Christliche Kunstblätter, 94. Jg., 1956, Heft 3

teils raummäßigem Raum das Pantheon steht. In der neuern Zeit ergibt sich entsprechend die Dreier gruppe: Gotik, Renaissance, Barock. Die moderne Baukunst hat auf jegliches Bausymbol im herkömlichen Sinne verzichtet. Sie will aber überall — und dessen rühmt sie sich besonders — das Funktio nelle, die Struktur, besonders sichtbar machen. In Wirklichkeit hat sie dafür ebenfalls ihre Bausym bole erfunden, im Grunde recht willkürliche und nüchterne. Ich greife eines heraus: Alle Tragele mente, Säulen, Pfeiler usw. werden oben stark ein gezogen, so daß die Abschlüsse aussehen wie der vorstehende Zapfen eines Flaschenhalses, was man dann „sinngemäß" auch an der Basis v/iederholt. Noch weiter geht man, wenn man bei diesen Enden der Tragsäulen (oder der nur scheinbaren Tragsäu len) nur das nackte Eisen zeigt. Beispiele aus der modernen katholischen Kirchenkunst der Schweiz ließen sich leicht anführen und werden später hier analysiert werden. Ronchamp steht nun im schneidendsten Gegen satz zu all diesen modernen Bauten. Das „Gefühl der statischen Sicherheit" ist noch nie so restlos bei einem seriösen Bau angegriffen worden wie in Ronchamp, nicht einmal bei den modernsten bra silianischen Schalenbauten. Die gerade Linie wird schon im Grundriß peinlichst vermieden. Alle auf steigenden Wände, mit Ausnahme jener Elemente, die statisch in dieser Form absolut notwendig wa ren, sind am Äußern und Innern schräg geführt, nach oben zurückweichend, wie bei tibetanischen Klosterbauten. In diesen Mauern tun sich, in den allerverschiedensten Dimensionen und Proportionen, „Perforationen" auf, Schlitze, Schlitzfenster und -fensterchen, wie wir sie von Engadiner Häusern her und vor allem an den Pr-ojektionskammern der Kinos kennen, aber auch ganz niedrige breite, die an Geschützschlitze in Bunkern gemahnen. An der konvex gewölbten Chorwand sitzen, willkürlich verstreut, winzige quadratische Löcher. Die Decke sackt nach der Mitte des Raumes hin ab, denn auf ihr sammelt sich oben das Regenwasser. (Dieses wird am Äußern aus einem Speier herab in ein seltsam geformtes Becken gegossen, ohne Kennet, „wobei das Ausgießen und Aufschlucken des Was sers zu einem prachtvollen dramatischen Vorgang gestaltet ist';, wie man in einem hj'mnischen Artikel des „Werk" zu lesen bekam; in Wirklichkeit geht der Wasserstrahl beim leisesten Windstoß da neben . . .) Als besondere Feinheit gilt, daß die herabhängende Decke des Innern nicht überall auf den nach oben abgeschrägten Mauern ruht, sondern streckenweise durch ganz dünne Schlitze zwischen ihr und den Wänden Licht hereinsickern läßt. Was am Äußern als eine Dreiergruppe von Türmen an gesprochen wird, entpuppt sich im Innern als mas kierte Lichtführung für die drei geschweiften Sei tenkapellen. Prinzipiell entspricht diese Lichtfüh rung einem im Barock oft benützten Effekt, der durch das sogenannte „Transparente" im Umgang des Chors von Toledo besonders bekannt wurde. Der unruhige Raum mit dem verzettelten Licht und der Vermeidun,g von Senkrechten und Waag rechten, mit der völligen Aufhebung des Schwer gewichtes, erinnert an den ersten abgebrannten Anthroposophen-Tempel von Dornach, an Raum bilder des Golem-Filmes und an Bauten des kata lanischen Architekten Antonio Gaudi. Er ist in ge wissem Sinne verwandt mit dem hemmungslos dynamischen Denken Berninis und vor allem Guarinis, und gehört geistig zum Expressionismus nach dem Ersten Weltkrieg, der damals die Verzeichnung des Innenraumes des Basler Münsters auf dem klei nen Neapler Bild von Konrad Witz extrem bewun