter von Klee, Ensor, Redon, Goya, Klinger, die er zu seinen Ahnen, Anregem und Freunden zählt. So verstand er wohl, was in dem Pfarrer vor ging, und das alte Spiel zwischen Sammler und

Künstler begann, vom schelmischen Wesen Kubins durch originielle Züge bereichert. Kubin, der damals noch täglich ein bis zweimal in den Ort herunterstieg, mit den Wirten, den Ladne rinnen plauderte, gab das Blatt beim Vater des Pfarrers, der gerade zu Besuch war, ab; mit dem Bemerken, er wolle es noch immer nicht verkaufen, der Herr Pfarrer möge sich drei Tage daran freuen, dann werde er es wieder holen. Mit einer unschuldigen List kam es dann doch in den Besitz des Pfarrers, der sich von Kubin wünschte, es zu seinem eigenen Geburtstag er werben zu dürfen. In dem sich entwickelnden Verkehr übertrug sich das Unterscheidungsvermögen Kubins ge genüber seinen eigenen Arbeiten auf den Pfar rer. Er begann zu sehen, daß die so spontan wir kenden Tuschzeichnungen auf einer Fülle von Bleistiftskizzen beruhen, die den Traum, die Vi sion, spontan festzuhalten suchen, um sie dann in die gesteigerte Form der Federzeichnung, des aquarellierten Blattes umsetzen zu können. Ent gegen der Einstellung Kubins, der das vollen dete Blatt am höchsten schätzt, die vorbereitende Bleistiftzeichnung als „Schmierskizze" abtut, verfolgte Alois Samhaber die visionäre Grund substanz von Kubins Kunst durch alle Stadien — und sammelte sie. So kam eine ganze Mappe von Bleistiftstudien zusammen, die in der Art der Auswahl, der Zusammenstellung für den Be trachter etwas so Überzeugendes haben, daß sich die Einstellung des Sammlers, ohne viel Worte, auf jeden überträgt, der sie Blatt für Blatt in die Hand nimmt. Obenauf liegt die stärkste die ser Bleistiftzeichnungen der „Tod und der Maler". Herrisch ist der in einen Radmantel ge hüllte Tod vor die Staffelei getreten, auf der ein unvollendetes Bild steht und hat den Fuß auf den am Boden hingestreckten Maler in ma kabrem Triumph gesetzt. Die Nähe des Todes in dem Werk Kubins hat für den Pfarrer, dem Geburt imd Tod, von Taufe und Begräbnis her, ebenso nahe wie ciem Künst ler ist, etwas Verbindendes. Denn es fällt auf, wie Alois Samhaber gerade nach den Blättern gegriffen hat, auf denen sich der Tod sein Opfer mit unerbittlicher Gewalt und unerwartet holt. „Rasch tritt der Tod den Menschen an" könnte über einem Blatt wie der „Tod als Wegelagerer" stehen, das mit über hundert Federzeichnungen in der zweiten, der Federzeichnungsmappe, liegt. Auch hier hat Alois Samhaber eine glückliche Hand gehabt. Es sind Federzeichnungen, die das Spontane der Bleistiftstudie behalten haben, nicht fünfte oder sechste Wiederholung eines einmal gelungenen Motives sind. Wir können Kubin nicht beipflichten, wenn er jungen Aciepten der Zeichenkunst anrät, ihre Erfindungen zu variieren, um zu einem immer klareren, durchsichtigeren Netz von Federstrichen zu kommen, das er seinen Erscheinungen überwirft. Unvergleichlich sind die Blätter, in denen das Österreichische wie in einem Roman von Joseph Roth, einem Essay von Hofmannsthal weiter lebt, die Zeichnung „Königgrätz" zum Beispiel, auf der, in einem Geriesel von feinsten Feder strichen, der Doppeladler auf dem Grenzpfahl umsinkt, zwischen die toten Soldaten des ge schlagenen österreichischen Heeres. Doch ist die Sammlung nicht an die Mappen gebunden. Schon in dem langen, hallenden Gang zu ebener Erde reihen sich die gerahmten Blät ter. Zum Teil sind es vom Sammler sichtlich be vorzugte Werke Kubins, die er täglich einmal mit den Augen streifen möchte, wie die Bleistift zeichnung des „Schlößls", in dem Kubin haust (Abbildung). Auf den ersten Blick wirkt sie fast wie eine Studie nach der Natur, bei näherem Hinsehen aber