Erhaltung des alten Bestandes vor einer Ergän zung, die etwa Reste beseitigen oder überdecken müßte, zu bevorzugen. Einen besonderen Fall stellen in dieser Hinsicht wohl viele, vor allem schwere Gold stickereien dar. Zumeist ist hier die Stickerei wesentlich widerstandsfähiger als der tragende Grundstoff. Viele mittelalterliche Stickereien sind deshalb schon im 16. bis 18. Jahrhundert ein- oder sogar mehrmals auf neue Stoffe über tragen worden. Aber auch barocke Ornate mit schwerer Stickereiauflage zeigen, daß besonders den Konturen des Musters entlang oft die Seide des Grundstoffes gebrochen ist. Hier findet man nicht selten eine Festigung des alten Stoffes durch ein in gleichem Farbton gehaltenes Uber sticken mit einer Art Kettenstich, das in Schlan genlinien und Kurven geführt oft große Partien überdeckt und auf größere Entfernung fast unsichtbar bleibt. Eine derartige alte Restaurie rung, die der Erhaltung des alten Stückes dient, ohne seinen originalen Zustand wesentlich zu stören, muß selbstverständlich belassen werden. Ist jedoch der Grundstoff tatsächlich unrettbar verfallen, so ist gerade bei ganzen Gewändern unbedingt eine Ergänzung vorzunehmen, auch wenn sich das Stück nicht mehr in Gebrauch befindet. So bedauerlich der Verlust des Origi nalstoffes in jeder Beziehung ist, so ist doch der künstlerische Gesamteindruck dieser Stücke so wesentlich durch die Stickerei und ihre inhalt liche oder dekorative Anordnung bestimmt, daß hier eine reine Konservierung, die aus einem Gewand eine Summe von Stickereifragmenten machen würde, nicht am Platze ist, sondern eine Erneuerung des Stoffes in gleichem Material und Farbe wie der ursprüngliche vorzunehmen ist. Hiebei handelt es sich also um der Erhaltung einer künstlerischen Einheit wegen um die Er gänzung großer Partien, die allerdings klar sichtbar bleibt. Die sicherste Art der Übertra gung von Stickerei geschieht durch das Belassen auf dem alten Stoff und feines, möglichst unsichtbares Annähen auf den neuen Grund entlang der Konturen. Ein direktes Ablösen der Stickerei von ihrem Originalträger ist in den meisten Fällen überhaupt nicht möglich und auf alle Fälle als sehr riskant zu vermeiden. Grundsätzlich abzulehnen ist die Erneuerung von gerade bei Textilien aller Art sehr häufig verblaßten Farben. Alle Arten von Nachfärben oder Malen, dem Verstärken und Nachziehen von Konturen und Mustern dürfen niemals an gewendet werden. Schon im frisch vollendeten Zustand bilden derartige Versuche, die farbige Frische des Originales wiederherzustellen eine oft große Beeinträchtigung eines Werkes und fast ausnahmslos machen sie sich nach längerer Zeit besonders schlecht und störend bemerkbar. Häufig verhindert ein solches Nachfärben und Malen für immer die Möglichkeit einer guten . und gründlichen Reinigung, da die Farben zu meist ausgehen. Auch die Lichtbeständigkeit der neuen ist von der der alten Farben verschieden und es kann schon nach wenigen Jahren zu einem ungleichmäßigen Fleckigwerden kommen, das gerade in koloristischer Hinsicht den Ge samteindruck wesentlich beeinträchtigt und mit dem allmählichen Verblassen alter Farben, die oft zu besonders reizvollen Pastellwirkungen führt, in keinem Vergleich steht. Es läßt sich daher das Problem der Ergänzung von Textilien vielleicht dahingehend zusammen fassen: Eine unsichtbare Ergänzung wird hier relativ selten sein und nur bei solchen Stücken notwendig, die durch ihren bildmäßigen Cha rakter neutrale Flächen als störend für die Gesamtwirkung erscheinen lassen. Die sichtbare Ergänzung dagegen muß in vielen Fällen ange wendet werden, die sonst den Charakter eines größeren, in sich geschlossenen Zusammenhanges verlieren würden. Ein spezielles Problem der Wiederherstellung des originalen Zustandes besteht in der Rückversetzung vorhandener Teile in den ursprüng lichen Zusammenhang, der durch verschieden artige Veränderungen gestört wurde. Dies zeigt am besten ein Beispiel wie die Restaurierung der Tunica Heinrichs II. aus dem Bamberger Domschatz. Von diesem Gewand waren nur die breiten Besatzborten mit reicher Goldstickerei erhalten, während der originale Grundstoff wohl anläßlich einer Instandsetzung im Jahre 1722 durch einen barocken weißen Seidendamast ersetzt worden war. Bei dieser Übertragung wurde auch die Anordnung der Stickerei ver ändert, wie ein abgeschnittenes Fragment der Borte (jetzt im Victoria- und Albertmuseum in London) und das Übereinanderliegen der Stikkerei an einigen Stellen bewies. Der Zerfall des barocken Stoffes machte nun 1955 eine neuer liche Restaurierung und Erneuerung des Ge wandstoffes notwendig. Hier nun mußte und sollte auf die barocke Veränderung keine Rück sicht genommen werden. Nach Ablösen der Stickereistreifen und ihrer mustergerechten Anordnung konnte an Hand von Darstellungen ähnlicher Gewänder vor allem auf Miniaturen der Zeit um 1000 ihre ursprüngliche Anbringung weitgehend auf einem neuen Grundstoff aus weißem Seidensatin rekonstruiert werden'). Hier war es möglich, durch Zusammenwirken 2) Sakrale Gewänder des Mittelalters, Ausstellung im Bayerischen Natlonaimuseum, München 1955, S. 19, dazu auch Probleme der mittelaiterlichen TextiUorschung, Kunstchronik 11/1955, S. 305 ff. S. 314 f. 13
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