derte und sich z. B. in Malereien Lionel Feiningers spiegelt. Man kann Ronchamp durchaus gelten lassen als eine ganz freie Raumschöpfung einer höchst eigen willigen Persönlichkeit, die hier als reine Aus druckskunst „Raum an sich" schuf, im Grunde als Selbstzweck. Die Architektur ist die unfreieste aller Künste, durch tausend praktische Anforderungen eingeengt. Man kann es daher verstehen, was es für Le Corbusier bedeuten mußte, hier restlos frei schaffen zu können, ohne die geringste wesentliche Hemmung, rein seiner Phantasie hingegeben, in einem Maße, das Alfred Roth, den Redaktor des „Werk", von der „an Formanarchismus grenzenden Kapelle von Ronchamp" sprechen läßt. Jegliche rationale Logik ist deswegen bei diesem Bau ausgeschlossen. Es gibt da Bauteile, für die man nicht nur keine vernünftige, sondern auch keine irrational-religiöse „Erklärung" finden kann. Da steht zum Beispiel am rechten Ende der „Außen kirche" eine hufeisenförmig nach außen geöffnete freistehende Mauer (mit der Rundung nach Kanzel und Altar hin gedreht, ihnen gewissermaßen die kalte Schulter zeigend), die in mäßiger Höhe ab geschnitten ist und aus der heraus eine Stützsäule das überhängende und an der Unterseite ge schweifte Dach abstützt. Sofern man verlangt, daß Bauteile irgendwie noch eine Funktion, eine Da seinsberechtigung haben sollen, ist dies ein völlig sinnloses Spielen mit Formen; es läßt sich höch stens sagen, daß dieser Baukörper in einem be stimmten, dem Zweck allerdings völlig widerspre chenden Rhythmus steht. RONCHAMP ALS KIRCHE Denn der Bau will schließlich einem ganz be stimmten Zweck dienen, will sogar eine katholische Wallfahrtskirche sein und wird just als solche gefeiert. Es ist jedoch in Wirklichkeit kaum zu ver antworten, hier das angeblich Liturgische heraus zuheben. Der nur um eine Stufe erhöhte Hochaltar mit einem niedrigen Kreuz ohne Korpus ist sicher nicht „liturgisch empfunden"; ist die Kirche mit Wallfahrern gefüllt, so sieht man ihn kaum. Die Altarwand ist leicht konvex gebogen. Eine konkave Wand (— eine Apsis) war und ist das klarste, älteste und einleuchtendste architektonische Element, um einen Altar herauszuheben. Aber Le Corbusier macht das Gegenteil: er wölbt die „Altarwand" leicht nach vorne, nach dem Beter hin, was litur gisch absurd wirkU). — Was bedeuten für den Beter die Löcher und Löchlein, die an der hohen gebauchLe Corbusier legt es geradezu darauf an, in Ron champ In allem und jedem gegen den Stachel zu locken. Decken in Kulträumen sind meist gewölbt; seine Decke senkt sicli nach der Mitte hin. Kirchenfenster sind meist in die Höhe gezogen; Le Corbusier gibt waagrechte Schlitze, Seitdem man auf Samothrake den Schlund der Kabiren durch eine flache Apsis in der Abschlußwand des Tempels herausholte, und seitdem man im Augustusforum im Tempel die Statue des Mars Ultor durch eine Apsis betonte, ist diese Architekturform immer und immer wieder benützt worden, um etwas Wichtiges zu unter streichen: den Kaiserthron,die Cathedra des Bischofs, den Altar, das Märtyrergrab. Seit bald dreißig Jahren ist in unserm Kirchenbau die Apsis aufs Strengste verpönt. Dafür benützte man überall riesige rechteckige Wände, für die wir keine Maler haben. Le Corbusier geht noch weiter und wölbt die Altarwand den Andächtigen ent gegen; die natürliche Raumbewegung nach dem Altar hin wird also nach den Ecken hin abgelenkt. Warum hat keiner der Apologeten von Ronchamp diesen Umstand und all die andern jedem liturgischen Denken zuwider laufenden Einzelheiten von Ronchamp bemerkt? 23

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