Christliche Kunstblätter, 94. Jg., 1956, Heft 3

gewonnen, von dem keine Reproduktion nur eine Ahnung vermitteln kann, nur die Begeg nung mit dem Kunstwerk selbst in seinem Raum und Rahmen. Schon jetzt besteht aber, wie schon erwähnt, kein Zweifel mehr, daß dieses Werk über Assy-Passy, Vence und Audincourt hinaus zum bedeutendsten sakralen Werk des 20. Jh.s heranwächst und damit Österreich in die große Tradition bindet, Abschluß eines Weges und Beginn eines neuen zugleich. DAS FORUM Dr. Leonhard Küppers Ronchamp — eine Kirche von Le Corbusier Am 25. Juni 1955 weihte Erzbischof Dubois in seiner Diözese Besangen in Frankreich die Wall fahrtskirche Notre-Dame du Haut. Damit erwies sich dieser katholische Kirchenlürst erneut als mutiger Mann, denn es war nicht die erste auf fallend moderne katholische Kirche, die in seinem Bistum entstand. Assy, Audincourt und die Dorf kirche in Les Breseux waren bereits voraufgegan gen. Was aber hier in ' Ronchamp als erste Kirche Le Corbusiers, der eigentlich Edouard Jeanneret heißt, entstand, stellt alles bisherige, was Neuheit und Ungewohntheit angeht, in den Schat ten. Die meisten kennen den großen französischen Architekten, der nebenbei auch Maleivund Plastiker ist, nur von seinem Städteplanen und wiederum besonders von seinern Wohngemeinschaftsbau in Marseille her, der ebenso gründlich kritisiert wie bewundert wird. Als eine Kommission, sehr beein flußt von den dominikanischen Bahnbrechern auf dem Gebiet der modernen kirchlichen Kunst Pere Regamey und Pere Couturier, sich an Le Corbusier wandte, lehnte er zunächst ab. Er mochte geahnt haben, wie sehr er sich dem harten Urteil aller jener aussetzte, die immer noch das Ungewohnte gleichsetzen mit dem Unmöglichen oder Falschen. Und dann: es war ja im Jahre 1948 bereits einmal eine Ablehnung eines Planes von ihm für die Fel senkirche La Sainte Baume bei Marseille erfolgt. Erst die nähere Bekanntschaft ■ mit der Landschaft der südlichen Vogesen und mit dem überragenden Hügel bei Ronchamp, auf dem seit 1271 eine Wall fahrtskirche zu Ehren der „Jungfrau Maria als Patronin der Gefangenen" nachweisbar ist, stimmte den Meister um. Le Corbusier, der sich nicht offen zum Christentum bekennt, der sich aber gewiß nicht kirchlich gebunden fühlt, nahm den Auftrag an und baute „Notre-Dame du Haut", „Unsere Liebe Frau vom Hohen Ort". Als leuchtendes weißes Mal fällt sie jedem bereits von weiter Ferne auf, der den Weg von Beifort in Richtung Dijon nimmt. „Ich übergebe Ihnen, Exzellenz, diese Kirche aus star kem Beton, die vielleicht tollkühn, gewiß aber mutig errichtet wurde, und ich hoffe, daß sie bei Ihnen und bei allen, die diesen Hügel emporsteigen, eine Antwort findet, die dem entspricht, was wir hier ausgesagt haben", so äußerte sich Le Corbusier gelegentlich der Konsekration seiner Kirche dem Bischof gegenüber. Erzbischof Dubois nahm das Wort des Meisters an und erwiderte: „Dieses hohe Haus Mariens, das das Land beherrschen wird, war für Sie, was Sie von den Baumeistern des 13. Jahr hunderts gesagt haben: ein Akt der Hoffnung, eine Geste des Mutes, ein Zeichen der Kühnheit, eine Probe der Meisterschaft." Diese Worte hin und her wird nur der recht verstehen können, der NotreDame in Ronchamp selber besucht hat. Vom Photo her läßt sich kein gültiger Eindruck gewinnen. Photos besagen bei diesem so gar nicht photogenen Bau immer viel zu wenig. Arche und Grotte, beides hat Le Corbusier in seinem Bau ausgesagt, weil beides von einer ehrlichen Liebe her gekannt und gemeint war. Beides aber ist nicht auch schon erkennbar aus der Ferne, beides kristallisiert sich vielmehr erst heraus aus der Nähe. Denen, die den mühsamen Pfad vom gesichtslosen Fabriksort Ron champ emporsteigen, schwimmt gleichsam die Arche entgegen, die Eintretenden aber umfängt, ohne daß man krampfhaft zu deuten versucht, die Grotte. Das Dach, wie ein mächtiges Kissen und auf allen Photos geradezu schwarz wirkend, ist in Wirklich keit graubraun, während die Wände und die turm artigen Lichtschächte für drei nicht leicht zu ver mutende Innenapsiden blendend weißen Rauhver putz haben. Die Südwand der Wallfahrtskirche, schräg gestellt und sich nach oben hin verjüngend, erfährt eine Auflockerung durch Fensterluken in Form verschiedenartiger Rechtecke, sehr verschie den in den Maßen, in der Tiefe und in der Grup pierung. Immer wieder hört man in Bezug auf diese Wand den Hinweis auf die Abstrakta Mondriaanscher Gemälde. Zwischen dieser Wand und dem größten turmartigen Hauptlichtschacht befindet sich die Haupttür, eine große Rot-Blau-Grün-GelbGraphik von Le Corbusier, ein ohne Zweifel lauter und leicht überflüssiger Akzent im stillen Weiß der Wände. Die Nordwand ist weiß wie alle andern, fensterlos und leicht gekurvt. Zu ihr hin senkt sich das kissenförmige Dach niederwärts, so daß der Regen in dieser wasserarmen Höhe durch einen einfachen, breiten doppelrohrigen Wasserspeier ab zulaufen vermiag und drunten in einem Bassin auf gefangen wird. An der Nordwand, zwischen den beiden andern gleichhohen Lichtschächten, befindet sich ein weiterer, für gewöhnlich allein offener Eingang in das Innere der Kirche. Außerdem führen links von diesen Lichtschächten zwei freistehende Eisentreppen empor zu einer Sakristei und zu einem kleinen Versammlungsraum. Besonderes Interesse weckt die Ostseite der Kirche. Sie ist genau genom men der nach außen gelegte innere Chorraum zu besonderem Zweck, nach oben abgegrenzt und gegen Unwetter geschützt durch das niederhähgende wul stige Betondach, mit freistehendem Altar, Kanzel und Sängerbühne. Hier wird bei großen Wallfahrten der Gottesdienst gehalten, wobei dann das Volk im Freien steht. Von hier aus fühlt man sich auch am ersten ins Innere der Kirche gedrängt, nicht zuletzt von einer transparenten Wandnische her, in 20

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2