Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 1

fassen, seiner geistigen Konzeption, sofern sie vorhanden, ein gleichgerichtetes Äquivalent zu geben. Diese Einfügung nun muß, darüber kann kein Zweifel sein, so weit gehen, daß sie selbst die Einzelform einer wie immer gearteten Dar stellung ergreift. Das wird jeder bestätigen müssen, der je vor dem Problem stand, einen Entwurf auf die innerhalb der Architektur ste hende Fläche zu übertragen. Die Gesetze, die hier auftreten, sind die Gesetze der Fläche, die in ihrem architektonischen Gefüge nicht zer stört werden darf, sondern rhythmische Glie derungen im Sinne der Deutimg und Bedeutung des Baugedankens zu sein hat. So muß die Form und damit der Sinn der Grestaltung einer Innenraumwand von dem einer Außenraumwand verschieden sein. Denn: gibt die Innenraumwand einem Bau seine Erfüllung, so dient die Außenraumwand zur Kennzeichnung des Bau gedankens: das Wesen der Fassade. Eine male rische Darstellimg an der Außenwand eines Baues hätteder sinnvollenZeichengebung für den Verwendungszweck des Baues zu dienen, vom reinen Schmuckzweck abgesehen, während ein Wandgemälde im Innenraum die geistige Er füllung seiner Bedeutung zu sein hätte. Wieder anders stellt sich das Problem des Tafelbildes dar. Phänomenologisch ist es das sich aus der Wand ablösende Teilstück eines Ganzen, das in einen Rahmen gesetzte Büd, das selbst zu einem Ganzen wird. Der Rahmen, der es be grenzt, ist nicht mehr der Rahmen einer einem höheren Sinn zugewendeten Architektur, son dern ein Partikuläres, das stellvertretend für ein Ganzes stehen soll. Der Rahmen, zuerst nur Begrenzung, wird später Fenster, Fenster in die Welt, das Einblick imd Ausblick gibt. Seine Ziergestaltung unterstützt diesen Gedanken, seine Schwere imterstreicht ihn. Seine Existenz fördert imd imterstützt die Illusion der Darstel limg, die sich von der Erfassimg des konkret Wirklichen zu der des Atmosphärischen steigert. Gleich zugehörig ist aber beiden Elementen — Wand und Tafel oder Leinwand — die Fläche. Die Fläche, auf der der Künstler mit den Ele menten der Malerei — Farbe und Linie — die gleichnishafte Darstellung von Erkenntnissen zu geben hat, Erlebnissen jener geistigen Realität, deren Begriff später zu klären sein wird. In Hinblick auf die Realität, aus der der Künstler Erkenntnisse in Form seines Erleb nisses schöpft, sagt Descartes: „Der Raum ist die eine absolute und unbedingte Realität. Er ist Attribut der Dinge, ohne das ihre Existenz un möglich ist." Und Kant verfeinert später diese Definition, wenn er sagt, daß der Raum nicht notwendigerweise eine externe Realität ist, son dern die geistige Bedingung der Perzeption. Diesen philosophischen Erkenntnissen über den Raum entsprechen Resultate der Psychologie und Physiologie, die im Menschen ein leben diges Organbewußtsein für oben und unten, rechts und links etc., also ein geistiges Koordi natensystem des Raumes, das Cyon sogar auf ein im Innenohr gelagertes Sinnesorgan zu rückführt,gefundenhaben. Es ist der Raum, unser Erlebnisraum (dem u. a. die Arbeiten Jakob v. Uexkülls gegolten haben) unsere Umwelt, in der sich Erkenntnis und Erlebnis darstellen. Da nun Erkenntnis und Erlebnis nicht vom Raum abzutrennen sind, muß die Malerei — und jede bildende Kunst —, sofern sie Anspruch auf gleichnishafte Versinn bildlichung geistiger Realität erhebt, gleichnis hafte Darstellung des Raumes sein. Dies nun ist eine Tatsache, die wir innerhalb der Kunst geschichte feststellen können. Gleichzeitig zeigt sich aber, daß sich im Verlauf der Epochen die Form der Darstellung in gleichem Schritt mit dem Wandel der geistigen Vorstellung und Er kenntnis des Menschen von dem ihn umgeben den Raum verändert. Innerhalb der Veränderungen der Raumvorund -darstellungen auf der Fläche haben sich aber deren Elemente in der Malerei nicht ge wandelt. Nach wie vor sind es Linie imd Farbe trotz aller Akzentverlagerungen. Wir wollen sie als nächstes Element künstlerischer Form be trachten. Klee schildert die Ausdruckswerte dieser Urelemente äußerst anschaulich: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar. Formelemente der Graphik sind: Punkte, lineare, flächige und räumliche Energien. Über den toten Punkt hinweggesetzt sei die erste be wegliche Tat (Linie). Nach kurzer Zeit Halt, Atem zu holen (unterbrochene oder bei mehr maligem Halt gegliederte Linie), Rückblick, wie weit wir schon sind (Gegenbewegung). Im Greist den Weg dahin und dorthin erwägen (Linien bündel). Ein Fluß will hindern, wir bedienen uns eines Bootes (Wellenbewegung). Weiter oben wäre eine Brücke gewesen (Bogenreihe). Wir durchqueren einen umgepflügten Acker (Fläche von Linien durchzogen), dann einen dichten Wald. Er verirrt sich und sucht und beschreibt einmal gar die klassische Bewegung des lau fenden Hundes." Aus diesen klärenden und erklärenden Wor ten Klees wird die antropomorphe Bezogenheit der Darstellung deutlich, von der ich sprach. Denn was anderes sind diese Ausdruckselemente, als aus den Körperschemata des Menschen, sei ner körperlich rhythmischen Ausdruckswelt entwickelte Projektionen, die gleichnishaft Zuständliches darstellen. Gegenüber die Fläche: Es 12

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