Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 1

der Compassio durch eine Kreuzigung oder eine Pietä oder die Liebe zu Christus durch die Johannes-Christusbilder oder die Darstellung der religiösen Ekstase zur Erregung des gleichen Gefühles. Diese Bilder treten historisch gesehen vor allem im Zusammenhang mit der Mystik und der Gegenreformation auf. Als weitere Gruppe lassen sich religiöse Bil der feststellen, deren Wesen in der unmittel baren Gegenüberstellung des Betrachters mit einer Person liegt, die in einer weitgehenden Identifikation im Büd repräsentiert wird. Das ist die Gruppe des Andachtsbildes. Bei diesen wird aus historischen Szenen eine Einzel person isoliert mit der Absicht, deren für den Einzelfall der Andacht wichtige heilsgescfaichtlidie Funktion zusammenzufassen imd im Bild unter Einschluß der damit zusammenhängenden Spekulation und der unmittelbaren Wirkimg auf den Betrachter zu repräsentieren. Den Idealfall dieser Gruppe stellt zweifellos das Marienbild dar, dessen Haupttypen, die Nikopoia und Hedegetria zur Hauptsache aus dem Epiphaniebild isoliert, die thronende, schließlich stehende Maria mit Kind zeigen, während die Eleousa und Psychosostria mehr auf das Gefühl des Be trachters Rücksicht nehmen. Die größte Zahl aller Marienbilder bis ins Barock stammen ikonographisch aus Kopien dieser Typen. Neben diesem steht das Christusbild, das als göttlichen, nicht von Menschenhänden gemach ten Ursprunges gilt, an erster Stelle. Zum ge heiligten Charakter dieser Bilder gehört die Authentizität. Ebenso wie das Marienbild hat dieses Christusbild — das Maiidilion — eine Jahrtausende überdauernde Tradition. In gleicher Weise handelt es sich bei jedem Heiligenbild, das der Andacht gewidmet ist, um Repräsentation. In hervorragender Weise gilt das für die Bilder der byzantinischen Kirche, aber die Erklärung des II. Nizeanum von 787: „wer ein Bild verehrt, verehrt die darin dar gestellte Person" gilt schließlich für die ganze Kirche. Am klarsten ist das Verhältnis von Bild und Dargestelltem für diesen Fall durch Th. Studion: „Wie zum Siegelstempel der Siegelabdruck, wie zu jedem Körper sein Schatten, so gehört zum Prototyp der heiligen Person die Ikone" aus gedrückt oder die Vergleichung des Johannes Damascenus, der das Verhältnis zwischen Ab bild und Vorbild dem zwischen Gottvater und Christus gleichstellt und meint, das Bild habe Teil an der Heiligkeit des Vorbildes, so sei das Bild Christi ebenso eine symbolische Repräsen tation der Inkarnation, wie die Liturgie der Passion. Bei diesen Bildern besteht die größte Nähe zum antiken Kultgegenstand. Streng genommen ist aber eine echte Repräsentation Christi außer in der Euciharistie nicht möglich. Bei allen Bildern steht zwischen der gedank lichen Konzeption und der künstlerischen Ge staltung die Interpretation. Die Erfas simg und Verwertung eines bestimmten Inhalts durch den Künstler in mehr oder weniger sub jektiver Form erst macht für den Betrachter die unmittelbar visuelle Erfassung des gemein ten Inhalts möglich. Von der Person des aus führenden Künstlers ist dabei einerseits die Interpretation des Inhalts, anderseits die mög lichst große Adäquanz zwischen Inhalt und Form abhängig; es ist das das Phänomen der Kongruenz zwischen einem gegebenen Inhalt und einerzeitgebundenenForm. Die Formselbst besitzt auch in der subjektiv vom einzelnen Künstler geprägten Art immer eine gewisse Relativität. Diese Relativität der zeitgebundenen Form ist eine Frage des Stils, die weit über das Gebiet der sakralen Kunst hinausgeht. Bei diesem entsteht aber im Zusammenhang mit den vorhin aufgestellten vier inhaltlichen Grup pen religiöser Bilder eine weitere formale Frage nach dem Zusammenhang zwischen Form und Inhalt, soweit dieser eine formale Differenzie rung nach den inhaltlichen Gruppen ermöglicht. Niemals wird es möglich sein, eine zeitgebun dene Ausdrucksform, das heißt einen bestimm ten Stil für den religiösen Ausdruch geeigneter finden zu können als einen anderen. Innerhalb der Ausdrucksmöglichkeit eines Stils aber gibt es Formen, die für die verschiedenen inhalt lichen Aufgaben mehr oder weniger geeignet sind und daneben gewisse Forderungen, die die inhaltlichen Aufgaben an die formale Ausfüh rung stellen. Daraus ergibt sich ein Zusammen hang zwischen Inhalt und Form, der stilüber geordnet ist und der im folgenden untersucht werden soll. Die wesentliche Forderung der didaktischen Bildgruppe ist die der Ablesbarkeit, wie des deutlichen Zusammenhanges mit dem Worttext. Daraus folgt ein illustrativer Charakter der Bilder. Die illustrative Form eines Bildes wird nun in jedem Stil anders aussehen; man kann nidit von einem — zeitlich ungebundenen — „illu strativen" Stil sprechen. Jeder Stil aber wird eine illustrative Möglichkeit seines Ausdrucks haben. So wird je nach der Ausdruchsintention auch mit drastischen Mitteln illustriert werden können, immer aber wird die Lesbarkeit dieser Bilder auch eine formale Grenze der Darstel lung setzen. 10

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