fangen die Striche an zu züngeln, wie Flammen, und man spürt das geistige Feuer, das Kubin in diesem Hause Tag und Nacht, im Wachen und Träumen, entfacht. Besonders haben den Sammler die Zeichnungen angezogen, in denen Kubin aus der unmittel baren Umgebung, die auch der Sammler ständig vor Augen hat, schöpft. Der „Gasthof Pöppl" am Ort oder Schloß „Goldegg" in der Nähe, die „Mondnacht über Zwickledt", Motive aus Wernstein, die „Pfandlmühle", sind solche Blätter. Die vielen Gerüchte um das „Schlößl", die der Pfarrer alle kennt, haben in dem „Geflüster ums Haus" ihren Niederschlag gefunden, ein Blatt, das ihm hilft, das Unsinnige, Gespenstische des Geredes um Kubin zu erkennen, es mit einem Wort wegzuwischen. Man hat das Gefühl, hier lebt jemand in der Welt Kubins, weiß nun wie er in Bildern zu denken, die oft Chiffren einer anderen Welt sind, Botschaften. Die Zeichnun gen, die Selbstbildnischarakter haben, wie der „Verbummelte Zauberer", sind diesem Sammler ein Hinweis auf das innerste Wesen dieses Künstlers, auf seine Seele, die manchmal weit weg von Zwickledt schweift und Bilder von der Reise mitbringt, wie die „Chinesische Dschunke", das „Männchen im Monde", das „Malayische Variete". Im Laufe der Jahre haben die Antiquare in Wien, in München, Berlin und der Schweiz den Namen des Kubinsammlers Alois Samhaber in Wernstein in ihre Kartotheken aufgenommen, und er zieht aus den vielen Katalogen, die ihm zugesandt werden, immer weitere Ergänzungen für seine Bibliothek von Büchern, die Kubin illustriert hat. Es sind jetzt über hundertfünfzig.

darunter Autoren, die die ganze innere Groß zügigkeit dieses Seelsorgers erfordern, um sie zu akzeptieren, von Dostojewski] über Poe zu Wedekind, Strindberg, Flaubert, bis zu Kleist und Kaflca. Der Sammlimg nutzt diese genaue Kenntnis des Illustrators Kubin. Sie enthält Blätter zum „Don Quichote", zu Gullivers Reisen — „Brobdignac", zu E. Th. Hofmann, zu Kubins eigenem Roman, der „Anderen Seite", in der Aufstieg und Untergang der Traumstadt Perle geschildert wird. Auch einige Blätter aus dem "Umkreis der Bibel sind vorhanden, die Kubin immer wieder zu phantastischen Blättern ange regt hat, besonders die Erzählerfreude des „Alten Testamentes", aber auch „Salome" hat er gezeichnet und „Golgatha". Sitzt man abends in der Studierstube des Pfarrers beim Licht der Tischlampe, so sehen die großartigsten Blätter wie die „Marter der hei ligen Agathe" oder der „Leichenzug" imter dem Schleier der Dunkelheit den Betrachtern der Mappen zu. Die letzte, die mit den Lithogra phien, wird hervorgeholt. Von überall her hat sie Alois Samhaber erworben, in einer Zeit, als Kubins Kunst nicht hoch im Kurs stand. Man spürt die Liebe des Sammlers an der sorgfältigen Art, mit der sie in blendend weiße Passepartouts gelegt sind, aus denen das tiefe Schwarz der meist in Passau bei einem vertrauten Drucker abgezogenen Lithographien herausspringt. Die Federlithographie erwies sich als das für Kubins Zeichenweise geeignetetste graphische Medium. Die Frische des Striches blieb erhalten und das Schwarz nahm im Druck eine unper sönlichere Färbung an, wirkte gleichmäßiger als der von Temperament geladene Federstrich. Daß die Zeichnung spiegelverkehrt druckt, trägt dazu bei, das Motiv in eine noch weitere Distanz zu rücken, es fremder und ferner erscheinen zu lassen. Es ist, als ob Kubin uns selbst beim Blättern zusähe. Man versteht ihn in dieser, seiner Um welt, im reinen Medium dieser Sammlung bes ser. Denn das ist die große Leistung dieses so bescheiden wirkenden, allem Künstlerischen auf geschlossenen Mannes, daß er das Wesen dieses Künstlers zutiefst verstanden hat, besser viel leicht als Kubin sich selbst versteht. Der Klang ist