Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 1

obaditen, daß ein künstlerischer Vorgang ganz von der Logik immanenter Formprobleme vor getrieben wird und völlig vom geschichtlichen Grund gelöst zu sein vermag. Am Ende erweist sich allerdings, daß auch er von der Not der Geschichte eingeholt wurde. Der Impressionismus hat seine Überwinder imd Richter gehabt, hin ter denen wie im Falle Cezannes der unerbitt liche Wille eines höheren, umfassenderen Form auftrags stand. — Jene Grenze des Impressionis mus ist zugleich die Haut, die ihn für die Er regung durch religiöse Gehalte unempfindlich machte. Es gibt meines Wissens keinen künst lerisch ernstzimehmenden Versuch religiöser Darstellung mit den Mitteln der impressionisti schen Kunst. Schon der Gedanke an einen sol chen Versuch scheint unvollziehbar. Es wurde eben darauf hingewiesen, daß der Impressionismus in jüngster Zeit eine überraschende Wiedergeburt in der Form des sogenannten „impressionisme de l'invisible" erfahren hat, also nicht schon zu einer völlig zurückliegenden, historisch registrierten Erscheinung geworden ist. Diese höchst widerspruchsvolle Bezeichnung, die geradezu eine contradictio in adiecto darstellt, verrät aber, daß man dem Verfahren des Impressionismus die Möglichkeit zutraut, selbst innerliche Vorgänge zwingend zur Erscheimmg zu bringen. Doch be kennt sich diese Malerei selbst als „informel", d. h. nicht zur Form gekommen, sondern in Bewe gung auf sie hin, womit zugegeben wird, daß sie über die Anspielung auf eine große Form nicht hinausgelangt. Auch hier scheint der Abstand zu jeder Kirnst, die auf Resonanz in einer Gemeinschaft angewiesen ist, also auch zur Sakralkunst immer noch astronomisch. Es ist nicht zufällig, daß der erste, der aus der Formenwelt des Impressionismus ausgebro chen ist: Paul Gauguin, von dem Ungenügen an der bloßen „s e n s a t i o n", dem Sinnenreiz, den allein die impressionistische Farbhäufung ver mitteln kann, zur großflächigen Verwendung der Farbe getrieben wurde, weil nur in einer gewissen Ausdehnung und bei größtmöglicher Reinheit die Farbe ihre ganze Suggestivkraft entfaltet. Wie sein Freund van Gogh will auch er durch Farben „ausdrücken", d. h. aber doch wohl, eine Innerlichkeit künstlerisch freisetzen, die im Oberfiächenspiel des Impressionismus kein Äquivalent mehr hatte. Sicher war es auch mehr als Innerlichkeit, die zu solchen weitaus greifenden Farbgebärden drängte. Durch ein eingewurzeltes Heidentum kommunizierte Gau guin mit einer Ausdruckswelt überpersönlicher Herkunft, die sich in einer Farbsymbolik von mehr als subjektiver Geltung umsetzte. Hier und später in Berührung mit der Ornament farbe der Südseeinsulaner hat er dann den Farbkanon für seine Liturgie des irdischen Le bens gefunden, die er unter den menschen unwürdigsten Umständen in betonter Kultur ferne auf der Fläche zelebrierte. Es gibt einige Bilder Gauguins mit christlichen Motiven, dar unter solche, die tief ergreifen. Für unsern Zu sammenhang wichtiger ist vielleicht noch dies, daß von ihm mit Emile Bernard, Maurice Denis und Paul Serusier die ganze Bewegung des Art sacre in Frankreich ausgeht. Von den „Nabis", wie sich diese Gruppe von religiösen Malern unter der Führung Serusiers nannte, gehen Fäden über den Holländer Verkade zur Beuroner Kimstschule und den Versuchen des P. Desiderius Lenz, einen Kanon der sakralen Kunst festzulegen. Werner Haftmann berichtet darüber in seiner „Geschichte der Malerei im 20 Jh., S. 56 ff. Daß ciamit .ein lebendiger Weg schließlidi in einen un fruchtbaren Sakralformalismus mündete, nimmt der Tatsache, daß mit Gauguin ein Vorstoß in eine Urlandschaft der Seele erfolgt ist imd zugleich auf sehr verdeckten, imterirdischen Wegen der Anschluß an sakrale Traditionen gefunden wurde, nichts von ihrem Gewicht. Schließlich muß man wissen, daß auch ein Maler wie Rouault, der ganz aus christ licher Wurzel kommt, bei Gauguin anknüpft und dessen Farbkanon der irdischen Lebensliturgie in den dimkleren, aber ebenso an die Intensität der reinen Farbe gebundenen Kanon seiner Passions liturgie überträgt, hier aber, vor allem in seinen Glasfenstern, den bis heute nicht überbotenen Gipfel der modernen christlichen Sakralkunst er reicht. Matisse, der 1905 so etwas wie das Schulhaupt der von Gauguin ausgegangenen „Fauves" war (auch Rouault gehörte anfänglich zu ihnen) ent wickelt mm im Gegensinn zu Rouault, aber auch zu Gauguin die Farbe wieder vom Ausdruck fort, aber nun nicht wieder zurück zum impres sionistischen Reizwert, sondern zu einer aus drucksfreien Selbstoffenbarung der Farbe, die nichts will, als diese Farbe tmd in dieser Ord nung zu ihrer höchsten Entfaltung zu führen. Vorübergehend scheint der Ausdruckswille in die Linie zu rücken, bis auch sie durch eine methodische Askese auf ihre reine Formfunk tion gebracht wird. — Hier scheinen, vor allem, wenn man auf Rouault blickt, viele Türen zur sakralen Kunst wieder zuzufallen. Aber wenn wir dann den alten Matisse als den Gestalter der Kapelle von Vence am Werk sehen, so wird man nicht von vornherein außerkünstlerische Einwirkungen, wie die der geistlichen Führung, dafür verantwortlich machen dürfen, sondern sich fragen müssen, ob in dieser Perfektion der Form nicht die Forderung lag, über sich selbst hinauszugehen. — Wenn K. Weiß sagt: „Die Kunst ist immer um ein tantum die verbo verschieden von einer Vollkommenheit; dieser Schmerz ist zugleich das Glück ihrer Zeitform" (Das gegenwärtige Problem der Gotik, S. 42), so wird man von diesem „Nur-Wort-Charakter" aller Kunst her verstehen, warum Matisse dazu 21

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