Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 1

KUNSTBLÄTTER HEFT 1/1957 95. JAHR

INHALT MORPHOLOGIE DER SAKRALEN KUNST Günter Rombold SEITE PHÄNOMENOLOGIE DES HEILIGEN UND DES DÄMONISCHEN NACH DEN HEILIGEN SCHRIFTEN Bernhard Honssler 2 STRUKTURANALYSE DER SAKRALEN KUNST G. Egger 8 KÜNSTLERISCHE FORM UND GEI STIGE REALITÄT C. Pack n DIE HISTORISCHEN RICHTUNGEN DER MODERNEN KUNST IM SAKRALEN RAUM W. Warnoch T7 DIE PFARRKIRCHE IN SALZBURGPARSCH Otto Mauer 25 BUCHBESPRECHUNGEN Neuerscheinungen zur Kunst der Gegenwart 28 Die REDAKTION dankt Herrn Dozent DDr. Gerhard Egger (Wien), Herrn Dr. Günter Rombold (München) und Möns. Otto Mauer (Wien) für die Gestaltung dieses Heftes. Titelbild: Johannes, Seher auf Patmos; Detail des modernen Taber nakels von Hanns Angerbauer, Steyr, für den gotischen Flügelaltar in Gampern. EINZELPREIS DES HEFTES: 12,50 SCHILLING CHRISTLICHE KUNSTBLÄTTER, Eigenfümer, Verleger und Herausgeber: Diözeson-Kunsfverein, Linz o. d. D., Herrenslrofje 19. Schriflleiter: Pro fessor Dr. Norbert Miko, Linz, Petrinum. — Für die Diözese St. Pölten: Prälat Dr. K. B. Frank, St. Pölten, Domplatz 1. — Der Jahrgang besteht aus 4 Heften. Bezugspreis für den ganzen Jahrgang: 50 S. Postscheck konto Wien 26.090; für das deutsche Bundesgebiet 10 DM, PostscheckamtMünchen, Konto Nr. 120.088; für das übrige Ausland 2 Druck: Jos. Feichtlngers Erben, Linz. —- Klischees: Kübler & Co., KG., Linz.

Günter Rombold Morphologie der sakralen Kunst Unter diesem Titel veranstaltete der Katholische Akademikerverband Österreichs in der Zeit vom 11. bis 14. Juli 1956 in Schloß Puchberg bei Wels (Oberösterreich) Tage der Diskussion. Sie sollten dem gleichen Ziel dienen wie die erste derartige Tagung in Wilhering (vgl. die Sondernummer der „Christlichen Kunstblätter' 1955, Heft 4): der Begegnung von Kirche und moderner Kunst. Künstler, Kunsttheoretiker und Kritiker kamen mit Theologen und den für den Kirchenbau Verantwortlichen ins Gespräch über das ebenso schwierige wie grundlegende Problem der „Morphologie der sakralen Kunst'. Eine besondere Freude war für alle Teilnehmer der Besuch Seiner Exzellenz, des Hochwürdigsten Bischofs von Linz, Franciscus Salesius Zauner. Exzellenz Zauner wies darauf hin, wie viele wichtige Aufträge die Kirche heute zu vergeben habe und wie sehr ihr daran gelegen sei, Künstler zu finden, die fähig sind, echt sakrale Kunstwerke zu schaffen. Tage der Diskussion in Puchberg Die Referate der Tagung waren als Diskus sionsgrundlage gedacht. Sie wollen auch so gelesen werden und nicht als „Prolegomena einer jeden künftigen Kunsttheorie". Gerade weil wir wissen, wie heikel die hier behandelten Probleme sind, sind wir den Referenten, die ihre Manuskripte zur Verfügung gestellt haben, be sonders dankbar. Sakral ist — wie schon das Wort sagt — jene Kunst, in der das Heilige transparent wird. Darum stand am Anfang der Tagung das Referat von Stadtpfarrer Bernhard Hanssler über die „Phänomenologie des Heiligen imd des Dä monischen in den Heiligen Schriften". Neben dieser theologischen wäre freilich auch eine philosophisdie Phänomenologie des Heiligen wünschenswert gewesen, die allerdings noch kaum versucht wurde, und wo es geschah, zu sehr unbefriedigenden Ergebnissen gekommen ist. Nach wie vor ist das Verhältnis des Sakralen außerhalb des christlichen Bereiches zu dem innerhalb desselben ungeklärt. Stadtpfarrer Hanssler sprach vor allem über die „Hypo stasen", Theophanien und Symbole des Heiligen Gottes im Alten Testament. In der Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, ob Christus — obwohl er in der Gestalt der Erniedrigung er schien — nicht auch eine, ja sogar für die christ liche Kunst die maßgeblichste Offenbarung des Heiligen sei. Im Gottesdienst tritt die Gemeinde vor den Heiligen Gott. Hier, und nicht da, wo der Heilige Gott dem einzelnen begegnet, ist der eigentliche Bereich der sakralen Kunst. Diese setzt daher immer ein Verständnis der „Gestalt" des Got tesdienstes voraus. Einen Versuch, diese zu um reißen, gab Dr. Heinrich Kahlefeldin einem zweiten theologischen Vortrag: „Morphologie des christlichen Kultes". Er untersuchte zcmächst das Phänomen des Kultes, und zwar des alttestamentlichen Kultes. Dann stellte er die Frage, ob es auch im Neuen Bund, nach Voll bringung des Erlösimgsopfers, noch einen Kult gebe. Er beantwortete sie dahingehend, daß Christus zwar den Tempelkult seinem Schicksal überließ, daß er damit aber das kultische Wesen nicht abgetan, sondern neubegründet habe. Die Gestalt des neutestamentlichen Kultes ist das Mahl, das schon von jeher für den Menschen Zeichen göttlicher Huld gewesen ist. Freilich sieht sich auch der neutestamentliche Kult stän dig den entgegengesetzten Gefahren der Verkidtung (der Isolierung des Kultes) und der Entkultung (der Bedrohung der Eigenständig keit des Kultischen) ausgesetzt. Ihnen kann nur dadurch begegnet werden, daß man sich immer wieder auf die Grundgestalt des Kultes (das „primär-Kultische") besinnt imd nicht das histo risch Hinzugewachsene (das „sekundär-Kul tische") damit verwechselt. — In der Diskussion wies Dr. Kahlefeld noch einmal darauf hin, daß sich aus der Morphologie des neutestamentlichen Kultes Fordenmgen ergeben, die die künst lerische Gestalt berühren. Der Künstler müsse sich die Frage stellen, wie sich der Raum zu dem ordne, was in ihm geschehen solle. Damit war bereits die Problematik des Refe rates von Dozent Gerhard E g g e r vorbereitet: „Strukturanalyse der sakralen Kunst". In der Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, ob Dozent Egger tatsächlich eine „Strukturanalyse" der sakralen Kunst geboten habe. Diesen Begriff und die mit ihm gemeinte Methode hat die Kunstgeschichte bekanntlich von der Psychologie übernommen. Diese versteht unter Struktur den inneren Aufbau eines Lebendigen zu einer Ein heit durch ein organisierendes Prinzip, unter Strukturanalyse deren Untersuchung. Die Kunst geschichte verwendet die Methode im allgemei nen zur Interpretation eines Einzelkunstwerks. Hier würde dagegen imter der sakralen Kunst ein „Typus" verstanden, dessen eigentümliche Struktur zu imtersuchen wäre. Ob diese Auf1