ganz rein. Kubin weiß das zu schätzen und hat von einem gewissen Zeitpunkt an dem Pfarrer einige der besten Blätter gegeben, die er noch besaß, auch einige der frühesten, aus der Münchner Zeit. Ge spenstische, braunlavierte Federzeichnungen und Gouachen in einer von Kubin erfundenen Kleisterfarbentechnik. Dargestellt sind sub marine Wesen, die zwar aus Kubins Phantasie entsprangen, von denen man aber den Ein druck hat, daß sie in der Tiefsee existieren könnten. Sie gehören der surrealen Phase Kubins an, die damals zwar großen Einfluß auf Kandinsky und Klee hatte, heute aber über schätzt wird. Seinen eigenen Stil hat Kubin in den Erschütterimgen des ersten Krieges ge funden, in dem expressiven Strich, der ganz auf dem Kontrast Schwarz-Weiß beruht. In den oberen Gängen des Wernsteiner Pfarr hofes hängen eine Reihe von Blättern aus der spätesten Zeit Kubins. Ein Altersstil ist er reicht, in dem der Ausdruck ganz aus dem Gra phischen lebt, der Strich etwas Unwirkliches, Überwirkliches hat. Man begreift, daß Kubin jetzt nicht mehr dem Gespräch über die Letzten Dinge ausweicht, das er durch Jahrzehnte ver mieden hatte, der bitteren PhUosophie eines Schopenhauer, indischer, chinesischer Weisheit näher als dem christlichen Glauben. Mit krakeliger Altersschrift hat er diese Blät ter zu hohen Festtagen, zu Ostern, zu Weih nachten, an Neujahr, zum Geburtstag dem Pfar rer gewidmet. In diesen zwei Menschen nähern sich zwei Welten. Sie begegnen sich im scheinbar neutralen Bezirk dieser Sammlung, die nicht der Spiegel einer ästhetisch bedingten Passion ist, sondern der einer gegenseitigen Seelsorge. Kubin führt seinen Freund Alois Samhaber in die Be reiche des Dämonischen, in denen er selbst hei misch ist, indem er ihm seine stärksten Zeich nungen anvertraut, die ihm früher dazu gedient haben, den Versuchimgen zu widerstehen, die Dämonen zu bannen. Gleichzeitig faßt er na^ seiner Hand, um die letzten Schritte nicht allein tvm zu müssen. Ein ergreifender Vorgang. Als bleibenden Dank hat er dem Pfarrer die Augen nicht nur für seine, sondern für alle Kunst geöffnet. Unten im Betsaal steht eine schöne gotische Figur, die wieder hergerichtet tmd damit gerettet worden ist, aus dem alten Be sitz der Gemeinde. Daneben hängen Zeichnungen und Bilder junger österreichischer Künstler, wie Fronius und Steinhardt, die hier im Ha^e manchmal zu Gast gewesen sind. Im Arbeits zimmer hat eine gratige Radierung Corinths ihren Platz. An die jimgen Leute im Ort, an manchen Besuch von weither gibt der Pfarrer seine Freude, seine Einsicht weiter. Wenn die Sammlung Samhaber in diesen Monaten in Wien unter der Obhut von Monsignore Mauer einem größeren Kreise sichtbar gemacht wird, wird man begreifen, daß es hier auf dem Wege des Sammeins darum geht, einen ganzen Menschen und eine große Künstlerseele hilfreich zu er fassen. f {

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KRUZIFIXUS MUTTER DER SIEBEN SCHMERZEN HL_ JOSEF DER ARBEITER (UNTERSBERGER MARMOR) NEUE KIRCHE STEYRERMUHL PROF. WALTER RITTER HL GEORG (BRONZE) I r i DREIKLANG (ZEMENTGUSS)

Alfred Kubin an Pfarrer Alois Samhaber Schönberg, N.-Bayern, 24. IX. (1953). Lieber und verehrter Herr Pfarrer — mein Er holungsaufenthalt welkt nun langsam —. Er war von wundervollen, hauptsächlich Seherlebnissen er füllt, denen wie meist auch leise Negativa entgegen stünden — im g a n z e n glücklich und befriedigend balanziert. — Im Zentrum stand die Ankunft meines Verlegers vom Kösel-Verlag, München, wel cher die fertigen Druckbogen des bedeut samen „Lesestückes" die H a r p y i e mitbrachte — eine Prosa von seltsamstem Reiz, 43 Druckseiten und von mir mit 11 Illustrationen gescihmückt, die si^ post festum als wirklich