Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 1

G. Egger Sfrukfuranalyse der sakralen Kunst Sakrale Kunstwerke sind jene, die in unmittel barem Zusammenhang mit dem „Sacrum", also der religiösen Vorstellimgswelt und den religiösen Handlungen stehen. Es handelt sich dabei nicht um die religiöse Komponente in der Kunst überhaupt, sondern nur ganz streng um religiös — das heißt kultisch und andachtsmäßig — gebundene Kunstwerke. Diese sollen aus einer 17 Jahrhunderte überdauernden Geschichte der christlichen Kunst analytisch auf ihre Struk tur untersucht werden. Diese Untersuchung zer fällt vorerst in eine Frage des Inhalts und eine Frage der Form. Dem Inhalt nach können die religiösen Kunst werke in zwei Gruppen geschieden werden: 1. Kimstwerke, die in unmittelbarem Zusam menhang mit den religiösen Handlungen, also dem Kult, stehen, und 2. solche, die dem reli giösen Ausdruck dienen. Die Kunstwerke der ersten Gruppe umfassen den Kultraum, das Kultgerät und den Kultgegenstand. Bei Kult raum xmd Kultgerät besteht in den entscheiden den Beispielen ein unmittelbarer Zusammen hang des Kunstwerkes mit liturgischen Bestim mungen, was im einzelnen nachzuweisen eine umfangreiche Aufgabe ist, die hier nur beispiel haft angedeutet werden soll. (Im Näheren ver weise ich auf meine beiden Aufsätze: Ursprung und Wesen des christlichen Kultbaues, Christ liche Kunstblätter 1955, S. 94 ff., und Liturgie als Grundlage sakraler Kunst, Christliche Kunst blätter 1956, Heft 3, S. 2 ff.) Es handelt sich hier vor allem um den Zusammenhang räumlicher Anordnungen und Formen mit liturgischen Vor gängen, Bewegimgen und Abfolgen, Der wesentliche historische Schnittpunkt ist hier in der Zeit Konstantins gelegen, mit dessen Kirchenbefreiung nicht nur der ICirche die Mög lichkeit geboten wurde, ihre Gottesdienste in der Öffentlichkeit abzuhalten, sondern auch liturgische Veränderungen der hl, Messe ein geleitet wurden, die auf die feierliche Abhaltung des Gottesdienstes abzielten. Nicht nur diese Einrichtungen, sondern auch die ersten Kirchen gebäude lassen sich auf die Initiative des Kaisers selbst weitgehend zurückführen. Solange nun — und das ist bis in unser heutiges Meßritual — Einzug, Prozession und Feierlichkeit und eine gewisse räumlich sich auswirkende Abfolge im Gottesdienst beibehalten werden, erhielt sich auch der langgestreckte Richtimgsbau als Haupt typus des Kirchengebäudes mit einem eindeutig 8 bestimmten Eingang imd einem ebenso ein deutig bestimmten Zielpunkt im Altarraum, der umgekehrt die Fimktion des Ausstrahlungs punktes hat. Dieses System des Richtungsbaues blieb trotz mancher Sonderlösimgen und stil gebundener Abwandlxmgen immer das räum liche Äquivalent zur Liturgie der hl. Messe. Wie entscheidend der kultische Vorgang für die räumliche Gestalt ist, zeigt ein völlig anderes Beispiel aus den frühen Jahrhunderten des Christentums: der Zentralbau, der ganz ein deutig für zwei Aufgaben in Verwendimg stand: den Grab- und Memorienbau und das Baptisterium (s. dazu: G. Egger, Die Bedeutung des Zen tralbaues für die mittelalterliche Architektur, Mitt. d. Gesell, f. vergl. Kunstforschung). Der betonte Punkt in diesen Räumen ist die Mitte, die raumentscheidende Achse nicht die waag rechte Richtung nach vorn, sondern die Senk rechte. Die entsprechendekultischeHaltung und Bewegung ist daher das Umstehen und Umschreiten der Mitte, was tatsächlich bei Begräb nis und Taufritualien das Entscheidende ist. Ebenso stark wie beim Raum ist der Zusam menhang beim Gerät, bei dem, abgesehen von dem formbestimmenden Gebrauchszweck, wie etwa bei einem Kelch, auch liturgiegebundene Bestimmungen existieren, wie z. B. der Zusam menhang der Monstranz mit der Einführung des Fronleichnamsfestes im Jahre 1264 durch Papst Urban IV. Der dritte Punkt, der Kultgegenstand, scheidet aus der christlichen Betrachtung streng genom men aus. In den vorchristlichen Religionen — mit Ausnahme des Judentums — ist ein Götter bild Mittelpunkt des Kultes, vor dem geopfert wird und das die Gottheit repräsentiert. Der Mittelpunkt des christlichen Kults — den eigentlichen bildlichen Kultgegenstand verdrän gend — ist die Eucharistie. Es gibt deswegen die Sichtbarmachimg der Eucharistie entweder durch die Aufhängung eines Ziboriums, einer Pyxis oder einer Hostientaube oder durch die Elevatio der Hostie oder die Expositio der Monstranz. Das alles ist aber eine Frage des Gerätes. Daneben gibt es das Symbol, das in gewisser Weise in den Mittelpunkt des Kults treten kann. Das gilt allerdings streng genommen nur vom Kreuz, das als „echtes" Symbol an hervor ragender Stelle imter den symbolischen Zeichen der christlichen Kunst steht. Zeichen wie etwa das „XP" können wohl in unmittelbarer Kult-

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