gäbe geleistet wurde, darüber möge der Leser urteilen. — Die Frage, um die es Dozent Egger eigentlich ging, hat er in der Diskussion noch einmal klar herausgestellt: Gibt es Formen, die dem Heiligen affin, xmd andere, die es nicht sind? Unter „Formen" sind hier zeitlos gültige, nicht aber entstehende und vergehende Stil- „formen" verstanden. Damit war die zentrale Frage der ganzen Tagung gestellt, die Frage, ob es so etwas wie eine „Morphologie", d. h. eine Formenlehre der sakralen Kunst gebe. Voraus setzung dafür ist, wie Dozent Egger in der Dis kussion noch einmal betonte, daß die „Form" nichts Autonomes, sondern etwas dem Gehalt Adäquates ist. — Dozent Egger schränkte das umfangreiche Thema auf den Versuch einer Morphologie des sakralen Bildes ein, ließ also das Bauwerk, die Plastik und das liturgische Gerät außer acht. Assistent Claus Pack wies ebenfalls darauf hin, daß „künstlerische Form und geistige Reali tät" untrennbar miteinander verbunden sind. Wenn Kunst die „gleichnishafte Darstellung des eigentlichen Seins der Dinge" ist, dann kann sie das nur durch das „Mittel" der Form sein. Assi stent Pack ließ große Philosophen und Künstler zu Wort kommen, um zu zeigen, wie sie das Verhältnis von Form und geistiger Wirklichkeit gesehen haben. Gibt es auch in unserer Zeit Formen, die vom Sakralen wegführen und solche, die ihm affin sind und welche sind es? Diese Frage suchte Dr. Walter Warnach in seinem Referat „Die historisdien Richtungen der modernen Kunst im sakralen Raum" zu beantworten. Architekt Rudolf Schwarz ging als letzter Referent auf „Formprobleme der sakralen Kunst" ein. Gibt es überhaupt Formgesetze für den Kirchenbau? Architekt Schwarz grenzte zu nächst seine Ansicht einer technoiden Richtung (dem „Funktionalismus"), einer inhaltsfemen Ästhetik und einem fimktionalistisch denkenden „Funktionalismus" gegenüber ab. Nach seiner Ansicht greife „Architektur notwendig in den Bereich der Gestalt. Sie entwirft den Grundriß von gestalteter Welt. Dieser Gestalten gibt es sehr viele; Grimdgestalten aber nur sehr wenige". Eine solche „Grundgestalt" sei etwa die Prozessionskirche, in der der Weg, die „via Sacra" zu Gott hin, sakrale Form geworden sei. Je weiterman sich von den Gnmdgestaltenent ferne, um so größer sei die Gefahr, ins Alle gorische abzusinken. (Es sei auf die Artikel von und über Rudolf Schwarz in unserer letzten Nummer, Heft 4/1956, hingewiesen.) — In der Diskussion wurde zu bedenken gegeben, ob nicht der Bundesgedanke über den Schöpfungs gedanken greife, ob daher kirchliche Architektur nicht mehr zu sein habe als „Gnmdriß gestal teter Welt". Am letzten Tag faßte Monsignore Otto M a u e r die Tagungsergebnisse zusammen, wies aber auch darauf hin, daß viele Probleme offen geblieben seien. Das war nicht anders zu erwar ten. Es ist der Wunsch aller derer, denen die sakrale Kunst unserer Tage ein Anliegen ist, daß die Diskussion fortgesetzt werde. Eine Erneuerung ist nur vom Geiste her möglich. Bernhard Hanssler Phänomenologie des Heiligen und des Dänomischen nach den Heiligen Schriften Im Anfang war das Wort. Der erste Vers des Johannes-Evangeliums besagt nicht nur, daß das Wort den Anfang bildet, den Anfang aller Wirklichkeit, er besagt auch, daß das Wort das Prinzip aller Wirklichkeit ist, daß die Welt logoshaft ist. Dieser Satz, eine erstaunliche Prägung in jedem Betracht, ist eine der unentbehrlichen Grundlagen alles theologischen Denkens — und zugleich der Gegenstand immer neu aufbegeh renden Widerspruchs. Man kennt Fausts Gegen stoß: „Im Anfang war die Tat." Dennoch bleibt jene monumentale Formel des Johannes-Evangeliums das imerschütterliche Fimdament. Und sie schließt eine Bedeutimg wenigstens mit ein, an die zwar zunächst im Johannes-Evangelium nicht gedacht ist, die aber sozusagen zum CJeist dieses Satzes gehört, näm lich die Bedeutung, daß die Offenbanmg Gottes klassisch im Medium des Wortes erfolgt sei, daß Offenbarung also Wort Gottes sei. Darüber, über den Primat des Logos, muß unter uns Übereinstimmung herrschen, ehe wir unserer besonderenFrage nachgehen.Wenn wir

uns auf den Satz des Johannes-Evangeliums festlegen, dann können wir es wagen, ohne miß verstanden zu werden, dem johanneischen Satz noch eine weitere Abwandlung zu geben zu den schon kursierenden hinzu: „Im Anfang war das Bild" (Bernoulli). „Im Anfang war das Wort" — das sagt eine Rangfolge aus. „Im Anfang war das Bild", damit meinen wir unter Wahrimg jener Rangfolge jetzt lediglich eine geschicht liche Reihenfolge. Für die frühen Stufen der menschlichen Entwicklung ist das Bild, nicht der Logos das Medium der Erkenntnis und der Verständigung. Auf dieser Stufe gibt es denn auch im Bereich der Offenbarung Bekundimgen Gottes im Bild, die später fortfallen oder in ihrer Bedeutimg zurücktreten, weil der Logos das Bild abzulösen beginnt. Das ist der Grund, warum das Alte Testament um so vieles bild hafter ist als das Neue Testament. Der Gegenstand dieses Berichtes soll ein Über^ blick über die Formen solcher Bekundimgen sein. Im wesentlichen ist die Frage: Wie wird Gott vom eidetisdien Vermögen aufgenommen? Dabei müssen wir uns auf eine bloße Auswahl beschränken und ims äußerster Vereinfachung befleißigen, mit denen allein Ihnen für Ihre Fragestellung gedient ist. Insbesondere schieben wir alle historischen, kritischen, religionshisto rischen und besonders alle psychologischen Fra gen resolut beiseite. Unter solchen Vorausset zungen versuchen wir die Phänomenologie des Heiligen zu beschreiben. In einem zweiten Teil, der aus inneren Gründen, die zu nennen sein werden, wesentlich knapper ausfällt, fragen wir nach den Bekundungen der Gegenmächte, nach der Erscheinungswelt des Dämonischen. Erster Teil: PHÄNOMENOLOGIE DES HEILIGEN Zur Phänomenologie des Heiligen gehören sowohl Vorgänge, in denen Gott sinnenhaft erfahrbar wird, als auch Vorstellungen, die in Israel entstanden sind, dort heimisch ge worden sind und allezeit geholfen haben, sich ein sinnliches Bild des immer als wesenhaft geistig, d. h. unsinnlich verstandenen Gottes geheimnisses zu machen. Mit einer ungeheuren und bewunderungswür digen Anstrengung stemmte sich Israel gegen die Versuchung, Gott im Schnitzbild darzu stellen. Und dennoch wimmelt das ganze Alte Testament von Bildern, von Bildern der Sprache, von Manifestationen Gottes, die die Sinne des Menschen und über sie sein Herz erregen. Es handelt sich vor allem um folgende Phä nomene: I. Weisen der Gegenwart (ruhende Gegenwart), Hypostasen, II. Theophanien (dramatische Akte), III. Symbole imd Bilder. Zuerst handeln wir von den Hypostasen. Was ist damit gemeint? Es handelt sich dabei um Bekundungen Gottes, die als Erscheinungs formen Gottes selbst aufgefaßt sind, natürlich nicht in dem Sinn, als wären sie gegenständ lichen Charakters, also mit der Sinnesapparatur des Menschen oder mit dem physikalischen Ge rät faßbar. Dieser Offenbarungen des göttlichen Wesens gibt es vier, Gottes Namen, Gottes Engel, Gottes Glanzherrlichkeit, Gottes Angesicht. Name Gottes, das ist einfach Gott selber in seiner Benennbarkeit, in seiner Anrufbarkeit, also in der Möglichkeit der unmittelbaren Ver gegenwärtigung. Von diesem alten und schönen Namenglauben wissen wir Heutige nicht mehr viel, obwohl wir unser Gebet imd unser Werk zu tun vorgeben im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und obwohl wir uns im Gebet dafür einsetzen, daß der Name Gottes in der Welt geheiligt werde (2. Gebot!). Gottes Engel meint jetzt nicht die Engels scharen, sondern eine einzelne geheinmisvolle Gestalt, die in der Bibel des Alten Testamentes häuflg erscheint und die dann wohl in der IchForm redet (Gen. 21, 18. 22, 11), die also eigent lich Gott selbst ist, nicht in cier Transzendenz seiner Göttlichkeit, sondern gewissermaßen Gott „übersetzt" in sinnenfällige Gestalt. Der Engel Jahves in diesem Sinne ist nichts anderes als: id a s Erscheinen Gottes. Man hat ihn den Wesir Gottes genannt unter Verwendung orientalischer Vorstellungen (er ist das alter ego); man könnte ihn auch den Christus des Alten Testamentes nennen. Gottes Glanzherrlichkeit (kabod, doxa, gloria) ist wohl empfunden als wolkenumhüllteFeuer masse (Eichrodt II, 10). Was wir hier mit „Glanz herrlichkeit" wiedergeben, ist eines der Herz worte des religiösen Denkens der alten Bibel. Und es ist auch im Neuen Testament bedeutsam geblieben, insofern die Existenz in Gnade und Glorie mit eben diesem Wort beschrieben wird. Gottes Glanzherrlichkeit besagt nichts anderes als die sachliche Gewichtigkeit des göttlichen Wesens, die strahlenhaft den Kreaturen auf geht, die Summe aller Vollkommenheiten Got tes in ihrem Aufleuchten. Hier ist also das „Feuer-Motiv" in gesteigertster Form gegeben, von dem noch zu reden sein wird (Ex. 24, 15 ff.; Dt. 5, 20 ff.; Ps. 97 [96], 1—6). Diese Glanzherr lichkeit ist vielleicht die anspruchsvollste und adäquateste Bekundung Gottes. Im Sanctus der 3