geglückt erweisen und mit Swifts „Vikar von Wakefield" — und einiger Gesundheit auch also 1953. Doch immer noch gute „zeichnerische Ernte" — und wenn Zilli auch wohnungshalber — wie sie glaubte und wie es sie freut, etwas Hübsches daherbringt — ist auch das erwünschenswert — und ein wenig Gegenpol zu den schlimmen „Altersdingen", die ängstigen und ver grämen. — Noch ist*s ja erst Mittel herbst und unsere Strapazenzeit noch nicht in Schwung. — Ihre Mitteilungen überraschten mich z. T. nicht: auf die Mitarbeit war nicht so ausgiebig wohl zu zählen, das Interesse war geteilt — das Ergebnis wird durch Dorn dennoch ein günstiges sein. — Nxm auf ein liebes Wiedersehen — ich werde rapportieren, besonders im Kulturellen ist's unerfreulich mit der „Moderne". — In Treue grüßt Sie der alte Kubin. Legende zu den drei Zeichnungen: Alfred Kubin, Pferd im Gewitter, Bleistift skizze, 1924 (Größe 22,5X28,5 cm). Sammlung Sam haber. Alfred Kubin, Zwickledt, Bleistiftskizze um 1935 (Größe 18,8X19 cm). Sammlung Samhaber. Alfred Kubin, Der Schlangensteig, Federzeich nung, 1932 (Größe 26X34 cm). Sammlung Samhaber. Dr. Erich Bachmann (München) Die archlfekfurgeschichtliche Stellung der österreichischen Einstützenkirche I. Der gewölbte Einstützenraum ist zwar allge meiner Besitz der abendländischen Bau kunst, zu selbständigen Sakralbauten jedoch ist dieser in vieler Hinsicht befremdliche Raum typus nur in begrenzten Gebieten erhoben wor den. Nur die mitteleuropäische Baukunst und deren Ausstrahlungsbereich nach Norden und Osten hin, nur Deutschland, Österreich, der süd liche Ostseeraum, die böhmischen Länder, West polen und die Zips kennen gewölbte Einstützen kirchen. West- und Südeuropa ist die Einstützen kirche — von einigen verwandten Erscheinungen im östlichen Mittelmeer und einer einzigen Aus nahme in Spanien abgesehen — fremd geblieben. In Italien, Frankreich und England gibt es lediglich Krypten und profane Räume dieser Art. Der Prototyp des gewölbten Einstützenraums ist der antike Rundraum mit Ringtonne, der allerdings, wie es scheint, auf den S e p u 1k r a 1 b a u beschränkt blieb. In dieser Bau schicht, die wie der Totenkult überhaupt ererbte Vorstellungen mit traditionalistischerHartnäkkigkeit festhielt, hat dieser eigenartige Raumtypus eine kontinuierliche Überlieferung, die einerseits über die römischen und etruskischen Grabbauten zurück bis in die paläolitische Vorzeit^), andererseits über das Mittelalter hinweg bis tief in die Neuzeit reicht. Im mittelalterlichen Sakralbau ist der ge wölbte Einstützenraum jedenfalls von Anfang an in Kirchen vorwiegend sepulkraler Bestim mung (Grabkirchen, Karner, Friedhofs kapellen, heilige Gräber) vertreten, wenn auch nur in Form von Unterkirchen uncl kryptenar tigen Räumen®). ^) Vgl. die Talayots auf den Balearen. ^) Dies bezeugen die Kirchen St. Michael in Fulda, St. Michel de Cuxa (Feglise de la Creche), die Kar ner und Friedhofskapellen in Maria Saal, St. Lambrecht, Berg bei Spittal; Schemnitz in der Slowakei; Großglobnitz, St. Quirin in Bozen; Maria zell, Metnitz, Altenmarkt, Neumarkt, Frohnleiten, Simitz, Pfarrkirchen, Eisenerz, Gossensaß; femer die Chorhauptkrypten, die entweder Ossarien oder hl. Gräber waren, in: Tivoli, San Silvestro; Wölchingen; Köln, St. Kunibert; Daun; Breisach; Koufim; Murau; Neuenburg; München, Augustinerkirche; Lüneburg, St. Nikolai; Oschatz; St. Georgen i. P.; Schwarzach-St. Veit; Schlägl; Worms; Altenburg; Passau, St. Nicola; Jarnac; Gossec etc.; oder die Hl. Grabkirchen in Augsburg, Groß-Komburg, Oberwittighausen, Stan dorf und in nachmittelalterlicher Zeit die „Sepolcri" Montanas und noch die Kilianskrypta der Würzbur ger Neumünsterkirche aus dem Anfang des 18. Jahr hunderts.

