Christliche Kunstblätter, 94. Jg., 1956, Heft 3

rocks in unverminderter Stärke nachwirkte. Fischer von Erlach, Hildebrand, Prandtauer, Troger, Maulpertsch und Kremserschmid hatten das Antlitz einer Epoche geformt, deren reiche Zeugnisse heute noch ihren reinen Glanz verstrahlen. Die Säkularisation der Klöster und eines Großteiles des Kirchenbesitzes mag eine andere der sehr komplexen Ursachen sein. Sie hatten lange End- und Ausgangspunkte jener Bögen gebildet, die Österreich — Mittelpunkt eines Reiches, in dem die Sonne nicht unter ging — mit den fernsten Teilen einer damals erkannten Welt verbanden. Auf den geistigen Schnittlinien, an'denen sie sich befanden, be wegten sich Künstler und Kunstwerke von Land zu Land, erhoben sich Bauten und sammelten sich Artifakte ad majorem gloriam dei. Das Ende des 18. Jh.s erst sollte die Änderung brin gen. Es ist aber auch die Bewegung der deut schen Romantik, die im Verein mit dem ent stehenden falschen neuen Klassizismus in die Entwicklung eingreift und in ihrer Übernahme eklektizistischen Formgutes und der daraus resultierenden imitativen Formideale die Aus bildung einer echten und wahren Kunst verhin dert. Die Auseinandersetzung mit den eigent lichen schöpferischen Quellen der Realität ver siegt. In der Architektur führt dies zu dem ■merkwürdigen Paradoxon, daß die neu gefun denen Materialien der Eisenkonstruktion und des Betons von den Architekten zu einer mate rialfremden Baukunst verwendet wurden. Wäh rend die Skelette der Bauten sich den neuen Möglichkeiten anglichen, wurde ihre Außenhaut zur historisierenden Fassade, die das Grund gesetz des Baues verdeckte. Es waren In genieure, die als erste die neuen Möglichkeiten der neuen Materialien sahen und sie in Zweck bauten ihrer reinen Bestimmung zuführten. Sie bestimmten als Vorläufer entscheidend die neue Architekturform. Gegen die restaurative und historisierende Haltung der Schularchitekten, wendet sich nun vor der Jahrhundertwende eine Bewegung, die nahezu europäisch zu nennen ist und die in Österreich einen ihrer wesentlichsten Stütz punkte besitzt. Ursprünglich von Belgien aus gehend und teils von England hat sie ihr gei stiges Haupt in dem Architekten Henri van de Velde. Diese Bewegung wird in Österreich und Deutschland als „Jugendstil" bekannt. In Wien erwachsen ihr gleich vier entscheidende und große Persönlichkeiten. Es sind dies ötto Wag ner (1841—1918), der heuer verstorbene Josef Hoffmann, Josef Olbricht (der später mit der deutschen Gruppe zusammenarbeitet) und der kühnste und einflußreichste, Adolf Loos. 16 Sie alle streben schon vor der Jahrhundert wende nach einer Bauform, die der Funktion folgt, kämpfen gegen die Stilnachahmung und setzten sich bereits damals für eine Hebung des Gesamtniveaus im Bauen und Wohnen ein. Ent scheidend wird für sie die reine Baugestalt, das reine Maß, die Proportion und Gliederung des Baukörpers, sein Verhältnis zur Landschaft zum Gesamtkomplex einer Anlage. 1902 nun geht Otto Wagner als Sieger iha Wettbewerb um den Neubau der Kirche für die Landes-Heil- und Pflegeanstalt am Steinhof bei Wien hervor. In diesem Bau sieht er seine Mög lichkeit gekommen, die neuen Bauanschauungen in das Gesamtkunstwerk eines sakralen Baues und Raumes umzusetzen. Getreu seinen Vor stellungen wird die Anlage der Kirche vor allem von der Funktion bestimmt. Ein zentraler Kup pelbau mit vorgelagerter Eingangshalle, so liegt die Kirche in der Zentralachse der gesamten Anlage, rechtfertigt damit auch die überhöhte Kuppelform, die durch ihre Vergoldung als leuchtender Punkt in der Gesamtwirkung in Erscheinung treten sollte. Die Verhältnisse der Baumassen sind einfach und klar zueinander abgewogen und eine eben so große Einfachheit zeichnet den Grundriß aus. Die ■ Kirche besitzt drei Tore, von denen je weils nur die Seitentore geöffnet sind, um eine Trennung der Kranken nach Geschlechtern zu gewährleisten. Das dritte, das Haupttor, wird nur bei kirchlichen'Festen und Feiern geöffnet. Da die Kirche keine Pfarrkirche ist, steht sie auch nicht für Taufen, Hochzeiten usw. zur Ver fügung. Die Sitzreihen im Kirchenraum sind möglichst kurz gehalten damit die Pfleger jederzeit ein greifen können und so angeordnet, daß jeder Besucher bequem dem Vorgang' der heiligen Messe folgen kann. Zu diesem Zweck ist auch das Presbyterium um zwei Stufen, der Hoch altar um drei Stufen gegenüber dem Kirchen boden erhöht, der außerdem gegen den Altar zu um insgesamt 26 cm ansteigt, eine leichte Neigung, die nicht bemerkt wird. Gleichzeitig ist der gesamte Kirchenboden höher gelagert um unter ihm die notwendigen Ubikationen, wie Rettungszimmer, Klosetts, Depots, Stiegen und die Gasheizung unter zubringen. Unter dem Presbyterium und unter der gegen den Hochaltar zu gelagerten Kirchen hälfte befindet sich eine Krypta, unter dem Hochaltar das Heilige Grab. In den Türmen der Eingangshalle sind die Stiegen auf die voneinander getrennten Empore und Chor, wobei erstere für die Bediensteten der Anstalt und ihre Familien reserviert ist.

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