Christliche Kunstblätter, 94. Jg., 1956, Heft 2

wissen es, ging van Gogh an dem harten Weg zu grunde, denn die Aufgabe war zu groß für ihn. Sie sehen, wie wir hier weit entfernt sind von einer einheitlichen Kunstauffassung, so daß wir versucht sind, in Zukunft zu sagen, daß es keine Kunst gibt ohne tiefe Überzeugung, es gibt keine Kunst ohne Glauben, ohne daß der Mensch in einen Zustand kommt, wo sein Stolz gefallen ist und er bescheiden geworden ist. Es gibt keine Kunst der einfachen Zerstreuung oder Annehm lichkeit. Es gibt keine wahre und wirkliche Kunst, die nicht fähig wäre, uns zu ändern. Sicherlich ist die Kunst nicht die Mystik, die direkt auf die menschliche Natur wirkt. Die Kunst ist in einer geringeren Stufe durch ihre Wesenswerdung in einer Materie, eine Tätigkeit des Geistes, welches an das große Wunder der Menschwerdung erin nert. Das erinnert uns daran, daß es in jedem Menschen etwas gibt, ein kleines Licht, das von Gott kommt und dessen ewige Dauer infolgedes sen göttlicher Wille ist, HEUTE Zuerst die Demut! Überschätzen wir unsere Wichtigkeit nicht! Ich möchte den Künstler nicht herabsetzen, aber die , Zeit bezeigt ihm wenig Gunst und Neugierde. Er ist nicht in „Mode". In unserem technischen Zeitalter, was sind da die Künstler? Doch ist das nicht vielleiclit auch ein wenig unser eigener Fehler? Hat der Künstler nicht einem etwas allzu übertriebenen „SchauBedürfnis" gehuldigt? Hat er nicht mit seiner Signatur gespielt, mit einer der wahren Kunst unwürdigen Eitelkeit? So sehr, daß es mir heute scheint, daß eine freiwillig gewählte Anonymität der Weg wäre, um jene zu erkennen, die tatsäch lich die Achtung der andern verdienen. Eintreten in die Anonymität, so wie man ins Kloster geht — da würden wohl mit einem Schlag all jene, die nur auf Ruhm und kleinliche Ruhmsucht erpicht sind, ausgeschaltet. Ich spüre aber so etwas wie eine fragende Verblüffung. Was würde sich denn einer solchen Prüfung widersetzen? Seien wir ehr lich! Es ist die Tatsache, daß wir heute nicht im stande sind, ein gemeinsames Werk zu unter nehmen. Wir würden unter uns nicht einmal die paar Leute finden, die nötig wären, eine Gruppe der Minderheit zu bilden wie jene von Athen und Florenz. Weil nämlich die Kunst seit Rembrandt und Vermeer ausgesprochen individualistisch ge worden ist. Gleichzeitig verliert sie ihren Wert. Wir müssen uns also wenigstens für den Mo ment ergeben in eine absolut individuelle Kunst auffassung, selbst wenn wir nichts sehnlicher wün schen als eine gemeinsame Kunst. Das läßt sich nicht durch eine einfache Entscheidung: des Gei stes erschaffen. Es braucht hierfür eine Ethik, unbedingt müßte eine solche Kunstauffassung auch getragen und unterstützt werden durch ein gewis ses Publikum. In bezug auf das Publikum — wie weit sind wir da? Ich bin, gestatten Sie, der Auffassung mit Oskar Wilde: „Es ist nicht Sache des Künstlers, Publikum zu werden, sondern es ist Sache des Publikums, Künstler zu werden." Unser Publikum aber ist erfüllt von Angst vor der geistigen Höhe, welche jede tiefgreifende Neuerung mit sich bringt! Und wir Ki'itiker im speziellen, tun wir denn wirklich, was nötig wäre, um an das Publikum heranzukommen, um es einzuweihen, um ihm zu zeigen, daß sich die Kunst nicht lenken läßt, daß sie aber eine Empfänglichkeit, wenn nicht sogar eine Erziehung des Empfindens Verlangt, und daß sie nicht dazu da ist, um uns zu befriedigen, son