Auch im Wehrbau läßt sich der gewölbte Einstützenraum vom hohen Mittelalter bis in die Neuzeit nachweisen®). Möglicherweise gab es für den Typus des mehrgeschossigen, tonnen gewölbten Wehrtums auch schon in der Antike burgusartige Vorstufen. Daß der gewölbte Einstützenraum in den meisten Gebieten Europas auf die Bezirke des Sepulkral- imd Wehrbaues beschränkt blieb, das hängt wahrscheinlich mit den befremdlichen Eigenschaften dieses Raumtypus zusammen, die nicht nur den praktischen Bedürfnissen des Gottesdienstes zutiefst widersprechen, sondern allen Grundforderungen des abendländischen Sakralbaues, der zu allen Zeiten von a n t h r opomorphen Architektursystemen beherrscht war. Wir sind gewöhnt, den Raum aus der Mitte zu erleben. Konstitutiv für alle Sakralbauten ist, daß die Hauptachse des Raums betreten werden kann. Eben dies verhindert beim Einstützen raum der in die lotrechte Mittelachse gepflanzte Pfeiler, der die Mitte sperrt imd den Menschen aus den Schwerpunkt des Raumes verweist. Für Wehrbauten, die von vornherein als Verteidi gungsanlagen zentrifugal orientiert sind, ist dies ohne Belang. Beim Sepulkralbau tut der Mittel pfeiler mit großartiger symbolischer Eindring lichkeit dar, daß das Reich der Toten für immer von der Welt der Lebenden geschieden ist. Auch lebt im Einstützenraum mit Ringtonne wahr scheinlich die uralte Vorstellung des „Laby rinths", des „Reiches der Toten", weiter^). II. Etwas anders als diese kryptenartigen Unter kirchen und Ossarien, die lediglich Nebenräume von untergeordneter Bedeutung in größeren Bauzusammenhängen waren, ist der Ein stützenraum als selbständiger Sakralbau, etwas anderes ist vor allem die rechteckige Einstützenkirche. Daß dieser be fremdliche Raumtypus gegen die praktischen Anforderungen der Liturgie und den Wider stand der herrschenden Architektursysteme in den Sakralbau aufstieg imd fallweise sogar in den Rang von Monumentalbauten erhoben wurde (Marienmünster im Ettal), ist um ®) Vgl. die Bornholmer Wehrkirchen, den Donjon d^Etampes, den Wehrturm von Langres oder den barocken Maschikuliturm in Würzburg. ^) Besonders deutlich wird dies an jenen antiken Sepulkralbauten, die ganze Systeme konzentrischer Ringkorridore aufweisen, von denen jeder endlos in sich kreist (Augusteum, Rom; Tholos von Epidaurus etc.). In reduzierter Form kommen diese labyrinthischen Systeme noch in den Krjrpten der Hl. Grabkirchen von St. Michael in Fulda und in Brixen vor. so bemerkenswerter, als dies nur in begrenzten Gebieten geschieht, von denen zumindest einige offensichtlich den Charakter abendländischer Randzonen haben, in denen die Überlieferungen des europäischen Kernraumes dünn und durch lässig werden. Möglicherweise wirkten hier noch andere Vorstellungskreise und Bauweisen „induzierend". Ob dies der Holzbau ist, wie einige Forscher annehmen, der in der Tat in außereuropäischen Kulturkreisen Sakralbauten in Gestalt von Einmastenkonstruktionen her vorbrachte, muß einstweilen dahingestellt blei ben. Für die rechteckige Einstützenkirche ist mit Einwirkungen dieser Art immerhin zu rechnen. Aber als Ganzes kann zumal die gewölbte Ein stützenkirche keinesfalls so erklärt werden, vor allem nicht jene singulären Wölbungstypen, die sich in Symbiose mit den runden und poly gonalen Einstützenräumen entwickeln. Von den drei wichtigsten Erschei nungsformen der gewölbten Einstützen kirche ist die Rundkirche seit dem 12. Jahr hundert nachweisbar. Allerdings stirbt diese Variante, die ohnehin, wie es scheint, nur „endemisch" auftrat und auf die Insel Born holm beschränkt blieb, schon im 13. Jahrhun dert aus. Das Einstützenpolygon kommt nur in Mitteleuropa und im Spätmittelalter vor (13. bis 15. Jahrhundert). In Österreich fehlt diese Variante überhaupt. Dafür nähert sich der bayerisch-österreichische