Christliche Kunstblätter, 94. Jg., 1956, Heft 3

der Spätgotik, in den leidenschaftlich bewegten Formen der Gewänder und der Engel, die sich um die Madonna mit den Gestirnen wie im Aufruhr tummeln. Diese Bewegung greift auch noch auf den einige Jahre später entstandenen Stephanus über. In beinahe tänzerischer Gestik sammelt er verzückt die Steine in seiner Kasel, von der Glorie des Märtyrertodes überstrahlt. Der Turm St. Stephan zu Wien und der Kopf eines ge stürzten heidnischen Gottes zu seinen Füßen geben ihm seinen überzeitlich-zeitlichen Platz. Dem prächtig strahlenden Rot seines Gewan des steht die dunkle und feierliche Gestalt des heiligen Johannes Nepomuk an der anderen Seite des Altares gegenüber. In der Anbetung des Kreuzes versunken schreitet er über die Gewässer der Moldau, dunkel, streng und as ketisch. Hinter ihm brennt die Schloßsilhouette von Prag, der Hradschin. Die Farben strömen in mächtigen breiten Formen, der zeichnerische Kontur setzt nur mehr Akzente an entscheiden den Stellen ein. Die geschlossenen Flügel zeigen auf ihrer Rückseite ein Noli me tangere, das in dem leuch tenden und feierlichen Akkord von Weiß, Gelb, Blau, Rot und Violett erstrahlt. Dem weißgol denen auferstandenen Christus naht sich mit leidenschaftlicher Gestik auf den Knien Maria Magdalena. Sie wird von einem Engel, der sie leicht an der Schulter berührt, zurückgehalten. Hier hat sich die Form noch mehr verfestigt. Christus und der Engel blicken in beinahe ikonenhafter Strenge auf den Betrachter, die Farbtöne sind noch breiter und dichter gewor den und das Violett des Gewandes der Magda lena weht als breite Schranke in den heiligen Bezirk als Schranke zum Beschauer. Ihr Gesicht ist eine einzigartige wehe Maske einer tiefen auf dieser Erde nicht mehr, zu stillenden Liebe und eines nicht zu löschenden Schmerzes. Das Gesicht des Engels ist von seltener Schönheit und das des Heilands erinnert in seinem über irdischen Leuchten an die Christusdarstellungen Rembrandts, denen es auch in seinem Typus ähnelt. In seiner Gesamtheit stellt der Altar ein großes Werk religiöser Kunst des 20. Jh.s dar und es ist zutiefst zu bedauern, daß er bisher noch immer nicht seine Aufstellung in einer Kirche gefunden hat. 1951, anläßlich einer Spanienreise, entstand das Bild der heiligen Therese von Lisieux. Auf dem strengen berghaften Aufbau des ockerund goldfarbigen Gewandes erhebt sich das Antlitz der kindhaften kleinen Heiligen vom Karmel in einer seltenen Reinheit. Der um Schmerzen und Leiden wissende Mund lächelt leicht und schließt sich mit dem Ausdruck der Augen zu einem Ganzen zusammen, bei dem tief geistige Wahrheit Physiognomik ablöst. Vor dem unglaublich farbigen Grau des Hintergrun des scheint dieses Antlitz zu leuchten, das Verwesliche des Kunstwerkes zu überstrahlen in dem seltenen Glanz einer begnadeten Stunde, in der sich im Werk eines Künstlers das Heilige selbst zu offenbaren scheint und aus der Dar stellung in die Stille spricht. Seit 1952 arbeitet Prof. Boeckl in der Abtei Seckau an den Fresken der Engelskapelle. Es ist ohne Zweifel eines der bedeutendsten Werke, wenn nicht das bedeutendste Werk der sakralen Kunst dieses Jahrhunderts, das hier im Ent stehen begriffen ist. Bisher sind die Hauptwand und Teile einer Nebenwand vollendet. Das Fresko lebt von dem Geist einer apokalyptischen Erfüllung der Zei ten. In seinem Zentrum steht das göttliche Lamm, das für uns geopfert wurde. Es springt und tanzt auf eine Frauengestalt zu, die stell vertretend für die Kirche steht, eine Frauen gestalt in Witwentracht. Mit einer selbstent äußernden Gebärde begrüßt sie das Lamm, hingebend und hingegeben. Zur anderen Seite des Lammes ist die Gestalt Johannis des Täu fers, der in heftiger Bewegung auf das Lamm zu und von ihm weg eilt: in den Martertod, für den sein abgeschlagenes Haupt auf der Schüssel Zeugnis gibt. In den beiden Ecken, in Zwickeln angebracht, befindet sich links die Madonna auf der Mondsichel, umgeben von Gestirnen in der Glorie, vergebens bedroht von der Schlange, rechts der Brudermord Kains an Abel. Darunter als Gegenstück zum Haupt Johannis das wahre Ikon, das Schweißtuch der Veronika mit dem Antlitz Christi. Unter diesen heiligen Gestalten als Basis der Komposition erscheinen vier Ge schöpfe, Wesenheiten, Elementargestalten und Evangelistensymbole in einem. Der Stier, der Mensch, der Löwe und der Adler, die hier in Anbetung und Entzückung gewissermaßen Fun dament des Mysteriums bilden. Entscheidend bei diesem Werk scheint bisher, daß sich abstrakte Elemente mit symbolisch überhöhter Naturgestalt zu einem Ganzen bin den. Wie auch hätte die letzte Wirklichkeit des apokalyptischen Raumes besser ihre Darstellung finden können? Wie anders als durch jene ab strakten Elemente, die in ihrer vielfarbigen Brechung die Aufhebung des Raumes und der Zeit verkünden. In diesem Fresko hat bei Boeckl die Farbe einen symbolischen und mystischen Ausdruck 19

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