Messe konzentriert sich der ganze Kosmos ge schaffener Wesen auf die „Herrlichkeit" Gottes, um ihr die gebührende Rühmung widerfahren zu lassen (so wie ebenfalls im Gloria). Etwas besonders Schönes ist der Begriff des Antlitzes Gottes. Der Ausdruck begegnet uns häufig, vergleiche die Anrufung: „Zeige uns dein Angesicht und wir werden gerettet wer den!" Es ist dabei natürlich nicht empfunden als Umriß, als physiognomische Kenntlichkeit, son dern das Wort ist ganz dynamisch gemeint, als reine Gegenwärtigkeit, reines Gegenüber (Ex. 33,11 ff.; Dt. 5, 4; 34,10 etc.). Es ist hier keine unmittelbar sinnliche Erfahrung gemeint und doch ein unendlich sinnliches Wort gebraucht. Das Antlitz Gottes sehen, heißt in der Bibel vor allem den Kult feiern und im Kult und außerhalb des Kultes Gott als Nähe, als Gegen wärtigkeit, als das Visavis zu erfahren. Das wxmderschöne Segensgebet aus Num. 6, 24 läßt uns ja ahnen, was der Fromme erhoffte vom Aufieuchten des göttlichen Antlitzes: „Der Herr lasse sein Antlitz über dir leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende dir sein Angesicht zu und schenke dir Frieden" (Eichrodt II, 12—15, Haenel 208). II. Neben diesen Manifestationen Gottes stehen Theophanien, in denen nicht Gottes volles We sen präsent ist, sondern momentane Wirkungen, Eigenschaften, einzelne Wesensseiten erfahrbar werden. Beginnen wir mit den elementaren Vor gängen! Die zentralste, berühmteste Gottes erscheinung des Alten Testamentes, die jeder Generation immer neu zum Erlebnis wurde, ist die Sinai-Theophanie. Ihre Elemente, wahrscheinlich älterer Herkunft, bleiben durch die ganze Gesdiidite Israels erhalten und er leben immer neue Variationen. Was geschah nun eigentlich am Sinai? Exodus 19, 16—19 be richtet: „Am dritten Tage brachen, als es Morgen wurde, Donner und Blitze los. Schweres Ge wölk lagerte sich über dem Berge, und mäch tiger Posaunenschall ertönte. Das ganze Volk, das im Lager war, erbebte. Moses führte das Volk aus dem Lager Gott entgegen, und es stellte sich am Fuße des Berges auf. Der Berg Sinai war ganz in Rauch gehüllt, weil der Herr in Feuer auf ihn herabgestiegen war. Rauch quoll von ihm auf wie der Rauch eines Schmelz ofens. Der ganze Berg erbebte heftig. Der Posaimenschall wurde immer stärker. Moses redete, imd Gott antwortete ihm im Donner. Als nun der Herr auf den Gipfel des Berges Sinai hinabgestiegen war, berief der Herr den Moses auf den Gipfel des Berges. Moses stieg hinauf, und der Herr befahl dem Moses: ,Steige hinab, mahne das Volk, nicht zum Herrn durch zubrechen, um ihn zu sehen! Sonst würde eine große Anzahl davon umkommen. Selbst die Priester, die sonst dem Herrn nahen dürfen, sollen sich heiligen, damit der Herr sie nicht vernichte." Donner, Blitz, Trompeten, Feuer, Rauch, Erd beben — das alles sind die Begleiterscheinun gen der Theophanie, ihre Orchestrierung. Aber die Vorgänge sind zugleich mehr: Sie sind Aus druck des göttlichen Wesens in seiner gewal tigen Furchtbarkeit, Unnahbarkeit. Das Ver sengende und Bedrohende Gottes wird geahnt in den Erregungszuständen der Natur, die das Gotteszeichen der Bibel sind. Das Gewitter wird immer als unmittelbare Stimme Gottes erlebt. Der Blitz ist das Grelle, Überblendende, Töd liche seines Wesens. Der Donner ist seine mäch tig dröhnende Stimme. Dieses Gewittermotiv steht so breit im Alten Testament, daß es ganz aussichtslos wäre, auch nur die gewichtigsten Texte aufzuführen (Psalm 18, 8 ff.; 29 (28); 68 (67), 8 ff.; 77 (78), 17 ff.; 97 (96), 2 ff.). Noch einmal: Die erregte Natur vermittelt Ahnungen Gottes oder birgt seine Erscheinung, nicht die Natur in ihrer schaffenden, zeugenden Kraft. Es ist von äußerster Bedeutsamkeit, daß im Unterschied zu allen heidnischen Religionen der Umwelt, die ja immer Fruchtbarkeitskulte sind, in Israel Gott nicht primär erfahren wird in den Gestirnsmächten und in den Zeugimgs kräften der Erde, in Sonne, Mond, Quelle, Fluß, Baum und Hain. Gott ist nicht identisch mit den das Dasein speisenden Mächten des Sprießens, Blühens, Zeugens, sondern er tritt als der Er schütterer dieser kosmischen Gegebenheiten auf. In der Sinai-Offenbarung spielt Feuer und Licht die wesentliche Rolle (Haenel 77, 82). Feuer und Licht in ihrer seelischen Bedeutung (im Unterschied zur physikalischen) kann man natürlich nur begrifflich voneinander scheiden. Dennoch kann man mit einem gewissen Rechte sagen, im Feuer offenbare sich primär Gottes Heiligkeit, im Lichte seine Geistigkeit (Sellin, Theologie des Alten Testamentes, 1936; Seite 6, 19, 22). Gott wird von den großen religiösen Ge stalten Israels als Licht erlebt: Deut. 33, 2; Is. 6, 1; Hab. 3, 4; Ez. 1, 28; Psalm 18 (17), 13; Offbg. 1, 14, und das reicht bis zu Saulus Apg. 9, 3, der drei Tage blind ist, so sehr ist er von der Wirklichkeit der Transzendenz überblendet (Apg. 9, 9). Und es reicht bis zu der johanneischen Formel: „Gott ist Licht, und Finsternis ist nicht in ihm" (1. Joh. 1, 5). Das Feuer ist die Lohe des göttlichen Wesens. Es ist buchstäblich unnahbar, so wie Gott unnahbar ist. (Die Un nahbarkeit ist ein Wesenselement des biblischen 4