Sondertypus des Hal lenchors mit zentraler Stütze zuletzt immer mehr einer Raumfolge, die als Kombination von Längsbau und Einstützenpolygon beschrieben werden kann®). In dieser Kombination be hauptet sich das Einstützenpolygon bis in das 19. Jahrhundert. Alle Epochen (Renaissance, Barock und IClassizismus) haben sich damit aus einandergesetzt, wenngleich diese kontrastreiche Raumfolge, die nur im deutschen Baugebiet denkbar ist, nur einmal, allerdings in groß artiger Weise, verwirklicht wurde®). Die zahlenmäßig stärkste Gruppe stellen zwei fellos die rechteckigen Einstützen kirchen dar, von denen es nicht weniger als rund 150 gibt. Die älteste stammt aus dem 11., die jüngste aus dem 17. Jahrhundert. Die Hälfte aller rechteckigen Einstützenkirchen liegt in Deutschland, ein Viertel im skandinavischen Ostseegebiet, anderthalb Dutzend in Österreich, vierzehn in Böhmen imd Westpolen, zehn in der Zips. Nur in Deutschland und Österreich hat diese Variante eine ununterbrochene Über- ^) Vgl. Fernitz. ®) Regensburg, Schöne Maria. Vgl. auch den Ent wurf Schinkels für die Berliner Kirche am Spittelmarkt; Maria Einsiedeln. 10

lieferung vom 13. bis zum 17. Jahrhundert. Bemerkenswert ist ferner, daß sich der Schwer punkt der Entwicklung von Norden nach Süden verlagert. Im 13. Jahrhundert erlebt die recht eckige Einstützenkirche im Ostseeraum ihre erste Blütezeit. Doch stirbt der Typus in Skan dinavien — wahrscheinlich ist er dorthin vom niederdeutschen Baugebiet vermittelt worden — schon im 14. Jahrhundert aus, ohne daß er von der Gotik ergriffen worden wäre. Ähnlich wie die Zipser Einstützenkirchen zeigen auch die skandinavischen zuletzt alle jene Erscheinungen der Inzucht, die für abgeschlossene Gebiete und kunstgeschicfatliche Enklaven charakteristisch sind. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts werden die bedeutendsten Einstützenkirchen in Niederdeutschland errichtet, in der zweiten dann in Böhmen, bis schließlich die Entwicklung im 15. und am Anfang des Iß. Jahrhunderts in Österreich kulminierj;. Indessen wäre es verfenit, daraus zu schließen, daß auch der Typus von Norden nach Süden wanderte. Rechte^ige Einstützenkirchen sind auch im bayerisch-öster reichischen Baugebiet schon seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts nachweisbar'). III. So interessant diese Bauten sind, für das Ganze des abendländischen Sakralbaues wären sie nicht mehr als eine Randerscheinung, wenn sich nicht mit ihnen bestimmte Wölbungs typen symbiotisch entwickelt hätten, die so wohl für die englische als auch für die südost deutsche Sondergotik zentrale Bedeutung er langten. Überdies sind diese Gewölbe, die man insgesamt als Schirmgewölbe bezeichnen könnte, charakteristisch für eine antiklas sische Unterströmung des abendlän dischen Wölbungsbaues, die bisher so gut wie überhaupt nicht beachtet wurde. Nur eine Va riante davon ist bisher von der Forschung be schrieben und dadurch allgemein bekannt ge worden. Dies ist das Fächergewölbe. Doch handelt es sich hiebei um nichts anderes als die hochgotische und spezifisch englische Er scheinungsform eines Wölbungstypus, der von Anfang an vorhanden ist. Allen Schirmgewölben ist gemeinsam, daß sich die Wölbung nicht kon zentrisch von der Peripherie gegen die Mitte des Raumes oder Jochs entwickelt, wie bei den her kömmlichen Typen (Kreuzgewölbe, Tonne, Kup pel), sondern zentrifugal aus einer Stütze in der lotrechten Mittelachse des Raums. Nicht die Wand, die Mittelstütze bringt die Wölbung her vor. Es leuchtet ein, daß damit zugleidi ein struktives Prinzip gesetzt ist, das, konsequent ') Vgl. Friedersried, Oberpfalz; Albrechtsberg an der Pielacb (?). Altenmarkt; durchgeführt, zu revolutionären Kirchentypen führen mußte, in denen die Stützen nicht mehr in orthogonalen Reihen stehen, sondern in