dern um uns über uns selber hinaus zu heben zu dem, was uns an uns selber unbekannt ist (St. Jean de la Croix). Das allerdings verlangt auch vom Publikum guten Willen! Neben den Zeitgenossen Matisse, Fernand Leger und Corbusier, deren An erkennung bei der Geistlichkeit noch sehr um stritten ist, sind aus mir unerklärlichen Gründen zwei Künstler da und dort ganz unverdienterweise vergessen worden, beide tief religiöse Menschen, deren Kunst durchdrungen ist von tiefen Gedan ken und stiller Andacht: Rouault und Severini. Es ist dies die Tragik unserer Zeit, daß wir in keiner einzigen Kirche ein ..Jüngstes Gericht" von Rouault sehen können. Ein Maler der Gerichte, der Pro stituierten und der Vorstädte, erleuchtet durch die Anwesenheit des göttlichen Retters hätte dort die Zusammenfassung; seines Schaffens finden können. Severini — gestatten Sie, daß ich hier vom Präsi denten des SIAC in seiner Anwesenheit spreche — er hatte etwas mehr Glück und fand hier in der Schweiz Gelegenheit, sein Können zu bewei sen. Wir alle, die wir hier versammelt sind, soll ten uns verpflichten, alles daran zu setzen, daß die sakrale Kunst ihren Platz zurückerhält in den Diözesen und Pfarreien. Ich möchte nun noch die Frage erörtern über das Thema in der sakralen Kunst unserer Zeit, eine Frage, die im Jahre 1954 Gegenstand eines Be richtes anläßlich eines Kongresses in Venedig war. Es wird nachgerade unmöglich, sich einer Kunst zu verweigern, die ich nicht „abstrakt" nennen möchte (es gibt keine rein abstrakte Kunst, es gibt nur eine nicht repräsentative nicht nachbil dende Kunst). Schon wenn wir uns die Frage vor legen; welches sind die beiden größten religiösen Maler des Endes des 19. Jahrhunderts, so müssen wir ehrlich antworten, das sind Cezanne und van Gogh. Aber nun werden Sie fragen: Wo sind ihre Darstellungen vom Leben Christi, ihre Kreuz wege usw. Eben, es gibt sie nicht! Also werden wir diesen „Handwerkern", die oft einen weit bessei'cn Sinn haben für die kommerzielle Wichtig keit, als für künstlerisches Gefühl, den Vorzug über die wahren Künstler geben? Wollen wir uns einer Sprache verschließen, die zwar noch nicht zur Sitte geworden ist. Das hieße uns ärmer ma chen, den aufrichtigen unvermeidlichen Ausdruck beiseite lassen, um unsere Entscheidungen in Übereinstimmung zu bringen mit einer beruhig ten Produktion, die aber nicht unser Ausdruck ist. Es wäre meiner Meinung nach gut, die Götzendienerei an den Pranger zu stellen, mit der man gewisse Meisterwerke anbetet, man der jungen Generation von Künstlern den Boden unter den Füßen raubt. Vielleicht wenden Sie nun ein, all dies sei nur eine Frage der Mode. Dem ist nicht ganz so. Es gibt in der Kunst allgememe Gültigkeiten. Es gibt sie auch in allen großen Werken der Vergangen heit, welches auch ihr Stil sein mag. „Wenn es auch nichts Neues unter der Sonne gibt", so sagte doch Delacroix, „die Sonne bescheint nicht alle auf die gleiche Weise". Jede Epo.che hat ihre inneren Erfordernisse, ihre eigene Art, sich spezifisch aus zudrücken, ihren Stil. Wir müssen uns überzeu gen, daß das Gesetz der ewigen Rückkehr falsch ist, daß, wenn Gott es will, schon morgen ein grö ßerer Musiker als Bach, ein bedeutenderer Maler als Piero della Francesca geboren werden kann. Aber wir können tatsächlich nichts erreichen mit dem. WiUen, der Methode oder der Intelligenz 24

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