Heiligkeitsbegriffes.) Immer wird in diesem Begriff des Feuers zugleich der Begriff des Schlackenlosen miterlebt, ob es sich mm um den brennenden Dornbusch handelt (Ex. 3, 2) oder um Feuer-Visionen, bei denen in der Außenwelt nichts stattfindet, sondern nur im erlebenden Subjekt. Der Donner ist die Stimme Jahves. Seine Stimme geht durch Mark und Bein, so wie der grollende Donner durdi Mark und Bein geht. Eben deswegen kann die Stimme Jahves auch mit der Stimme des Löwen verglichen werden, dessen Gebrüll dem Menschen durch und durch geht. Jahve selbst ist der Löwe, so sagen die Propheten (Is. 31, 4; Hos. 5, 14; 13, 7 f.). Gottes Wesen in seiner Übermacht wird allem Endlichen gefährlich. Unter seinem Schritt er bebt die Welt. Darum ist das Erdbeben seit der Sinai-Erscheinung eine der Theophanien des Alten Testamentes. In der dichterischen Rede heißt es dann wohl, daß die Berge rauchen unter Gottes Tritt und daß sie schmelzen wie Wachs (vgl. Ps. 68 (67), 1 ff., 8 ff.). Michäas 1, 3, heißt es: „Seht: Sdion verläßt der Herr seinen Platz, steigt herab, schreitet einher auf der Erde Höhen. Unter ihm schmelzen die Berge, bersten die Täler, wie Wachs vor der Glut, wie Wasser, das am Berghang herniederbraust" (ebenso Ps. 97 (96), 2—5). Zum Schönsten in dieser Rich tung gehört der Psalm 93 (92), der vom Erlebnis des Meeres handelt und es für die Interpretation einer religiösen Erfahrimg verwendet. Das Er lebnis des Meeres ist ein überwältigendes Urerlebnis; Gott aber ist noch überwältigender: „Mehr als das Donnern gewaltiger Wasser, hehrer noch als das brausende Meer ist hehr der Herr in der Höhe." III. In allem Bisherigen geschieht etwas. Es ereignet sich Begegnung und Begebnis. Vor gänge finden statt von Gott her, die auf den Menschen zielen und seine Gotteserfahrung er regen. Die Phänomene selbst liegen außerhalb des erlebenden Subjektes. Gott entschleiert sich selbst initiativ. In den angsterregenden Ausbrüchen kos mischer Gewalt wird Gott erahnt. Es ist das Ganz-Andere Gottes, was mit diesen Mitteln der Darstellung ausgesagt wird. Immerhin könnten dadurch Mißverständnisse und Einseitigkeiten entstehen. Deswegen korrigiert die Bibel sozu sagen sich selber. Sie nimmt gelegentlich die Behauptimg zurück, daß Gott nur im Gewitter sei. In 1 (3) Könige 19, 11, ist die berühmte Szene berichtet: „Gott erwidert dem Elias: ,Geh hinaus und stelle dich auf dem Berge vor den Herrn hin!' Da zog der Herr an ihm vorüber. Ein gewaltiger, heftiger Sturmwind, der die Berge zerriß und die Felsen spaltete, fuhr vor dem Herrn her. Aber der Herr war nicht in dem Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben, aber der Herr war nicht in dem Erdbeben. Nach dem Erdbeben kam ein Feuer. Aber der Herr war nicht in dem Feuer. Nach dem Feuer kam ein leises, sanftes Säuseln. Als Elias dies hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel, trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle. Da redete ihn eine Stimme an." Gott ist diesmal im Säuseln des Windes, in der sanften Stimme wie sonst in den dramatischen Vorgän gen der Natur. Damit tritt neben das schrekkende Geheimnis Gottes, wie es in Gewitter, Vulkanausbruch imd Flamme sich bekundet, auch das imendlich anziehende Geheimnis Got tes. Im allgemeinen freilich manifestiert sich dieses für das biblische Denken nicht in den Phänomenen der Natur, die ja grausam ist und nicht sanft und die nur der Kitschbefiissene für die Spenderin der Wonnen hält. Aus triftigen Gründen wird das Zarte im Wesen Gottes in der biblischen Welt durch die zwischenpersönlichen Beziehungen beleuchtet und allenfalls durch das Muttertier (z. B. die Glucke, die ihre Kücken sammelt).Doch davon später. Doch zunächst noch einmal ein Wort darüber, wie die Bibel sich gegen die Mißverständnisse sichert, als wäre der geistige imd also unsicht bare Gott ein Gegenstand sinnlicher Erfahrung. Gott ist nie identisch mit seinen Erscheinxmgsformen. Darum keimt das Alte Testament auch das bezeichnende Verfahren, zwar die aura Gottes zu beschreiben, das heilige Geheimnis selbst aber auszusparen. So verfährt Ex. 24, 10, wo von dem saphirblauen, hellstrahlenden Gnmd die Rede ist, die Gottesgestalt selber aber, die darauf stehend gedacht ist, nicht beschrieben wird. Ähnlich ist es in der so großartigen Stelle Is. 6, 1 — wir kennen sie alle vom Sanctus her, das daraus genommen ist —, wo der Saum des göttlichen Gewandes genannt ist, wo die Seraphe geschildert sind, die Erschütterung der Grund festen, und der Rauch, der den Raum schwelend erfüllt, wo aber von der Gottesgestalt selber nichts sichtbar gemacht ist. Sie ist ebenso aus gespart, wie sie es ist zwischen den zwei Cheruben der Bimdeslade. Daneben aber gibt es eine große Zahl von biblischen Versuchen, das Geheimnis Gottes aus zusagen in Bildern, Symbolen, Vergleichen. In ihnen expliziert der Mensch das, w£is er von Gott zu ahnen glaubt. Es werden dabei nicht etwa Begriffe veranschaulicht, sondern es liegen umgekehrt primäre Bilderfahrungen vor, aus denen spätere Zeiten Begriffe herausdestil lieren. „Im Anfang war das Bild." Unser heu-

tiges Denken erfaßt merkwürdigerweise die Sadiverhalte rascher im Begriff, oder meint wenigstens so, so daß selbst die Kinderlehre dem so bildfähigen Kind die Bilder vorenthält und die Begriffe zumutet, nämlich in der Liste der Eigenschaften Gottes. (Gott ist allmächtig, allwissend, heilig, gerecht, gütig, barmherzig, treu usw.) Die Bibel verfährt anders. M a 0 h t, im Sinne waltende Macht, universale Verfügung stellt die Bibel so dar, daß sie sagt, Gott throne in seiner Himmelsburg. Der Thron ist universales Zeichen der Herrscherherrlichkeit Gottes. Andere Eigenschaften Gottes werden ausge sagt durch Übertragung menschlicher Organe und ihrer Funktion auf Gott. Stärke wird dargestellt mit dem Ausdruck Arm Gottes. Sein gestalterisches, plastisches Vermögen durch Hand und Finger Gottes. Allwissenheit wird dar gestellt durch Auge Gottes. Die Wesensseiten Gottes, die wir mit Güte, Gnade, Zartsinn, Feinfühligkeit Gottes beschrei ben könnten, werden an menschlichen Modell figuren illustriert. Gottes Herzlichkeit, Gottes Treue, Gottes Fürsorglichkeit sind entfaltet in den (Irei klassischen Bildern: Freund, Bräu tigam, Vater. Dann wieder dienen Berufe und Stände dazu, etwas von Gott zu begreifen. Seine Souveränität wird mit dem Töpferbild beschrieben (Is. 45, 9 ff., 64, 7). Seine Besorgtheit mit dem Hirten bild (Ps. 23 [22] und 80 [79], 2), seine zuvorkom mende Aufmerksamkeit mit dem Bild des Wir tes (Ps. 23 [22]). Ja selbst das Tier kann Gott interpretieren. So der Löwe (wir sprachen da von) seine Furchtbarkeit, der Vogel aber das Bergende seiner Liebessorge (am vertrautesten Ps. 91 [90], dem Text der Komplet; vgl. 57 [56], 2; 63 [62], 8); am großartigsten begegnet das Vogelbild wohl in Deut. 32, 11: „Wie ein Adler, der seinen Horst bewacht. Schwebend ob seiner Brut sich breitet. Seine Fittiche spannt, sie packt Und hinträgt mit mächtigem Flügelschlag: So geleitet der Herr Israel allein. Zu helfen braucht ihm kein fremder Gott!" Das Motiv reicht dann durch die ganze bi blische Welt hindurch bis zum Gluckenbild Jesu (Matth. 