Christliche Kunstblätter, 94. Jg., 1956, Heft 2

malpflege nennen, da er das Gotteshaus nicht als gleichsam abgestorbenes Kunstdenkmal betrachtet, sondern in seiner lebendigen Funktion für die Gegenwart anerkennt. Er bestätigt damit das Recht auch unserer Zeit, aus ihren Mitteln und Möglich keiten heraus zu seiner Ausgestaltung beizutra gen. Daß dieser Weg in unserer Gegenwart mit Erfolg beschritten werden kann, ist durch meh rere Umstände bedingt. Der erste liegt in der Gesamtentwicklung der modernen Kunst, die sich durch seine Abkehr vom Naturalismus geistig und strukturell stark dem mittelalterlichen Kunst schaffen genähert hat. Dies gilt insbesondere für alle jene Strömungen, die im Expressionismus wurzeln. Hier ist, insoweit es sich um religiöse Malerei handelt, eine neue ars sacra im Werden, die der Kunst der •romanischen und gotischen Epoche sehr viel näher steht, als dem Barock oder dem 19. Jahrhundert. Der zweite Grund ist spe ziellerer Art, hängt aber mit dem ersten eng zu sammen. Die Glasmalerei, die im 19. Jahrhundert zu einem bloßen Handwerk herabgesunken war, das sich in technisch und künstlerisch mißverstan dener Nachahmung alter Vorlagen erschöpfte, hat sich von diesem Niedergang erholt. Ihre einzig artigen, werkgerechten Aussagemöglichkeiten wur den von der modernen Kunst neu entdeckt. Sie ist damit wieder zu einem Teilgebiet des hohen Kunst schaffens geworden, auf dem sich in zunehmen dem Maße führende Künstler der Gegenwart be tätigen. Zu den stärksten schöpferischen Persönlichkei ten dieser modernen religiösen Glasmalerei .ge hört Albert Birkle. 1900 als Sohn schwäbi scher Eltern in Berlin geboren, wurde er schon in jungen Jahren Mitglied der Berliner Sezession und betätigte sich in der Folge vor allem als Freskomaler, dem verschiedene moderne Kirchen Süddeutschlands ihre künstlerische Ausstattung verdanken. Daneben entstanden Zeichnungen und Gemälde von stark expressiver Ausdruckskraft. Wie fast alle Künstler, die nach einer Überwin dung des Naturalismus strebten, wurde auch Birkle vom Nationalsozialismus geächtet und als „Ent arteter" angeprangert. Nach dem zweiten Welt krieg wandte sich Birkle, der seit 1936 in Salz burg lebt, vornehmlicii dem Arbeitsgebiet des mo numentalen Glasgemäldes zu. Hauptwerke dieser Schaffensperiode sind die Glasfenster der Pfarr kirchen von Graz, Knittelfeld und Pfarrwerfen, der St. Georgskirche in Bischofshofen, der Sankt Blasiuskirche und der protestantischen Christus kirche in Salzburg, ferner Arbeiten in verschie denen Kirchen und Kapellen Tirols, Badens und Württembergs. Birkle erweist sich in allen diesen Arbeiten als ein Künstler von höchster geistiger Zielsetzung, der den ewigen Inhalten der christlichen Offen barung mit den Kunstmitteln unserer Zeit eine wahrhaft sakrale Form zu geben weiß. Alle räum lich-illusionistischen Elemente sind aus diesen Glasgemälden verbannt. In idealer Zweidimensionalität entwickeln sich die Figuren auf dem trans parenten Glasgrund, der in seiner Eigenschaft als leuchtende raumeinhebende Wand vollauf aner kannt wird. Alles Zeichnerische ist auf die knappste und ausdruckstärkste Form gebracht. Licht und Dunkelheit, Glas und Bleifassung formen in einem wunderbar ausgewogenen Verhältnis das Gesamtgefüge der Bildkomposition, das sich in dem dyna misch beweigten Fluß seiner Elemente oft der Mu sikalität des reinen Ornamentes nähert. Es