ver setzten, „auf Lücke" (Quincunx) und in Schrägen. Nicht alle Varianten des Einstützenraums waren in gleicher Weise an der Ausbildung der Schirmgewölbe beteiligt. In vorromanischer und romanischer Zeit entwickeln sie sich an den runden Einstützenräumen. Die Urform ist die antike Ringtonne — gewissermaßen ein zu einem liegenden Raumring zusammengebo gener, tonnengewölbter Gang — die jedoch schon in karolingischer Zeit durch Grate nerviert und in einen senkrecht stehenden Schirm umgedeutet wurde (St. Michael in F u 1 d a). In gotischer Zeit werden dann die verschiedenen Derivate der Ringtonne vom neuen progressiven Typus des Dreistrahlschirms verdrängt, der sich am Einstützenpolygon entwickelt hatte. Was den rechteckigen Einstützenraum betrifft, so schied er überhaupt im hohen Mittel alter aus dießem Prozeß aus, da er vom Joch prinzip ergriffen (Wölbung mit vier Kreuz gewölben) und seinem Wesen entfremdet wurde. Nicht die Stütze ist in solchen Räumen die struktive Einheit, sondern das Joch. Der vierjochige Typus hat den rechteckigen Einstützenraum durch das ganze 13. und 14. Jahrhundert be herrscht. Vereinzelt lebt diese hochmittelalter liche Variante bis zum Ausgang des Mittelalters weiter®). Zwar hat man vor allem in Bayern, aber auch fallweise in Österreich, im 15. Jahr hundert die Kreuzrippengewölbe durch vier Sterngewölbe ersetzt"), doch ist dadurch die Zer legung des Raums in vier Joche und die struktive Entwertung der Mittelstütze keineswegs beseitigt worden. An der Ausbildung des son dergotischen Schirmgewölbes war diese Variante nicht beteiligt. Näher kommt dem Wesen des Einstützen raums jener Mischtypus, der vier Kreuz oder Sterngewölbe mit einem achsialen Dreistrahl in der Osthälfte verbindet und dadurch die wölbungstechnische Spannung zwischen dem Mittelpfeiler und der Trimnphbogenöffnung überbrückt"). ") In österreidi; Edlitz, Fasching, St. Georgen am Schwarzenbach, St. Leonhard in Laatsch. °) St. Alexius a. d. Laming, Hallstatt. Diese zuerst im Profanbau entwickelte Va riante ist vor allem in Böhmen, in der Zips und im Eifelmoselgebiet verbreitet. In Österreich kommt sie nur vereinzelt vor, so in St. Peter bei Freistadt, in Wagrein, und am Ende des 15. Jahrhunderts in Eisenkappel, wo der additive Charakter der Wöl bung, ähnlich wie in Fernitz, durch ein schwer fälliges Gurtensystem in demonstrativer Weise be tont ist. 11

Keine dieser Wölbungen jedoch kann als Schirmgewölbe bezeichnet werden, weil alle am hochmittelalterlichrä Jochprinzip festhalten. Die spätmittelalterlichen Schirmgewölbe sind nicht aus dem Kreuzgewölbe abgeleitet, sondern aus dem Dreistrahl, dem anderen seit der karolingischen Zeit nadiweisbaren Wölbungstypus, der die Quincunxstellung der Stützen zum Prinzip erhebt, indem er diese im Dreieck anordnet. Die früheste Form des gotischen Schirmgewölbes, der Dreistrahlsdiirm, resultiert aus der radiant konzentrischen Anordnung von Dreistrahlen um eine zentrale Stütze. Der Dreistrahlschirm aber ist ebenso die unmittelbare genetische Vorstufe zum stützenlosen konkaven Sterngewölbe, wie das Springgewölbe (Nebeneinanderreihung gegenständiger Dreistrahle) zum spätgotischen Netzgewölbe. Dreistrahlsdiirm und Spring gewölbe sind nichts anderes als verschiedene Kombinationsweisen des Dreistrahls. Die erste Form ist, wenn auch zunächst nur in gratiger Ausführung seit dem 12. Jahrhundert in Eng land nachweisbar, die zweite in Deutschland seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts. Bekanntlich hat Peter Parier aus diesen beiden Wölb formen, indem er die Dreistrahle von den Stüt zen emanzipierte und zu dekorativen Mustern zusammenfügte, seine Netzgewölb.e, die ersten Deutschlands, abgeleitet, imd so diese antiklassischen, gewissermaßen „häretisdien" Wölbungstypen wieder den anthropomorphen Systemen