23, 37). Selbst Gegenstände müssen helfen, Got tes Funktion zu beschreiben: Gott ist Schild und Panzer (Ps. 91 [90], 4). Gott ist ferner Zufiucht des Menschen in einer Welt der Brandungen und der Umgetriebenheiten. Gott ist der Fels, auf den sich der Bedrängte in der Flut retten kann. Wir vermögen dieses Bild nicht unmittelbar nachzuerleben, weil uns die Situation nicht ge läufig ist, daß der Mensch sich vor der Flut auf den einzig rettenden Stein flüchten kann. Hier ist eine abschließende Refiexion zu die sem ersten Teil angebracht. Wir sagten, daß Gott im Alten Testament verstanden wird von den Erfahrungen des staatlichen Raumes her (Gott ist König, er thront, er ist Herr) oder von den zwischenmenschlichen Beziehungen (Mann —^Frau, Freund—^Freund, Väter—Sohn, Herr— Knecht). Vielleicht ist es aber ein kläglicher Rationalismus, wenn wir voraussetzen, daß Urerfahrungen cier menschlichen Sphäre auf Gk)tt übertragen werden. Eher müßte man wohl sagen, daß alle diese Urphänomene urbildlich und rein in Gott verwirklicht sind, daß sie in der irdischen Darstellung aber nur Spiegelimgen, abbildlicher Nachvollzug des göttlichen Lebensmysteriums sind. Das würde also heißen: Staat gibt es nur, weil Gott der Herrscher ist. Ehe imd Familie gibt es nur, weil die sie tra genden Liebeskräfte in Gott ursprünglich ver wirklicht sind; Freundschaft ist Refiex der gött lichen Frexmdlichkeit; die Autoritätsordnungen im Innerweltlichen spiegeln den Urbezug Gott —Mensch als Herr-Knecht-Relation und nicht umgekehrt. Und damit ist unser Überblick am Ende an gelangt. Es wird aufgefallen sein, daß wir bis lang unser Material beinahe nur aus dem Alten Testament geschöpft haben. Das hat seinen guten sachlichen Grund. Das Neue Testament sieht sich nicht veranlaßt, eine neue Gotteslehre zu ent wickeln oder die Gotteslehre des Alten Testa mentes noch einmal neu zu fassen. Es übernimmt mit einer unbeirrten Selbstverständlichkeit das Gotteswissen der alttestamentlichen Offen barung, nur mit der einen aber entscheidenden Korrektur, daß Jesus die Gotteserfahrung ganz konzentriert auf den einen Namen: Vater. Alle anderen Aspekte der Gotteswirklichkeit fließen ein und sind hineingebunden in die Grimderfahrung, daß Gott die Liebesmacht ist. Zweiter Teil: PHÄNOMENOLOGIE DES DÄMONISCHEN Nun ist also noch das Nötige zu sagen über die Phänomenologie des Dämonischen im biblischen Raum. Das ist kurz abzumachen, weil nämlich die Dämonen im biblischen Bereich eine imtergeordnete Rolle spielen. Das hängt zusammen mit der Intensität der Gotteserfah rung. Wo diese Gotteserfahnmg den Menschen beherrscht, wird er nicht von der Dämonenfurcht geplagt, produziert seine Seele nicht die Bilder der Angst. Man kann darum mit Sicherheit sagen, daß überall dort, wo das Dämonische den Menschen zu faszinieren beginnt, ihm die Got-

teswirklichkeit verblaßt ist. So haben auch wir keinen Grund, den Teufel an die Wand zu malen, um so weniger, als das die sicherste Methode ist, ihn zu zitieren und ihm Madit zu verschaffen. Wir wissen, wie die Volksphantasie imd die Völkerphantasie die Mächte des Widersacheri schen grotesk aufbauscht. Sie sind die Ungetüme, die Monstren, die Schreckgestalten. Zum Teufel gehört die Bocksgestalt. Er ist der gehörnte, stinkende Bock mit Bocksfüßen. Er ist das ge schwänzte Wesen. Er ist die mala bestia, die abstoßend, schreckend, mißgestaltet empfunden wird und mit dem Namen des Drachen belegt ist. Als der Schwarze wird der Teufel im bi blischen Bereich noch nicht bezeichnet, sondern erst in nachbiblischer Zeit (Bam. 4, 9; 20.1). Natürlich ist dieses Wort n^egelegt dadurch, daß die Bibel die dämonische Macht als die Macht der Finsternis bezeichnet. Sie ist die absolute Lichtlosigkeit. Insofern Gott — übri gens in fast allen Religionen — mit der Ldchterfahrung zusammenhängt, ist im Begriff der Finsternis der dämonische Charakter als Gegen welt Gottes bezeichnet. Die dämonische Sphäre wird bezeichnet mit dem Bild der Schlange im Paradiesesbericht und von da ab immer wieder. Das Schleichende, Falsche, Schillernde, Giftgeschwollene des Bösen wird darin mit seelischen Tiefenerfahrungen des Menschen gekoppelt. Das Böse ist aber auch als Drache bezeichnet, wie in allen Mythologien des antiken Raumes. In der Apokalypse ist das Drachenbild die gnmdlegende Erfahrung des Satanisch-Dämo nischen. Der Drache steigt auf aus der Chaos tiefe. Nach Apk. 12, 15, ergießt sich aus seinem Maul ein Wasserstrom, das besagt die Tendenz zur Überflutimg der Welt durch das Böse. In 1. Petrus 5, 8, begegnet das Dämonische im Löwenbild. Der knurrende Löwe schleicht um her, suchend wen er verschlinge. Die mensch liche Schreckbereitschaftgegenüberdem Löwen hat sich hier eine bildliche Darstellung geschaf fen. (Es ist bemerkenswert, daß der Löwe ambivalent für Gott imd für den Widersacher wird.) Auch die lästigen, ekelerregenden Tierwesen haben eine Affinität zum Dämonischen. Der Ausdruck Beelzebul heißt eigentlich der Baal des Mistes. Die Abwandlimg des Wortes in Beelzebub bedeutet den Fliegenbaal. Das Ge schmeiß, das Ungeziefer, das Widerwärtige ist die seelische Erfahrungsschicht, der der Dämon zugeordnet ist. Darum heißen summarisch im Neuen Testament die bösen Geister auch unreine Geister. Diese Formel ist der eigentliche Gegen begriff zum Begriff des Heiligen Geistes. Es fällt also auf, daß fast immer Tiere der Erfah rung des Dämonischen zugeordnet sind. Wenn in den Evangelien ein Dämon der Stummheit begegnet, den Jesus überwindet und wenn der heilige Paulus die Götzen, die eine spätere Zeit ja als böse Geister deutete, in 1. Kor. 2 als stumme Bilder bezeichnet, dann wird damit zum Ausdruck gebracht, daß die Welt des Dämonischen die Welt der absoluten Kontaktlosigkeit ist. Im Dämonischen ist alle Kontaktfähigkeit endgültig erloschen. Man muß zugeben, daß Jean Paul Sartre insofern die biblische Aussage adäquat getroffen hat. Diese Stummheit als Kontaktlosigkeit ist korrelat zur Finsternis als Kontaktlosigkeit. Wenn der Satan die Macht der Tiefe ist (Apk. 12 und 13), so wird auch' darin bildhaft ausgesagt, daß er die Gegenwelt Gottes ist. Gott ist der Gott, der in der Höhe thront. Sein Anti pode ist der Böse, der in der Tiefe haust. Hoch und tief sind ja für imser Erleben nicht nur Lokalisierungsbegriffe, die die Lage im Raum ausdrücken, sondern sie haben eine bestimmte seelische Valenz. Oben und unten hat seine be zeichnendste Erlebnisform in der hohen und in der niedrigen Gesinnimg, so wie wir sagen im Himmel oben, in der Hölle unten. Mit „Unten" hängt etwas anderes zusam men: Die Macht des Bösen bestand nicht immer, hauste nicht immer in der Tiefe. Luzifer ge hörte ursprünglich der Lichtsphäre zu und ist aus dieser Sphäre herabgestürzt ins Unten. Des wegen wird der Satan so oft als der Stürzende und Gestürzte beschrieben (Luk. 10, 18; Apk. 12, 9). Die Welt Satans ist die Welt der Täuschung, einer Täuschimg, die so weit gehen kann, daß er sich in einen Eiigel des Lichtes verkleidet (2. Kor. 11, 14). In der Beschreibung der dämonischen Welt macht die Bibel auch Anleihen bei dem Mythos. So scheint Lilith, der Nachtdämon (Is. 34, 14), den modische Literaten ja wieder aufgegriffen haben, babylonischer Herkunft zu sein (Eich rodt II, 120; vgl. A. Jeremias: Das Alte Testa ment im Lichte des Alten Orient, 684). Auch Zach. 5, 5—9, könnte einen solchen mythischen Hintergrund haben. Der Text gemahnt ja deut lich an die Büchse der Kandora (A. Jeremias 740). So ist die Welt des Abgrunds beschaffen. Der Mensch tut nicht gut, in sie hineinzustarren. Er soll sie bannen, und er vermag sie nur da durch zu bannen, daß sein Blick auf die Herr lichkeit Gottes gewandt ist und er in diesem versunkenen Schauen verwandelt wird von Herrlichkeit zu Herrlichkeit (2. Kor. 3, 18).

