Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 1

ern und zu einer ganzen Mythenfauna ausbilden: die Traumbildner des Surrealismus, an ihrer Spitze Max Ernst, Salvador Dali, weniger metho disch und darum naiver in seinen Grenzen blei bend Joan Mir6. Max Ernst verwendet gelegent lich als Startpunktfür seinen Bildtraum audi biblische Motive, wie etwa auf dem in jeder Hinsicht unheimlichen Bild „Susanna und die beiden Alten", eine Allegorie auf die Abenteuer der Anima in den Höhlengängen des Unterbe wußtseins, der aber die Qualität dieser Malerei, der Grad der bildlichen Verdichtung, magisdie Kräfte verleiht. Diese äußerste bildnerische In tensität, die demiurgisdi Traum in Wirklichkeit umschafft, verleiht Bildern dieser Art Züge dessen, was man die moderne Gegensakralität zu nennen gezwungen ist. Bekanntlich ist der dichterische Surrealismus eines Andre Breton ein Programm der Gegenchristlichkeit sehr aggressiven Charakters. Das ist nicht von imgefähr: Man behauptet seinen Anteil Traum gegen die Wirklichkeit so methodisch nur, wenn man entschlossen ist, sie bis hinauf in ihren höchsten Sitz, das Leben der Gottheit, zu verfolgen. Für unsern Zusammenhang aber bedeutet das die unabweisliche Einsicht, daß an der geschicht lichen Härte der Heilsereignisse, mit denen es der christliche Künstler zu tun hat, jeder Traum zerschellen muß. Altdorfers Weihnachtsbild ist nicht „geträumt", sondern liegt genau in der Fluchtlinie, die von Bethlehem in die Sakral welt seines Jahrhunderts führte, so dünn das Klima schon dort zu werden begann. Wo aber eine Sakralwelt nicht vorgegeben ist, kann jeder Traum für den Künstler im sakralen Raum nur tödlich sein. So weite Felder im Bild der modernen Kunst die bisher betrachteten Bewegungen auch ein nehmen, der zentrale Vorgang im Herzen der modernen Kunst ist damit noch ausgespart ge blieben, jener Vorgang, der bei Cezanne anhebt und das eigentliche Drama der modernen Kunst ausmacht. Cezanne hat in Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, die ihm vor den Augen stand, Stück für Stück dem Bild jene Souverä nität über das Gegebene erobert, die das Bild zu einer neuen, nur den eigenen Gesetzen unter worfenen Wirklichkeit macht. Dieses „Bild" im emphatischen Sinne ist die Ikone des modernen Geistes, je nach der Höhe imd Schärfe des Be wußtseins Idol oder Opfermal. In Cezanne ist jene Höhe des Bewußtseins sogleich erreicht und nach ihm sind nur wenige in die Zone empor gedrungen, wo sich die Dinge der Wirklichkeit wie die Vegetation des Seelischen nur zu halten vermögen, wenn sie durch den Tod der Form gegangen sind, d. h. die Zerstörung auf das innere Bildgesetz hin durchgelitten haben. Wenn hier vom Tod der Form gesprochen wird, so ist das keine beliebige metaphorische Redeweise, sondern ist genau dies gemeint, daß im Bild, wie es Cezanne, wie es die Meister des Kubismus, Picasso von 1907—1914, Braque, Juan Gris, der Bildhauer Henri Laurens verstanden haben, alles Gegebene, (und das ist nicht bloß die Wirk lichkeit als Sujet oder gar das Material, die Darstellimgsmittel, sondern jenes, was Goethe den Gtehalt nennt und von dem er sagt, daß er das sei, was jeder „hinzutue", den ganzen Reich tum der künstlerischen Subjektivität, seine Na tur und sein Schicksal) in die Zerstörung um der Form willen geschickt werde. In systematischer Reduktion werden alle diese Elemente auf die allein unumschränkt geltenden Erfordernisse des Bildes, seine im Formerlebnis erfaßbare Eigen wirklichkeit hin gebrochen. Jenes „die Natur gemäß Zylinder, Kugel imd Kegel behandeln", das Cezanne fordert, ist nur der äußerlich an gebbare Aspekt des Formgeschehens. Dieses hat seinen Ursprxmg in einem nicht weiter ableit baren Formbefehl, der in dem Ergebnis dieses Prozesses als Bildgesetz erscheint. Dieser Form befehl kann entweder als das Diktat der absolut freischaltenden Schöpferpersönlichkeit verstan den werden oder als Gabe an den, der den Kampf der Form gegen das Eigengesetz der inneren wie äußeren Wirklichkeit durchgetragen hat. Im ersten Fall kommt es zu jenem Schwindel der schöpferischen Freiheit, dem sich die Wirk lichkeit zu bloßem Anlaß der Selbsterfahnmg vemichtigt. Die so entstehende Kunst wird geschichtslos, sie hat kein „Schicksal" mehr. Viel leicht werden wir eines Tages gezwungen, Picassos Kunst so zu interpretieren, als einen Fall der sich selbst überschlagenen Freiheit trotz des ungeheuren Gregengewichts von Begabimg, also doch wohl Gabe, die ihm zugefallen ist. Im zweiten Fall — es ist der Fall Cezannes selbst — bleibt die Freiheit durch das ganze Gewicht der Wirklichkeit, die im Kampf übernommen wird, lotrecht an ihren Ort gebunden, sie hat im höchsten Maße Schicksal. — Für das Bild selbst bedeutet dies: in dem unbedingt souveränen Bildschaffen eines Picasso wird das Bild zur Ikone einer verzehrenden Selbstgegenwart, ver zehrend, weil jene quasi-absolute Freiheit sich in dieser Gregenwart nicht halten kann, sondern zur Selbstaufliebimg drängt, um sich in neuer Formfindung neu zu erfahren. Der vielberufene proteische Charakter der Kunst Picassos hat hier seine Wurzel. Das Bild Cezannes dagegen erreicht die Intensität der Ikone durch Selbst aufopferung an die dichter und dichter wer dende Bildwirklichkeit Das Bild Cezannes ist in jenem unerschöpflichen Sinne Ding, daß es an der nur von ihm besetzbaren Stelle das 23

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