Christliche Kunstblätter, 94. Jg., 1956, Heft 3

Ich möchte meinen Ausführungen vorwegnehmen, daß mein Urteil positiv ist. 1. Ronchamp hat für sich, daß es ein Werk ist, wel ches überhaupt zu einer Auseinandersetzung heraus fordert. Man kann es begeistert bejahen oder fanatisch ablehnen. Beides. Aber man kann wenigstens nicht neutral bleiben. Es fordert zu einem näheren Ein gehen auf seine Struktur und zu einer Auseinander setzung mit seiner Form auf. Und das hat es jeden falls vielen Kirchen, die im letzten Jahrhundert ge baut wurden, voraus. Diese letzteren kann man nämlich stundenlang ansehen, ohne von ihnen weder positiv noch negativ angesprochen zu werden. Sie erwecken höchstens ein diskretes Gähnen. 2. Die Kirche ist von einem Menschen und noch dazu von einem Menschen mit Ideen gebaut worden. Auch das erscheint mir, gerade im Vergleich mit anderen modernen Kirchen bemerkenswert zu sein. Vielen unserer Kirchenneubauten merkt man es nämlich an, daß sie nicht das Werk eines Ar chitekten sind, sondern oft viele und allzu viele Köpfe, vom Generalvikar bis zum Pfarrkirchenrat in den Plan dareingeredet haben, teils gute, teils schlechte Vorschläge brachten, aber die Einheit und Form des Baues dadurch jedenfalls nicht besser geworden ist. — Ronchamp ist aber auch das Werk eines Mannes mit neuen Ideen. Wenn manche deutsche Kunstkritiker De Corbusiers „machine ä habiter" im negativ verächtlichen Sinn mit „Wohnmaschine" übersetzen, ist dies nur ein Zei chen, daß sie nie einen seiner Bauten in Mailand oder Marseille gesehen haben und überdies nicht französisch können. Man kann gewiß die Ideen, die Le Corbusier in Ronchamp Gestalt werden ließ, als verrückt erklären. Aber vielleidit hat diese „ver rückte" Kirche unsere moderne Kirchenkunst mehr gefördert als ein Dutzend anderer Kirchen, welche einige farblose, abgeschmackte Gedanken in hun dertster unveränderter Auflage wiedergeben. Diese Einheit prägt sich auch noch in der Richtung aus, daß man sich von dieser Kirche so .gut wie nichts abpausen kann. Man kann von ihr niemals, wie es zum Teil von anderen modeimen Kirchen gesclrieht, gewisse Elemente herausnehmen und in andere Kirchenmodelle verpflanzen. Ronchamp ist verrückt genug, um entweder ganz oder gar nicht aufgenom men zu werden. 3. Jeder, der einmal den steilen Bergweg zur Wallfahrtskirche hinaufstieg, wird wohl bestätigen, daß sich ihr Bild harmonisch in die Vogesenlandschaft einfügt. Ich glaube, viel Ablehnung erfährt Ronchamp von Menschen, welche es nicht im Ori ginal, sondern nur auf Bildern gesehen haben. Jedes Bauwerk wirkt auf einem Foto anders als in der Natur. Ganz besondersaber dieses. 4. Die entscheidende Frage, die der Priester und der Katholik an Ronchamp stellt, ist aber natür lich diese, wieweit dieser Bau sakral ist, wieweit er einen religiösen Gehalt besitzt. Diese Frage wird durch die weltanschauliche Einstellung Le Cor busiers besonders aktuell. Über die grundsätzliche Frage, wieweit ein Nichtkatholik eine Kirche bauen könne, ist bereits genügend diskutiert worden. Es' hat sich hier wohl die Auffassung durchgesetzt, daß nicht die äußere Zugehörigkeit zu einer Reli gionsgemeinschaft, sondern die innere Einstellung zu Gott und zum Mysterium das Entscheidende sei. Mein persönlicher Eindruck ist der, daß Ronchamp ein sakrales Bild bietet. Hat man einmal den total ungewohnten Anblick voll in sich aufgenommen und läßt man das Innere des Baues mit seiner gan zen Dynamik auf sich wirken, so glaube ich, daß es auf einen unverbildeten und unvoreingenom menen Menschen einen religiösen Eindruck ausübt. Ich bin mir aber sicher, daß es zumindest sakraler ist als viele unserer Renaissancekirchen, die in ihrem kalten, leeren Stil kaum die Tiefe eines Mysteriums vermitteln, und daß Ronchamp auch religiöser ist, als viele kirchliche Bauten und Denk mäler der Jahrhundertwende, die in ihrer Banalität und Geistlosigkeit eine größere Verhöhnung der Religion darstellen, als es jede, ernst gemeinte, mo^ derne Kirche tun kann. Wie man mir berichtete, hat auch die Kirche unter den Menschen der elsässischen Umgebung bereits Liebe und Gefallen ge funden. Und zweimal jährlich ziehen über 10.000 Pilger zu dieser modernsten Kultstätte des Chri stentums. Die billige Ausrede, mit der man jeden Kitsch zu sanktionieren vermeint: der Geschmack des Volkes müsse berücksichtigt werden, findet also hier keinen Boden. Die Entfremdung zwischen Kirche und Welt, die unsere heutige Zeit so drückt und beschwert, die zu einem „Missionsland Frankreich" oder besser zu einem „Missionsgebiet Europas" führte, kann nur durch ein gegenseitiges Entgegenkommen und Ver stehen wieder überwunden werden. Ronchamp ist eine Brücke hiezu. Der Kommunist Le Corbusier hat einen Schritt entgegen getan. Es liegt jetzt an uns Katholiken zu beweisen, daß wir heute noch jene „Weite" besitzen, ob der man unsere Kirche einmal die katholische, d. h. die allumfassende ge nannt hat. Ich glaube jedenfalls, die „Mutter der Weisheit und der schönen Liebe" freut sich über ihr mo dernes Haus mehr vielleicht als mancher ihrer Söhne. Dr. Rudolf M a 1 i k, Linz 25

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