Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 1

erscheint nun nicht gleichgültig, wo diese Ele mente zu stehen kommen. Selbst der Punkt er hält seine andere Bedeutimg links unten oder rechts oben im harmonikalen Verhältnis oder im dissonanten zur Fläche, die stellvertretend für ein Ganzes steht. Damit aber ist eine immanente Hierarchie der Bedeutung imd Werte impliziert. Ein Problem, dem Klee die Gesamtheit seines Oeuvres widmete, auf der Suche nach jener reinen Umdeutung der bildnerischen Mittel als Sprache einer objektiven, geistigen Wirklichkeit in der Kunst. Jeder bildnerische Schritt auf der Fläche ist Entscheidung in Hinblick auf eine Ordnung, deren Gesetz sich der Künstler im ersten Augenblidc einer Setzung unterwirft. In diesem Sinne trägt das erste Wort das Gedicht oder das Buch in sich, der Gnmdstein den Bau. Wenn wir nun auf das Wesen der Einzelform übergehen, um vorläufig von der Gesamtform eines Kunstwerkes abzusehen, so können wir sie als die Erfüllung einer Darstellung erkennen, die das Eigentliche eines Partikulären zum Aus druck bringt. Am Beispiele der Darstellung einer Hand würde das heißen: eine Gestaltung, die das Wesen, die Funktion, die vielfältige Funk tion der Hand zur Anschauung bringt, sichtbar macht, versinnbildlicht. In dem Augenblick, in dem mm die Wesenheit des Partikulären am reinsten erfaßt wird, hat auch die künstlerische Form ihren Höhepunkt erreicht. Der partiku laren Form übergeordnet erscheint der Begriff. Er ist die höher bezogene Funktion, die aber noch Teilerscheinung bleibt. Um im Gleichnis zu bleiben, wäre der Begriff im Verhältnis zur Hand der Arm, dem mm als höhere Einheit seine eigene in höherem Maß bezogene Qua lität der Form zukommt, wie er auch höher be zogene Funktion ist. In dem Maß nun, in dem man die Form Hand in Relation zu dem Begriff Arm zu setzen vermag, erscheint er eindeutiger bezogen. Über den Begriff nun wieder erscheint die Gestalt. In diesem Beispiel die sinnvolle Gliederung des Menschenkörpers, In ihm ent halten ist Form und Begriff, bekommen ihre geistige Bezogenheit zu einer die bloße Funk tion überschreitenden Wirklichkeit, zur Sinn gebung. Die Gestalt ist dabei mehr als die Summe der Teile, sie überschreitet sie in Hin blick auf eine höhere Beziehung, aus der sie nicht zu lösen ist, so wie Selbsterkenntnis nicht aus dem Bereich des Erkennens des Andersseins zu trennen ist. Wir sehen, wie hier eine sinn volle imd strukturelle Beziehung von einem zum anderen führt und eine Werthierarchie for dert. Diese Hierarchie ist dabei nichts anderes als Gleichnis einer höheren Gliedenmg. Schon aus dieser Erkenntnis heraus muß die Frage nach jenem erkennbaren und ahnimgsvollen Wahren gestellt werden, das über der Gestalt imd die Zusammenstellung der Gestalt möglichkeiten zu einem sinnvollen Ganzen in einem höheren Zusammenhang führt. Aus ihrem strukturellen Fortschreiten allein schon ist es immöglich, daß sie in sich beschlossen bleiben. Die Notwendigkeit ihres Zusammenhanges im künstlerischen Gestaltungsprozeß, der darauf aus ist, immer größere Einheiten fest- und her zustellen, deutet darauf hin, daß ihnen über geordnet ein Gesetz besteht, das Wahrheit, gei stige Wirklichkeit darstellt. Damit aber kom men wir zum Verhältnis der künstlerischen Dar stellung zur Natur als Anlaß des Erlebten und Erkennbaren. Und damit zu den Begriffen des Erkannten und Gewußten. St. Bonaventura (1221—1274) sagt: „Was heißt es zu wissen? Sicher zu sein, Sicherheit zu erreichen. Und solche Sicherheit setzt Unveränderlichkeit in dem Gewußten voraus, Unfehlbarkeit in dem Wissenden. Hier haben wir keines von beidem. Denn hier ist alle Wahrheit, da sie geschaffen, relativ und das Geschöpf, das weiß, kann aus demselben Grimd nicht unfehlbar sein. Nur der Schöpfer selbst kann beides geben, Unfehlbar keit dem Wissenden und Unveränderlichkeit dem Gewußten. Und die Unterscheidung zwi schen Schöpfer und Geschöpf ist eine, die jeder zeit klar festgestellt werden muß." Nach dieser Abgrenzung aber stellt Thomas von Aquin fest: „Die Seele ist die Form des Kör perlichen. Das Prinzip der körperlichen Struktur imd des organischen Lebens der Empfindungen und Gedanken, Essenz und Existenz sind auf einander bezogen. Wenn nun Essenz und Exi stenz sich so zueinanderverhalten,so gibt es in jedem zeitlichen Ding zwischen seiner Essenz und seiner Existenz eine gewisse metaphysische Spannung, die metaphysische Komposition! Während Existenz Essenz verwirklicht, gibt die Essenz die Grenzen, in denen Existenz um schrieben wird." Damit erscheint auch das Problem künst lerischer Gestaltung geklärt. Soweit Form Exi stenz umreißt, ist Essenz gegeben. Und um gekehrt. Das aber setzt im Bereich des Künst lerischen eine Form der Gestaltung voraus, der Form und Formgleichnis untergeordnet wird, um zu jenem höheren Bezug zu kommen, den James Joyce Epiphanie nennt. Im ersten Korintherbrief (XIIl/12) heißt es: „Wir sehen nun durch ein Glas, dunkel, aber dann von An gesicht zu Angesicht." Auf die Kunst bezogen heißt dies, daß alle Formen unserer Darstellung nur Annäherungsgleichnisse an jene höhere Wahrheit, die geistige Realität, die Offenbarung des Göttlichen in dieser Welt sind. Wie Ockham sagt: „Form kann nicht bei uns als ihr Selbst 13

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