für die Darstellung sakraler Ereignisse zur Ver fügung hält. Doch alle diese Überlegungen setzen voraus, daß man bereits weiß, was das ist, zu dem die modernen Kunstrichtungen in einem Verhältnis der Affinität oder des unaussöhnbaren Gegen satzes gesehen werden: die sakrale Kunst. Selbst wenn man einige Zweifel dareinsetzt, ob so etwas wie eine Morphologie der sakralen Kunst möglich ist, kann man vielleicht doch versuchen, einige Gestaltzüge ihres Wesens in den Blick zu bekommen, die eine gewisse Abgrenzung gegen die sogenannte Profankunst erlauben. Dabei könnte sich durchaus ergeben, daß man sich umgekehrt fragen muß, ob nicht das Kunstwerk, wenn es eine gewisse Tiefe aufgebrochen hat, wo wir mit dem Bewußtwerden unserer ein maligen Bestimmung auf die blanke, vernichtigende und doch allein rettende Wirklichkeit Gottes stoßen, aufhört profan zu sein und bereits in die Sphäre des Sakralen reicht. Warum sollte Shakespeares „König Lear" profaner sein als Calderons „Großes Welttheater" oder Marees' „Werbung" profaner als Puvis de Chavannes' religiöse Monumentalfresken? Gleichwohl haben wir bei solchen Annäherungen das Gefühl, daß wir von „sakral" hier im xmeigentlichen Sinne sprechen. Ein Phänomen bestimmt sich auf der Maximalstufe seiner Ausbildimg, und wenn man zugibt, daß das Sakrale wie das ihm zugeordnete Heilige, dem es Ausdruck gibt, ein Phänomen ist im Sinne eines sich an ihm selber ausweisen den Seins, dann müßte es in seinem Auftreten, wo auch immer, uns unmittelbar überkommen imd zur Anerkenntnis zwingen. Wie schon ge sagt: es tritt nur an seinem geschichtlichen Ort auf und trägt die Stigmata dieser Geschichts verhaftung. Durchgehend aber ist ein Zug, wie mir scheint: der Bruch mit dem Rhythmus des Naturgeschehens. Das gilt selbst da, wo dieses Naturgeschehen die Folie abgibt für die jewei ligen Formen der Natursymbolik. Gerade das Natursymbol zeigt den ganzen unausfüllbaren Abstand zur Natur durch das Element Geome trie, Abstraktion, das in jeder Symbolgestalt enthalten und — gewollt ist. In diesem Bruch bezeugt sich, daß der Mensch nur durch das Opfer in die Ordnung des Sakralen eingeht. Die Kunst muß ihre blutende Wunde vorweisen, jene sichtbare Stelle, an der sie sich gewaltsam vom Naturfrieden getrennt hat, um als Kunst des Heiligen zu gelten. Indem sie eine andere Ordnung gegen die Natur Ordnung stellt, so ihren eigentlichen Charakter als Kunst behauptend, bekundet sie ihren Willen, die Schöpfungsordnxmg als die allein vollendete Ordnung nicht einzuholen oder gar zu überbieten, sie also in keinem Sinne, auch nicht für ihre „heiligen" Zweche, sich dienstbar zu machen. Das Sakrale ist das der Natur Entnommene. Das bedeutet sehr konkret, daß es das von Gott Angenommene sein muß. Das Opfer vollendet sich erst in der Annahme von Seiten Gottes. Nachdem Salomen alle Zurüstimgen getroffen, den Tempel zu dem herrlichsten, schätzereich sten Bau der Erde gemacht hatte, mußte den noch erst die Wolke sich herablassen, in der die Herrlichkeit Gottes wohnt, damit dieser Ort wirklich vor allen Orten der Erde ein heiliger Ort sei, der Ort, auf dem Seine Füße stehen. — Es ist sicher jenseits alles Beweisens und allge meinverbindlichen Redens, aber nichts hindert zu glauben, daß es unter den Sakralräumen des Christentums solche gibt, in denen man das Gefühl haben darf, daß sie nicht nur aus der Natur entnommen, sondern auch von Gott an genommen sind; das erst macht einen Sakral raum, ein Werk der sakralen Kunst zu dem, was sie sein wollen, wie ein nach der Voll kommenheit strebender Christ erst ein Heiliger ist, wenn er, sein Leben, von Gott als Opfergabe angenommen wurde. Damit soll nichts anderes gesagt sein, als was P^re Regamey in dem klaren Satz ausspricht: „Keinerlei menschliches Stre ben kann das Sakrale erreichen." Dieses ist „als Geschenk, als Zugabe, als Gnade zu empfangen" (Kirche und Kunst im XX. Jh., S. 51). Es sind also viel Ungreifbarkeiten in dieser allerersten Umgrenzung des Sakralen. Und wenn nun im folgenden die Wirklichkeit der modernen Kimst in ihren verschiedenen Formtendenzen mit ihm konfrontiert werden soll, so können wir uns auf kaum mehr beziehen als auf gewisse Erfahrungen mit Sakralräumen, Sakralgegenständen, durch die wir glauben, von einer Wirklichkeit ganz anderer Ordnung als die unserer gewöhnlichen Lebenswelt getroffen worden zu sein. Vielleicht aber zeigte sich, wenn man die Unterscheidung bis ans Ende vortriebe, daß das Sakrale als Er scheinung des Heiligen ein Eines und Einmaliges jener Höhe ist, in der sich die Quellnatur des Seins bezeugt. Das würde uns auch davor be wahren, das Sakrale auf feste Formschemata, hieratische Formgebäude, auf Gesetze über die Verwendung bestimmter Materialien usw. fest zulegen, und uns ermutigen, uns für alle ge schichtlichen Entfaltungen des Sakralen offen zuhalten und unentwegt an ihre Ermöglichung in jeder geschichtlichen Stunde, also auch der unsern zu glauben. II. Die drei „Reiterbilder" Hans von Marees' wa ren im ausgehenden 19. Jh. wohl die letzten der überaus seltenen Schöpfungen eines reli19
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