ist ein Stil von wahrhaft sakraler Haltung und Aussage kraft, der vom bloß sinnenhaften Abbild überall zum geistig geformten Inbild durchgestoßen ist. Welche Wirkungen Birkle mit dieser künstleri schen Ausdruckssprache zu erzielen vermag, mö- • gen die beigegebenen Abbildungen von Glasfen stern aus der Grazer Stadtpfarrkirche im einzel nen erweisen. Es ist für jeden, der diesen ehr würdigen gotischen Bau heute betritt, ein wirkli ches Erlebnis, zu sehen, wie hier ein durch und durch modernes, ganz aus den schöpferischen Mög lichkeiten unserer Gegenwart hervorgegangenes Kunstwerk eine wahrhaft ideale Symbiose mit dem gotischen Baubestand eingeht. Wie tief der Künstler selbst seine .Aufgabe auf faßt, mögen einige Abschnitte aus einem Exposee zeigen, das er gelegentlich des Wettbewerbes für die Knittelfelder Fenster verfaßte: „Rembrandt, der Meister des Heil-Dunkels, hatte als hellstes Licht das materielle Weiß der Farbe zur Verfü gung; aber er erreicht damit nie das Licht des Glasmalers, welches das wirkliche Licht ist und doch inmateriell und allem Irdischen enthoben. Die gotischen Meister des Tafelgemäldes, die Farbe neben Farbe setzten, kannten andererseits nicht die vermittelnde Wirkung des Lichtes. Sie hätte ihnen die Wirkung der Farbe zerstört, so wie die Farbe Rembrandt die Wirkung des Lichtes zer stört hätte. Der Glasmaler aber schöpft aus beidem, dem vollsten Licht und der vollsten Farbe zugleich. Seine Farbe ist die reinste, die darstell bar ist, sein Licht das hellste, sowie das. lichtun durchlässige Blei die größte Dunkelheit darstellt, die denkbar ist. Eine ungeheure schöpferischer Möglichkeiten liegt in seiner Hand, die alle Ska len menschlichen Erlebens umfaßt. Jegliche kleine Scherbe aber —■ es handelt sich bei den Fenstern in Knittelfeld um etwa zwölftausend — muß bei der Komposition des BUdes so untergeordnet und ausgewogen werden, daß alle Kräfte, die in dem einzelnen funkelnden Stück liegen, voll zur Gel tung kommen, um dann ein glühendes Ganzes zu bilden, das von weither als reichgliedrig durch leuchtetes Mosaik das dämmerige Dunkel wie Tröstung durchleuchtet oder aber klagend verdüstet, das jubiliert oder verzweifelt, wie der Künstler es erlebte und wie die Ursymbolik der Farben es im Innersten erklingen läßt. Dann aber hat noch jedes Fenster sein Eigen leben wie eine Landschaft im wechselnden Licht des Tages. Je nach dem Einfall der Helligkeit wer den einigte Farben stumpf, andere aber beginnen zu leuchten und schimmern vor dem Auge so lange, bis die eine oder andere die Vorherrschaft bekommen hat. So beginnen bei anbrechender Dunkelheit die geheimnisvoll tiefen Blautöne sich zu erhellen und zu leuchten, während die ehedem strahlenden Rottöne glühend aber tief im Dunkel versinken. Dieses Erlebnis und das Sichversenken in, das Leben des Glases lohnt alle handwerklichen Schwierigkeiten, die der Künstler meistern muß. Aber das Werk entscheidet. Und wenn es gelungen ist, soll es dazu beitragen, diei Gläubigen in die Atmosphäre der Andacht und des Gebetes zu führen. Der Künstler hat dann das Gefühl, mit seinem Werk nicht im leeren Raum zu stehen, son dern unmittelbar mitzuwirken in einer Gemein schaft und ihr zu helfen, durch das von Gott ge schaffene Licht und seine farbige Wiederstrahlung, Gott, der das Licht ist, selbst zu finden." 26 X

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