G. Egger Sfrukfuranalyse der sakralen Kunst Sakrale Kunstwerke sind jene, die in unmittel barem Zusammenhang mit dem „Sacrum", also der religiösen Vorstellimgswelt und den religiösen Handlungen stehen. Es handelt sich dabei nicht um die religiöse Komponente in der Kunst überhaupt, sondern nur ganz streng um religiös — das heißt kultisch und andachtsmäßig — gebundene Kunstwerke. Diese sollen aus einer 17 Jahrhunderte überdauernden Geschichte der christlichen Kunst analytisch auf ihre Struk tur untersucht werden. Diese Untersuchung zer fällt vorerst in eine Frage des Inhalts und eine Frage der Form. Dem Inhalt nach können die religiösen Kunst werke in zwei Gruppen geschieden werden: 1. Kimstwerke, die in unmittelbarem Zusam menhang mit den religiösen Handlungen, also dem Kult, stehen, und 2. solche, die dem reli giösen Ausdruck dienen. Die Kunstwerke der ersten Gruppe umfassen den Kultraum, das Kultgerät und den Kultgegenstand. Bei Kult raum xmd Kultgerät besteht in den entscheiden den Beispielen ein unmittelbarer Zusammen hang des Kunstwerkes mit liturgischen Bestim mungen, was im einzelnen nachzuweisen eine umfangreiche Aufgabe ist, die hier nur beispiel haft angedeutet werden soll. (Im Näheren ver weise ich auf meine beiden Aufsätze: Ursprung und Wesen des christlichen Kultbaues, Christ liche Kunstblätter 1955, S. 94 ff., und Liturgie als Grundlage sakraler Kunst, Christliche Kunst blätter 1956, Heft 3, S. 2 ff.) Es handelt sich hier vor allem um den Zusammenhang räumlicher Anordnungen und Formen mit liturgischen Vor gängen, Bewegimgen und Abfolgen, Der wesentliche historische Schnittpunkt ist hier in der Zeit Konstantins gelegen, mit dessen Kirchenbefreiung nicht nur der ICirche die Mög lichkeit geboten wurde, ihre Gottesdienste in der Öffentlichkeit abzuhalten, sondern auch liturgische Veränderungen der hl, Messe ein geleitet wurden, die auf die feierliche Abhaltung des Gottesdienstes abzielten. Nicht nur diese Einrichtungen, sondern auch die ersten Kirchen gebäude lassen sich auf die Initiative des Kaisers selbst weitgehend zurückführen. Solange nun — und das ist bis in unser heutiges Meßritual — Einzug, Prozession und Feierlichkeit und eine gewisse räumlich sich auswirkende Abfolge im Gottesdienst beibehalten werden, erhielt sich auch der langgestreckte Richtimgsbau als Haupt typus des Kirchengebäudes mit einem eindeutig 8 bestimmten Eingang imd einem ebenso ein deutig bestimmten Zielpunkt im Altarraum, der umgekehrt die Fimktion des Ausstrahlungs punktes hat. Dieses System des Richtungsbaues blieb trotz mancher Sonderlösimgen und stil gebundener Abwandlxmgen immer das räum liche Äquivalent zur Liturgie der hl. Messe. Wie entscheidend der kultische Vorgang für die räumliche Gestalt ist, zeigt ein völlig anderes Beispiel aus den frühen Jahrhunderten des Christentums: der Zentralbau, der ganz ein deutig für zwei Aufgaben in Verwendimg stand: den Grab- und Memorienbau und das Baptisterium (s. dazu: G. Egger, Die Bedeutung des Zen tralbaues für die mittelalterliche Architektur, Mitt. d. Gesell, f. vergl. Kunstforschung). Der betonte Punkt in diesen Räumen ist die Mitte, die raumentscheidende Achse nicht die waag rechte Richtung nach vorn, sondern die Senk rechte. Die entsprechendekultischeHaltung und Bewegung ist daher das Umstehen und Umschreiten der Mitte, was tatsächlich bei Begräb nis und Taufritualien das Entscheidende ist. Ebenso stark wie beim Raum ist der Zusam menhang beim Gerät, bei dem, abgesehen von dem formbestimmenden Gebrauchszweck, wie etwa bei einem Kelch, auch liturgiegebundene Bestimmungen existieren, wie z. B. der Zusam menhang der Monstranz mit der Einführung des Fronleichnamsfestes im Jahre 1264 durch Papst Urban IV. Der dritte Punkt, der Kultgegenstand, scheidet aus der christlichen Betrachtung streng genom men aus. In den vorchristlichen Religionen — mit Ausnahme des Judentums — ist ein Götter bild Mittelpunkt des Kultes, vor dem geopfert wird und das die Gottheit repräsentiert. Der Mittelpunkt des christlichen Kults — den eigentlichen bildlichen Kultgegenstand verdrän gend — ist die Eucharistie. Es gibt deswegen die Sichtbarmachimg der Eucharistie entweder durch die Aufhängung eines Ziboriums, einer Pyxis oder einer Hostientaube oder durch die Elevatio der Hostie oder die Expositio der Monstranz. Das alles ist aber eine Frage des Gerätes. Daneben gibt es das Symbol, das in gewisser Weise in den Mittelpunkt des Kults treten kann. Das gilt allerdings streng genommen nur vom Kreuz, das als „echtes" Symbol an hervor ragender Stelle imter den symbolischen Zeichen der christlichen Kunst steht. Zeichen wie etwa das „XP" können wohl in unmittelbarer Kult-

nähe mit direkter Christusbedeutung angebracht werden, gelten aber doch mehr als Krypto gramme, das heißt mehr als mir für Eingeweihte erkennbare „Geheimzeichen",wie am klarsten der Fisch als Abkürzung für: „'Itjooö^ XpiaTÖ<; 0SOÖ 'Y'M Swnjp" darstellt. Die zweite Gruppe umfaßt das religiöse Bild. Hier ist vor allem festzustellen, daß das Bild ganz einwandfrei kultisch nicht notwendig ist. Deswegen wurde auch die Verwendimg von Bildern im Kultraum in manchen Zeiten heftig angegriffen. Diese Angriffe, deren wichtigster wohl der byzantinische Bilderstunn des 8. imd 9. Jh.s und der BildersturnTSer Relormation des Jh.s sind, stützeiT^iiär^Im^'^gemeinen in erster Linie auf das Bilderverbot des Alten^ Testamentes. Hingegen ist theologisch vor allemj einzuwenden, daß das Bild ganz generell — nämlich die Abbildung — durch das körperliche Erscheinen Christi gerechtfertigt ist. Gott war so lange nicht abbildbar, so lange er von sich aus unsichtbar blieb. Nachdem Christus körper lich sichtbar erschienen war, war er auch ab bildbar. So bleibt streng genommen ja auch die Niditabbildbarkeit für Gottvater bestehen, der eigentlich nur symbolisch angedeutet werden dürfte. Dazu kommt noch rein historisch die Verlegung des Schwerpunktes des Christentums in den Kulturbereich der griechisch-römischen Antike und damit in den der abbildenden Kulte. Mit der Frage nach der Rolle der Bilder im Kirchenraum, die die gleiche ist wie die der Bilder auf dem liturgischen Gerät und in kirch lichen Büchern, wird die Hauptfrage des Pro blems aufgeworfen. Nun gibt es im Kirchenraum und im religiösen Vorstellungskomplex über haupt verschiedene Aufgaben und Stellungen für Bilder, nach denen eine Gruppienmg