einverleibt, so wie man schon im 13. Jahrhimdert den Dreistrahlsdiirm durch Aussdialtimg der zentralen Stütze in ein kup peliges Sterngewölbe umgedeutet und dem Jochprinzip angeglichen hatte. Was nun den Dreistrahlsdiirm betrifft, so wurde dieser in zwei verschiedenen euro päischen Kulturlandschaften weitergebildet: in England zum Fächergewölbe, in Bayern und Österreich zum Rautenschirmgewölbe. In den Fächergewölben,die seit dem 13. Jahrhundert in den „chapterhouses" auftreten, sind die Dreistrahle durch zu sätzliche Flechtrippen in fächerartige Bil dungen umgedeutet. Charakteristisch dafür sind die hypertrophisch gehäuften Stab formen der Rippen. — Die südostdeutschen Rautensdiirmgewölbe der sogenannten Sediseckkirdien sind nichts anderes als Rückbildungen der Parierischen Rautennetzgewölbe, nur daß nicht alle Stützen der kombinierten Dreistrahle ausgeschaltet sind, sondern von dreien je zwei, so daß im Zentrum jedes Rautensterns eine Stütze zu stehen kommt. Charakteristisch für die Rautenschirme ist, daß die Dreistrahle zu rautenförmigen Gewölbekappen zusammen treten, die sich kelchartig um die Gewölbefüße legen. Allen diesen aus dem Dreistrahl abge leiteten Schirmgewölben (Fächergewölbe, Drei strahlschirm und Rautenschirm) ist gemein sam, daß sie die Pfeilerstellung „auf Lücke" er fordern, wenngleich diese Disposition, da es sich um „Einstützenräume" handelt, nur struktiv im Verhältnis des Mittelpfeilers zu den Wand diensten angedeutet ist. Jeder Dreistrahl bezieht den Mittelpfeiler nach verschiedenen Richtungen hin immer auf zwei Wanddienste des Polygons zugleich^^). Nicht in England freilich hat man — abge sehen von der Krypta in W e 11 s — aus diesem revolutionären struktiven Prinzip die Konse quenz gezogen imd daraus neue Kirchentypen abgeleitet, sondern nur im deutschen Südosten. Zwar sind in England auch oblonge Räiune mit Fächergewölben gewölbt worden, doch hat man sich nie dazu verstanden, die Stützen aus ihrer traditionellen Bindung in Reihen zu lösen. Man hat sich damit abgefunden, dafür die Fächer zu deformieren. IV. Nur im bayerisch-österreichischen Gebiet ist man so weit gegangen, aus diesem struktiven Prinzip neue Kirchenräume zu entwickeln, die völlig singulär im gesamten abendländischen Sakralbau sind. Dies geschah in einer Gruppe von Kirdien^^), die unter dem Namen „Sech seckkirchen" bekannt wurden, struktiv sinnvoller aber als „Dreistützenräume" zu bezeichnen sind, weil die drei Stützen nicht in einer Reihe stehen, sondern im Dreieck, und weil es sich um nichts anderes als um weiterentwikkelte Einstützenkirchen handelt. Man hat, ähn lich wie der Einstützenraum nichts anderes als eine verselbständigte Raumsphäre um einen Schirm ist, gewissermaßen einen Dreistrahl zu einem selbständigen Sakralbau erhoben. Den meisten dieser Dreistützenräume liegt das Parie rische Rautennetz der 1391 von Hans Mühlheim gestifteten vierschiffigen Bethlehemkapelle in Prag zugrimde, das je nach der in gewissen Gren zen beliebig austauschbaren Stellung der Stützen, sowohl zwei- als auch vierschiffige Anlagen zu läßt und daher ebenso für die Kirchen in Han- ^^) So schon bei den Dreistrahlschirmen der diapterhouses von Salisbury und Westminster, oder in der Thomaskapelle am Römling in Regensburg, um 1300; ebenso in Weitersfelden. Noch entschie dener zeigt sich das Quincimxprinzip am Fächer gewölbe des chapterhouses von Wells, das in einen zentralen Fächer über der Stütze und einem Kranz von gegenständigen Fächern an der Peripherie zer legt ist, die überdies noch durch Scheitelrippen klar voneinander isoliert sind. Braunau, Hochburg, Burgkirchen, Eggeis berg, St. Pantaleon, Berg, Tettenweis, Anger, Tacherting, Schnaitsee, Frankenburg, L a a k i r - chen. Vgl. die Abbildungen! 12

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