Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 1

durch das, was ich den Rhythmus der Schönheit nenne. Rhythmus ist die erste ästhetische Beziehung von Teil zu Teil in einem ästhetischen Ganzen oder eines ästhetischen Ganzen zu seinem Teil oder den Teilen oder eines Teiles zum ästhe tischen Ganzen, von dem es ein Teil ist. Kunst ist die menschliche Anordnung gefühlsmäßigen oder verständigen Materials zu einem ästhe tischen Ziel. Von diesen Dingen zu sprechen, und zu versuchen, ihre Natur zu verstehen, und sie verstanden habend, zu versuchen, sie lang sam und demütig und dauernd auszudrücken, herauszudrücken aus der groben Erde oder was sie hervorbringt, aus Klang und Gestalt und Farbe, die die Grefängnistore imserer Seele sind, ein Bild jener Schönheit zu geben, die wir zu verstehen begannen — das ist Kunst. Aquinas sagt, das sei schön, dessen Erfassung befriedige: pulcra sunt quae Visa placent. Er benutzt das Wort „visa", um ästhetische Erfassung aller Art zu umschließen, sei es durch Sehen oder Hören oder andere Möglichkeiten der Erfassung. Dieses Wort, obwohl vag, ist klar genug, um Gut tmd Böse auszuschließen, die Sehnsucht und Abscheu hervorrufen. Es meint sicherlich Stasis und nicht Kinesis. Und wie ist es mit dem Wahren? Es ruft ebenso eine Stasis des Geistes hervor. Plato, glaube ich, sagt, daß Schönheit der Glanz des Wahren ist. Ich glaube, daß dies heißt, daß das Wahre und Schöne iden tisch ist. Wahrheit wird durch den Intellekt erkannt, der durch die zufriedenstellendsten Beziehungen des Intelligiblen befriedigt wird: Schönheit durch die Imagination, die durch die zufriedenstellendsten Beziehungen des Gefühl ten befriedigt wird. Der erste Schritt zur Wahr heit besteht darin, den Rahmen imd den Umfang des Intellekts zu verstehen, den Akt des Verstehens selbst zu begreifen. Das gesamte System des Aristoteles beruht auf seiner Psychologie, und das auf seiner Feststellimg, daß die gleiche Eigenschaft nicht zur selben Zeit und im selben Zusammenhang dem gleichen Subjekt ange hören und nicht angehören kann. Der erste Schritt in die Richtung der Schönheit besteht darin, den Rahmen imd den Umfang der Imagi nation zu verstehen, um den eigentlichen Akt der ästhetischen Erfassung zu begreifen. Der Grieche, der Türke, der Chinese, der Kopte, der Hottentotte bewundern alle voll kommen verschiedene Arten weiblicher Schön heit. Das scheint ein Labyrinth zu sein, aus dem wir nicht entkommen können. Ich sehe aber doch zwei Auswege. Einer ist diese Hypothese: daß jede physische Qualität, die von Männern an Frauen bewundert wird, in direktem Zusam menhang mit den verschiedenen Aufgaben der Frau zur Vermehrimg der Art besteht. Es mag so sein. Für meinen Teil liebe ich diesen Ausweg nidit. Er führt eher zur Eugenik als zur Ästhe tik. Die andere Hypothese ist diese: daß, obwohl das gleiche Objekt nicht allen gleich schön er scheinen mag, alle Leute, die ein schönes Objekt bewundern, in ihm bestimmte Beziehungen fin den, die befriedigen und mit den Stadien ästhe tischer Erfassimg oder Erkenntnis übereinstim men. Diese Relationen des Gefühlsmäßigen, dir durch die eine Form und mir durch die andere sichtbar, müssen daher die notwendigen Quali täten der Schönheit sein. Die zufriedenstellend sten Beziehungen des Gefühlsmäßigen müssen daher zu den notwendigen Phasen der künst lerischen Erfassung korrespondieren. Aquinas sagt: Ad pulchritudinem tria requiruntur: integritas, consonantia, claritas. Ich übersetze so: Drei Dinge sind der Schönheit not: Ganzheit, Harmonie und Strahlung. Entsprechen sie den Phasen der Erfassung? Stephen deutete auf die Fleischertasche, die ein Fleischerjunge über seinen Kopf gelegt hatte. Um diesen Korb zu sehen, trennt dein Geist zuallererst den Korb vom Rest des sichtbaren Universums, das nicht jener Korb ist. Die erste Phase der Erkenntnis oder des Erfassens ist eine Grenzlinie, die um das Objekt gezogen wird, um es zu erfassen. Ein ästhetisches Bild wird uns entweder in der Zeit oder im Raum gegeben. Was hörbar ist, wird in der Zeit gege ben, was sichtbar ist, im Raum. Aber zeitlich oder räumlich, das ästhetische Bild wird zuerst erleuchtet erfaßt als etwas, das selbstbegrenzt und selbsterfüllt ist auf einem unmeßbaren Hintergrund des Raumes oder der Zeit, der es nicht ist. Du erkennst es als ein Ding. Du siehst es als ein Ganzes. Du erfaßt seine Ganz heit. Das ist integritas. Dann gehst du von Punkt zu Punkt, durch seine formalen Linien geführt, du erfaßt es als im Gleichgewicht Teil gegen Teil innerhalb sei ner Grenzen, du fühlst den Rhythmus seiner Struktur. Mit anderen Worten, der Synthese der unmittelbaren Perception, folgt die Analyse der Erfassung. Nachdem du zuerst fühltest, daß es ein Ding ist, fühlst du nun, daß es ein Ding ist. Du erfaßt es als komplex, vielfach, teilbar, trennbar, aus seinen Teilen bestehend, das Er gebnis seiner Teile und ihre Summe, harmo nisch. Dies ist consonantia. Die Nebenbedeutung des Wortes claritas ist ziemlich vage. Aquinas benutzt einen Terminus, der ungenau erscheint. Es würde einem glauben machen, daß er Symbolismus oder Idealismus meint, daß die höchste Qualität der Schönheit ein Licht einer anderen Welt wäre, von deren 16

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2