vor genommen werden soll. An erster Stelle steht hier das didak tische Bild. Diese Gruppe umfaßt jene Bil der, in denen die christliche Heilslehre an Hand der Bibel in bestimmten historischen Vorgängen dargestellt ist. Die Bilder dieser Gruppe haben textillustrativen Charakter. Das Alte und Neue Testament haben beide den Charakter histo rischer Darstellungen, deren Berichte in einzelne Szenen aufgliederbar sind. Diese Szenen werden im Bild festgehalten. Dabei kann der Auswahl der Aneinanderreihung dieser Bilder ein wei terer imterweisender, über die reine Illustration hinausführender Sinn unterschoben werden. Kunsthistorisch sind die frühesten Bilder die ser Gruppe in den Katakomben und Sarkophagbildem der Spätantike zu suchen, bei denen es sich um mehr oder weniger wahllose Anein anderreihungen einzelner Bilder handelt, die allerdings bald — zumindest im Verlauf des 4. Jh.s — zu Bilderzyklen hinführen, deren frühester erhaltener der Zyklus der Langshausmosaiken in Sta. Maria Maggiore in Rom ist, bei denen zweifellos hinter der histo rischen Reihenfolge ein imterweisender Sinn in der Anordnung und Auswahl liegt. Dieser Typus erhält sich über das ganze Mittelalter als vorwiegender Teil bildlicher Ausschmückung des Kirchengebäudes, aber auch auf Geräten, wie Antependien oder Amboverkleidungen und in den Büchern, um schließlich auch auf Altäre — Retabel- imd Flügelaltäre — überzugreifen. Immer handelt es sich um den unterweisenden Charakter der historischen Illustration. Die Überbetommg der religiös-erzieherischen Bedeutung der einzelnen Szene leitet zur näch sten Gruppe über, dem spekulativen Bild. Hier handelt es sich um Bilder, die nicht ihrer illustrativen historischen Bedeutung we gen dargestellt werden, sondern, die einen theo logischen Gedankengang veranschaulichen solsen. Das sind erstens solche, die als Einzelbilder einer bestimmten Absicht wegen aus dem histo rischen Zusammenhang gelöst werden. Inner halb dieser Gruppe entstehen gewisse Abbre viaturen und Typologisierungen, um die leich tere Erkennbarkeit, die „Lesbarkeit" zu ermög lichen, die bis zu komplizierten überschichteten Systemen führen. So z. B. bei dem Apsisbild in San Apollinare in Classe, in dem die Verklä rung Christi am Berge Tabor durch einen Kreuz nimbus auf einem Berg dargestellt wird. Bedeutender ist die zweite Abteilung dieser Gruppe, die aus rein spekulativen Bildern be steht, in denen theologische Überlegungen zu Bildern werden. Entweder handelt es sich hier um reine Überlegungen, wie den Gnadenstuhl, die hl. Anna selbdritt oder den Thron Salomonis oder um überlegte Szenen, wie die Marienkrö nung oder um allegorisch-erzieherische Bilder, wie die Tugenden und Laster und die Bilder über die Vita activa und contemplativa, die an sich undarstellbare Dinge zeigen, wozu auch das Dämonische und das Teufelsbild gehören. Diese Bildgruppe setzt beim Betrachter ein höheres Maß an theologischem Verständnis voraus. Stärker in unmittelbarer Beziehung zum Be trachter steht die dritte Gruppe, das psycho logische Bild. Bei diesem wird entweder aus einem historischen Vorgang oder aus einer Spekulation ein Moment herausgegriffen, der im Betrachter eine unmittelbare Wirkung aus lösen soll. Hier handelt es sich also nicht um die Kenntnisnahme eines historischen Vor ganges oder eine theologische Überlegung zur Unterweisimg der Gläubigen, sondern um ein bestimmtes Gefühl oder eine Situation, in die der Gläubige versetzt werden soll. So etwa bei 9

der Compassio durch eine Kreuzigung oder eine Pietä oder die Liebe zu Christus durch die Johannes-Christusbilder oder die Darstellung der religiösen Ekstase zur Erregung des gleichen Gefühles. Diese Bilder treten historisch gesehen vor allem im Zusammenhang mit der Mystik und der Gegenreformation auf. Als weitere Gruppe lassen sich religiöse Bil der feststellen, deren Wesen in der unmittel baren Gegenüberstellung des Betrachters mit einer Person liegt, die in einer weitgehenden Identifikation im Büd repräsentiert wird. Das ist die Gruppe des Andachtsbildes. Bei diesen wird aus historischen Szenen eine Einzel person isoliert mit der Absicht, deren für den Einzelfall der Andacht wichtige heilsgescfaichtlidie Funktion zusammenzufassen imd im Bild unter Einschluß der damit zusammenhängenden Spekulation und der unmittelbaren Wirkimg auf den Betrachter zu repräsentieren. Den Idealfall dieser Gruppe stellt zweifellos das Marienbild dar, dessen Haupttypen, die Nikopoia und Hedegetria zur Hauptsache aus dem Epiphaniebild isoliert, die thronende, schließlich stehende Maria mit Kind zeigen, während die Eleousa und Psychosostria mehr auf das Gefühl des Be trachters Rücksicht nehmen. Die größte Zahl aller Marienbilder bis ins Barock stammen ikonographisch aus Kopien dieser Typen. Neben diesem steht das Christusbild, das als göttlichen, nicht von Menschenhänden gemach ten Ursprunges gilt, an erster Stelle. Zum ge heiligten Charakter dieser Bilder gehört die Authentizität. Ebenso wie das Marienbild hat dieses Christusbild — das Maiidilion — eine Jahrtausende überdauernde Tradition. In gleicher Weise handelt es sich bei jedem Heiligenbild, das der Andacht gewidmet ist, um Repräsentation. In hervorragender Weise gilt das für die Bilder der byzantinischen Kirche, aber die Erklärung des II. Nizeanum von 787: „wer ein Bild verehrt, verehrt die darin dar gestellte Person" gilt schließlich für die ganze Kirche. Am klarsten ist das Verhältnis von Bild und Dargestelltem für diesen Fall durch Th. Studion: „Wie zum Siegelstempel der Siegelabdruck, wie zu jedem Körper sein Schatten, so gehört zum Prototyp der heiligen Person die Ikone" aus gedrückt oder die Vergleichung des Johannes Damascenus, der das Verhältnis zwischen Ab bild und Vorbild dem zwischen Gottvater und Christus gleichstellt und meint, das Bild habe Teil an der Heiligkeit des Vorbildes, so sei das Bild Christi ebenso eine symbolische Repräsen tation der Inkarnation, wie die Liturgie der Passion. Bei diesen Bildern besteht die größte Nähe zum antiken Kultgegenstand. Streng genommen ist aber eine echte Repräsentation Christi außer in der Euciharistie nicht möglich. Bei allen Bildern steht zwischen der gedank lichen Konzeption und der künstlerischen Ge staltung die Interpretation. Die Erfas simg und Verwertung eines bestimmten Inhalts durch den Künstler in mehr oder weniger sub jektiver Form erst