und aus der sakral gebundenen Kunst wurde eine säkularisierte, auf den Menschen bezogene Kunst, den Menschen als Ende in sich selbst be trachtend. Dazu gehören auch alle Formen der zeitgenössischen Kunst, die eine individuelle Interpretation gegen die Objektivierung der Darstellung setzen. Wenn sich nun die reale Erkenntnis, wie wir von Bonaventura hörten, dem Einzelnen ent zieht, so bleibt nur der vom Verstand bedingte Glaube, der im Mysterium der Offenbarung als letzter geistiger Realität seine Erfüllung findet. Das credo quia absurdum wird hier zu einer Bedingung des künstlerischen Daseins, das ihn erst dem Geheimnis der Schöpfung in jeder Be deutung öffnet. Erst diese geistige Realität, die damit eingeschlossen erscheint, zutiefst abend ländisch, vermag ihn dem Geheimnis zu öffnen, das zwischen den Bedingungen des Daseins und der Offenbarung liegt. Und über alle Erkennt nis des Daseins hinaus bleibt jene letzte Lösung und Erlösung menschlichen Strebens bestehen, die — gestehen wir es — feststellt, daß die Er kenntnis der letzten geistigen Realität nicht im Tun der Martha besteht, sondern in der scheuen, anbetenden und dienenden Liebe der Maria, die sich keine Sorgen Mädit ühi das Diesseits. Die ganz dem gläubigen Hinhorchen auf die geoffen barte letzte Wirklichkeit gegeben ist. Mag nun dieser Standpunkt vielleicht auch jedes künst lerische Bemühen als ein begründetes prometheisches Sein auflösen, so erscheint es doch in dieser etwas paradoxen Sicht nicht als unnütz. Denn wenn wir überhaupt als Künstler berufen erscheinen, so haben wir kraft unseres göttlichen schöpferischen Attributes mit dem in uns geleg ten Talent zu wuchern, notfalls abseits vom Beifall der Menge, wir haben Zeugen zu sein für Ordnung imd Gleichnis einer höheren Wahr heit, die über die menschlichen Gegebenheiten hinaus das aussagt, was offenbar wurde: jenes mysterium tremendum der Erlösung des Men schen durch den Opfertod Gottes. Das Mysterium der Liebe, die überwindet, jene letzte unbegreif liche Liebe, der der irdische Eros nur trübes Spiegelbild abgibt, gesehen durch ein Glas, dun kel, aber später von Angesicht zu Angesicht. Lassen wir aber jetzt James Joyce sprechen, der wohl für unser Jahrhundert am klarsten über das Geheimnis künstlerischen Schaffens zu einer geistigen Realität den Standpunkt eines großen schöpferischen Menschen festgelegt hat. Portrait of fhe Artisf as a young man. S. 159 ff. Aristoteles hat Mitleid nicht definiert. Ich habe es. Mitleid ist das Gefühl, das den Geist in Gegenwart alles dessen ergreift, das schwer imd dauernd an menschlichem Leid erscheint und ihn mit dem leidenden Menschen vereint. Schrecken ist das Gefühl, das den Geist in Ge genwart alles dessen ergreift, was immer schwer und dauernd an menschlichem Leid erscheint und ihn mit der geheimen Ursache vereint. — Ein Mädchen stieg vor einigen Tagen in London in eine Droschke. Es war auf dem Weg, um seine Mutter zu treffen, die es für einige Jahre nicht gesehen hatte. An einer Straßenbiegung durchstieß der Schaft eines Wagens das Fenster der Droschke in Gestalt eines Sterns. Eine lange, feine Nadel zersplitterten Glases durchstieß sein Herz. Es starb im Augenblick. Der Bericht erstatter nannte es einen tragischen Tod. Er ist es nicht. Er ist fern von Schreck imd Mitleid nach meinen Definitionen. Die tragische Emotion ist in Wahrheit ein Gesicht, das nach zwei Seiten blickt, gegen den Schrecken und gegen das Mitleid, die beide Phasen davon sind. Du siehst, ich benutze das Wort „ergreift" (arrest). Ich meine damit, daß die tragische Emotion statisch ist. Genauer die dramatische Emotion ist es. Die Gefühle, die unrichtige (improper) Kunst erregt, sind kine tisch, Verlangen oder Abscheu. Verlangen drängt uns zu besitzen, auf etwas zuzugehen, Abscheu drängt uns, etwas zu verlassen, von etwas weg zugehen. Die Künste, die sie erregen, porno graphisch oder didaktisch, sind daher imwahre Künste. Die ästhetische Emotion (ich benutze den allgemeinen Ausdruck) ist daher statisch. Der Geist wird ergriffen und über Verlangen und Abscheu erhoben. Das Verlangen und der Abscheu, die durch unrichtige ästhetische Mittel hervorgerufen wer den, sind in Wahrheit nicht ästhetische Emotio nen, nicht nur, weil sie kinetischen Charakter besitzen, sondern auch, weil sie nicht mehr als physisch sind. Unser Fleisch zuckt vor dem zu rück, was es fürchtet und antwortet dem Stimu lans dessen, wonach es verlangt, durch eine reine Refiexhandlung des Nervensystems. Unser Augenlid schließt sich, bevor wir bemerken, daß uns eine Fliege ins Auge eindringen will. Schönheit, die durch den Künstler ausgedrückt wird, kann in uns nicht eine kinetische Emotion erwirken oder eine Sensation, die rein physi scher Natur ist. Sie erweckt in uns oder sollte erwecken, sie veranlaßt oder sollte veranlassen eine ästhetische Stasis, ein ideales Mitleid oder einen idealen Schrecken, eine Stasis, hervor gerufen, verlängert und schließlich aufgelöst 15
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