alles an der Form dieser Chöre durch die Liturgie erklärbar, was aber hier mit dem Litur gischen zusammenhängt ist die Lichtfülle und die Schaubarkeit. In diesen Räumen, wie etwa dem Chor der Kathedrale von Reims oder des Domes von Köln, spielte sich die dramatische Handlung der unblutigen Wiederholung des Kreuzestodes Christi ab, bei der die Menschen dabei sein können, um sie zu sehen (Abb. 36). Neben diesen Kirchengebäuden für die Feier der hl. Messe gibt es eine ganz andere Gruppe von Bauwerken, die aus dem Zusammenhang mit liturgischen Einrichtungen heraus eine be stimmte Form haben: die Zentralbauten. Die hervorragende Verwendung dieser Bauform in der frühchristlichen Zeit und im frühen Mittel alter ist das Grab. Die Tradition dazu stammt aus der römischen Kunst. Es gibt Texte, die im Zusammenhang mit der Grabweihe oder den Exequien die Vorstellung eines Weges nach unten und nach oben, ein Hinabsteigen und eine Himmelfahrt ansprechen. So z. B. bei der Grab weihe: „Es steige hinab in dieses Grab Dein Hl. Geist, damit auf Dein Geheiß der hier Ru hende zur Zeit des Gerichtes die Auferstehung mit allen Heiligen haben kann." Oder im Kar samstagshymnus vom Hl. Grab: „Da Dich oben auf dem Throne und unten in dem Grabe die Überirdischen und die Unterweltlichen sahen, staunten sie, mein Erlöser, über Deinen Tod, denn über alle Vernunft erscheinst Du im Tod als Anfänger des Lebens." Diese Vorstellung drückt eine bestimmte Richtungsverbindung aus. Diese Verbindung von unten und oben hat eine räumliche Konsequenz, die zu einer völlig ande ren Form führen muß als der Raum für die hl. Messe. Die räumliche Konsequenz, die hier verlangt wird, ist die Betonung der Mitte. In der Mitte ist im Grab der Weg nach unten, dar über in der Kuppel, die in römischen und früh christlichen Beispielen oft eine Öffnung hat, der Weg nach oben. Diese Mitte ist in der Raum form nicht das Ziel, zu dem man hingeht, son dern der Platz, den man umschreitet. Dieser Vorstellungskomplex ist in Verbindung mit dem Zentralbau bis in die Prähistorie zurück verfolg bar und ebenso in primitiven Kulturen in vielen Teilen der Welt festzustellen. In Verbindung mit diesen Vorstellungen wurde das Zentralbau schema in die abendländische Kunst aufgenom men und erscheint vorerst als Grab- und Memorienbau. In diesen Bauten ist kein Platz zur Abhaltung der hl. Messe, zumindest nicht in ihrer Mitte (Abb. 37). Verwandt mit dieser Vorstellung ist eine Ein richtung, die in der frühchristlichen Zeit zu einer ähnlichen architektonischen Lösung führte: die Taufe. Dionysius Areopagita sagt: „Zutreffend ist das vollständige Verbergen im Wasser mit einem Bild des Todes" und in der Wasser weihe heißt es: „Es steige hinab in diese Quelle die Kraft des Hl. Geistes" und im Taufformular: „Wiedergeboren aus dem Wasser und dem Hl. Geist." Das Hinabsteigen unter das Wasser kommt hier einem mystischen Tod gleich, aus dem man entsteigt zu einem neuen Leben. Diese Vorstellungen führten im Frühchristentum zu einer Zentralbauform für Baptisterien, die erst im 12. Jh. mit dem Überhandnehmen'der Kin dertaufe verschwunden sind. In der Mitte dieser Räume ist die Taufpiszina, in die der Täufling hinabsteigt. Die anderen Gläubigen gehen oder stehen um diesen Mittelpunkt herum, wie in dem Kuppelmosaik des Baptisteriums der Or thodoxen in Ravenna die Heiligen in einer Pro zession um die Taufe Christi. Im Exequienrituale gibt es das gleiche ümschreiten des Sarges. Das gleiche gilt von der Wasserweihe, von der Abt Suger von St. Denis im 12. Jh. sagt, daß viele Priester während der Wasserweihe wie in einem feierlichen Tanz das Becken mit dem Wasser umschreiten. Hier findet eine völlig andere Art eines liturgischen Vorganges statt als bei der Messe und somit finden wir auch eine völlig andere Raumform. Vor allem durch die Reliquienrekondition im oder unter dem Altar bekommt die Gemeinde kirche schon in früher Zeit einen gewissen Memoriencharakter, wodurch zentralräumliche Tendenzen in den Langhausbau aufgenommen werden. Die erste große Richtungsbaukirche über einem Grab ist die Peterskirche in Rom. Im konstantinischen Bau dieser Kirche wird — und darin ist sie sicher ein Sonderfall — bis auf eine Confessio keine bauliche Rücksicht auf diese Tatsache genommen. Die Reliquienrekon dition im Altar wird erstmals 359 in Afrika erwähnt, ist aber im 5. und 6. Jh. allgemein üblich geworden. Aus dieser Zeit stammt auch das große Problem der Vereinigung von Kup pel- und Langhausbau, für das die 532 bis 537 unter Kaiser Justinian in Konstantinopel errich tete Hagia Sophia eine der frühesten und her vorragendsten Lösungen des Mittelalters bringt. Die Memorienvorstellung als Grundlage einer Zentralkomposition spielt beim Neubau von St. Peter in Rom eine entscheidende Rolle. Sowohl der Entwurf Bramantes von 1506 wie der Michelangelos von 1547 zeigen einen reinen Zentralbau. In der heutigen Gestalt der Kirche aber, die sie durch das von Maderna 1606 bis 1615 angebaute Langhaus erhalten hat, schließt sie sich der alten Richtungsbauvorstellung der Gemeindekirchen wieder an. Nicht nur beim Raum kommt dem Zusammen hang zwischen künstlerischer Form und Liturgie
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