macht für den Betrachter die unmittelbar visuelle Erfassung des gemein ten Inhalts möglich. Von der Person des aus führenden Künstlers ist dabei einerseits die Interpretation des Inhalts, anderseits die mög lichst große Adäquanz zwischen Inhalt und Form abhängig; es ist das das Phänomen der Kongruenz zwischen einem gegebenen Inhalt und einerzeitgebundenenForm. Die Formselbst besitzt auch in der subjektiv vom einzelnen Künstler geprägten Art immer eine gewisse Relativität. Diese Relativität der zeitgebundenen Form ist eine Frage des Stils, die weit über das Gebiet der sakralen Kunst hinausgeht. Bei diesem entsteht aber im Zusammenhang mit den vorhin aufgestellten vier inhaltlichen Grup pen religiöser Bilder eine weitere formale Frage nach dem Zusammenhang zwischen Form und Inhalt, soweit dieser eine formale Differenzie rung nach den inhaltlichen Gruppen ermöglicht. Niemals wird es möglich sein, eine zeitgebun dene Ausdrucksform, das heißt einen bestimm ten Stil für den religiösen Ausdruch geeigneter finden zu können als einen anderen. Innerhalb der Ausdrucksmöglichkeit eines Stils aber gibt es Formen, die für die verschiedenen inhalt lichen Aufgaben mehr oder weniger geeignet sind und daneben gewisse Forderungen, die die inhaltlichen Aufgaben an die formale Ausfüh rung stellen. Daraus ergibt sich ein Zusammen hang zwischen Inhalt und Form, der stilüber geordnet ist und der im folgenden untersucht werden soll. Die wesentliche Forderung der didaktischen Bildgruppe ist die der Ablesbarkeit, wie des deutlichen Zusammenhanges mit dem Worttext. Daraus folgt ein illustrativer Charakter der Bilder. Die illustrative Form eines Bildes wird nun in jedem Stil anders aussehen; man kann nidit von einem — zeitlich ungebundenen — „illu strativen" Stil sprechen. Jeder Stil aber wird eine illustrative Möglichkeit seines Ausdrucks haben. So wird je nach der Ausdruchsintention auch mit drastischen Mitteln illustriert werden können, immer aber wird die Lesbarkeit dieser Bilder auch eine formale Grenze der Darstel lung setzen. 10

Daneben führt die zweite Gruppe der speku lativen Bilder mehr zu einer Stilisierung. Da hiebei eine stärkere Forderung an das theo logische Verständnis des Betrachters überhaupt besteht, bietet sich hier die besondere Möglich keit, das Bild durch symbolische Zeichen zu er weitem oder überhaupt darzustellen, wie etwa bei der erwähnten Transfiguration in S. Apollinare in Classe. Gerade die Sichtbarmachung an sich undarstellbarer Dinge führt oft zur Ein führung sinnbildlicher Zeichen, phantastischer Formen oder einer sehr weitgehenden Entfer nung vom Naturvorbild. Diese Tendenz steigert sich bei dem visio nären Bild, von dem der Satz des Johannes Damascenus gelten kann: „Die Bilder sind er funden, um uns gleichsam als Führer zur Eihenntnis ^verborgener Dinge zu geleiten." (önniO Die Absicht dieser Bilder ist eine andere und damit auch die verwendeten Mittel. So wird das „psychologische Bild" immer einer expressiven Ausdrucksform zuführen, sowohl der des spe ziell religiösen Inhalts, wie etwa eine Pietä aus der Zeit um 1320, wie des allgemein religiösen Inhalts, wie etwa ein Martyrium von der Zeit der Gegenreformation an. Das Andachtsbild hingegen hat seinem We sen nach zuständlichen Charakter. Das trifft sowohl für die bereits erwähnten „isolierten" Figuren, als auch für die auf spekulativer Grundlage ausgebildeten, wie etwa das EcceHomo-Bild zu. Die Absicht dieser Bilder ist es, die ständige Präsenz des Dargestellten dem Gläubigen zu verifizieren. Das Wesentliche aller dieser Beziehungen zwi schen Inhalt und Form ist die Tatsache, daß jeder Zeit alle Ausdrucksmöglichkeiten zu Grebote stehen. Jeder Stil hat in seiner Ausdrucks spanne ebenso eine Möglichkeit zur Illustration, wie auch zum expressiven oder zuständlichen Büd. Aus alledem ergibt sich eine Art Hier archie. Verschiedenen Aufgaben sind ver schiedene äußerliche Erscheinungen zuzuteilen, eingeschlossen der Relativität des zeitlich ge bundenen Stils. Das Problem aller religiösen Bilder ist aber die Sichtbarmachung eines In halts, der dem Verständnis religiöser Vorstel lungen dient. Daher besteht bei jedem religiösen Bild immer die Forderung, den Inhalt erkenn bar und verständlich vor Augen zu führen. Die verschiedenen formalen Erscheinun gen religiöser Kunst sind immer direkt an den Betrachter gerichtet. Daher gilt für alle religiöse Kxmst immer der Satz des Gregor von Nazianz: „Mag sich der Geist noch so sehr anstrengen, von der Sinnenwelt wird er niemals ganz ab strahieren können." Das aber wieder führt zum Kernproblem aller Bilder: dem Erscheinen Christi, das die Grimdvoraussetzung aller christ licher Bilder ist und in allen Aufgaben und allen Gruppen gezeigt werden soll. Denn alle christ liche Bildkunst hat die Aufgabe: durch sichtbare Dinge auf unsichtbare hinzuführen. C. Pack Künsflerische Form und geistige Realifäf Der Rahmen eines Essays steckt von selbst die Grenzen ab, in denen zwei derartige Be griffe, die ihrer Natur nach mit dem Geheimnis verbunden sind, behandelt werden können: den des Versuches. Innerhalb dieses Rahmens aber erscheint es notwendig, gewisse Grundlagen zu untersuchen, es zu imtemehmen, sie auf ihre veränderlichen imd imveränderlichen Kompo nenten festzulegen. Der sich in den letzten Jahr zehnten mit trügerischer Schnelligkeit vollzie hende Wandel der „Stile", der künstlerischenAusdrucksformen, zwingt gerade dazu, nach unver änderlichen Maßstäben der Beurteilung künst lerischer Form und der Realisierimg geistiger Realität zu suchen, ohne die die Beurteilung von Kunstwerten wertlos bleibt. Schon allein das Material, durch den Zugriff der schöpferischen Hand geformt, bestimmt zu einem wesentlichen Teil die Form der Darstel lung, tritt mit ihr in eine fruchtbare Wechsel beziehung. Es diktiert von seiner Sprödigkeit oder Geschmeidigkeit her verschiedene Modi der Gestaltimg. Die Wand in ihrem Zusammenhang mit einem architektonischen Ganzen verlangt aus der an ihr zur Anwendung kommenden verschie denen Techniken des Freskos, buono oder secco, der Enkaustikmalerei oder des Sgraffitos eine künstlerische Form, die den Zusammenhang mit dem Ganzen nicht verleugnet, ihn vielmehr unterstreicht und betont. Die Gestaltung der Wand hat sich in das Allgemeine, den Bau gedanken, einzufügen, diesen Gedanken zu er11

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