Christliche Kunstblätter, 94. Jg., 1956, Heft 3

ten Wand hinter dem Altar herausgestochen sind? — Ist die absolute Bilderfeindlichkeit der Wall fahrtskirche „liturgisch"? — Auf den Abbildungen im „Werk" wirkt der Altar der großen Seiten kapelle vor der sehr hohen, völlig nackten und ganz hell beleuchteten Wand theatermäßig sehr stark; aber katholisch oder gar liturgisch im lateinischen Sinne (und noch viel weniger im ostkirchlichen) wirken diese Kapellen bestimmt nicht. Sie sind farbig ver schieden gehalten. In der roten Kapelle, die, wie oben gesagt, in barocker Weise hoch einfallendes Licht aus unsichtbarer Öffnung erhält, ist es dem Zelebranten unmöglich, Messe zu lesen, wenn er nicht eine schwarze Brille aufsetzt, denn derart be täubt ihn das intensive Rot. So berichtet mir ein bekannter Zürcher Geistlicher aus eigener Erfah rung. Oder man sehe auf Seite 385 des letzten De zemberheftes des „Werk" die Außenaufnahme wäh rend des Einweihungsgottesdienstes vom 25. Juli 1955! Ich wette, daß, wer die Unterschrift nicht liest, das Ganze für eine Gerichtssitzung oder eine is lamitische Zeremonie in Marokko halten wird: der Tischaltar' nur um eine Stufe erhöht und wie zu fällig dahingestellt; davon abgerückt, viel höher und auf einem mittleren Pfosten montiert, eine mächtige, kastenförmige Kanzel; an der Wand da hinter, noch viel höher, die Tribüne für die Sänger buben; rechts daneben, in der unregelmäßig durch lochten Wand, das verglaste Kästlein (schräg ver glast) mit dem Gnadenbild, das man nach Bedarf nach außen und innen drehen kann. (Dieser letztere Einfall wird als besonders genial gepriesen. In Czenstochowa ist er seit Jahrhunderten besser und eleganter verwirklicht.) lind die Folgen? Schließlich und primär ist Ronchamp eine Wall fahrtskapelle. Aber im Innern und am Äußern ist die gotische Marienstatue und ihr Glaskasten eigentlich ein Element, das formal aus dem Rhyth mus des Bauwerkes herausfällt und das vom reli giösen Standpunkt aus zu wenig zur Geltung kommt. In aller Naivität sagt das einem der Sigrist der Kirche: „Früher wallfahrtete man zu NotreDame-de-Ronchamp, heute zu Le Corbusier." Eine vom Künstler auf eine Scheibe geschriebene Zeile „vous salue Marie" macht den Architekten nicht zum christlichen Künstler und die Kirche nicht zu einem liturgischen Raum. Mit der gleichen subjek tiven, gefühlsmäßigen Ehrlichkeit würde der Ar chitekt auch „La illa il Allah" oder (wahrscheinlich noch lieber) „Om mani padme hum" schreiben. Als Meditationsraum für moderne Buddhisten oder Anthroposophen kann man sichl das Innere recht wohl denken. Wie wenig die eigentlichen Pilgeranliegen den gewiß genialen Künstler beschäftigt haben, demonstrieren mit ihrer Enge und Hartkantigkeit die unbequemen Bänke und die brutale eiserne Kommunionbank. Ich will sie hier nur andeuten. „Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie" mußte man von der Hymne sagen, die als Erster ein führender katho lischer Kirchenarchitekt unseres Landes auf Ron champ anstimmte. Denn seine und fast alle andern modernen Kirchenbauten der deutschen Schweiz stehen in schreiendem Gegensatz zu Ronchamp: Dort fast amorphes Gestalten, höhlenmäßiges, rest loses Verschleiern der strukturellen Linien, Negie ren des Körpergefühls für Senkrecht und Waag recht; bei uns ein Unterstreichen und Überbetonen der Konstruktion, gemischt mit rein graphischen Effekten, das Spielen mit den verschiedensten Bau materialien, die man in diversen Zuständen präsen tiert. Die Folgen zeichnen sich jetzt schon ab. Bereits hat der sonst so treffliche protestantische Kirchen architekt Otto A. Senn in Basel auf einem seiner neuesten Projekte Le Corbusiers Kinokammer schlitze, Perforationen und Bunkerfenster über nommen und sie sogar gehäuft; bereits hat einer unserer führenden katholischen Architekten in einem Projekte fast überdeutlich sein Bekenntnis zu Ronchamp abgelegt, zu dem er mit fliegenden Fahnen gezogen ist. Bereits bereitet Le Corbu sier selber eine riesige Fortsetzung zu Ronchamp vor, mit der unterirdischen Basilika von SainteBaume östlich von Marseille. Was dort durchaus angezeigt ist, da das Heiligtum aus einer Höhle besteht, wird sich aber sehr rasch bei uns „ober irdisch" auswirken. Mit einem Gigantensprung wird unsere Kirchenarchitektur von einem Extrem ins andei'e hüpfen. Natura non facit saltus, wohl aber unsere Kirchenbauer. Schon jetzt hört man im Geiste unsere Hymnoden, die vom Thema ausgehen werden, die Versammlungsräume der ersten Chri sten, die zum Inbegriff der christlichen Gemeinden geworden seien (was zwar historisch grundfalsch ist, denn die Katakomben waren keine „Versamm lungsräume"), seien in Le Corbusiers „Basilique de la Paix et du Pardon" erneuert worden, und dieser Geist des Katakombenchristentums steige nun sinn gemäß auch über die Erde hinauf und verwirkliche sich in unsern zu erwartenden neuen Gottes häusern . . . Der angesehene Architekt Werner Stücheli in Zürich sagte, als er vor einem Jahr ein von ihm erbautes modernes Schulhaus der Öffentlichkeit übergab: „Der moderne Architekt hat es nicht leicht; wenn er die architektonischie Herbstmode verpaßt, hat er Mühe, den Anschluß an die nächste Frühlingsmode zu finden." Davon und von der wirklichen Lage unserer heutigen Kirchenbaukunst sei hier später in einem eigenen Artikel die Rede. Einen Markstein bedeutet Ronchamp auf jeden Fall, leider keinen äußersten Punkt. Prof. Linus B irc h1 e r. (Aus: Orientierung, Katholische Blätter für weltanschauliche Information, Nr. 14/15, 1956, Zürich.) Die Wallfahrtskirche Notre-Dame du Haut in Ronchamp von L e C o r b u e r Als ich im vergangenen Sommer Ronchamp be suchte, wollte ich rein einen persönlichen Eindruck von dieser, jedenfalls modernsten Kirche Europas gewinnen. Diese wenigen Zeilen beurteilen daher die Wallfahrtskapelle nicht unter dem Aspekt des Künstlers oder Kunstkritikers (für beides fehlt mir das Urteil), sondern unter dem Gesichtspunkt eines heutigen Menschen und eines Seelsorgers. 24

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