sprünglichen Bedeutung der Nische als einen im Zusammenhang mit der Heiligenverehrung stehenden Sonderkirchentypus zu verstehen hat. Daß übrigens die Nischenbildung auf keine Reduktion, sondern zu allen Zeiten auf den Heiligen- und Reliquienkult zurückgeht, be weist u. E. ihr Vorhandensein in einigen spä teren, nachkarolingischen Kirchenanlagen, auf die ich hier verweisen möchte. So erinnere ich zuerst an die wohl der salischen Bauepoche angehörenden Nischenanlagen im Westbau der karolingischen Remigiuskirche zu Büdingen-Grossendorf (vgl. Walbe, Die Re migiuskirche in Büdingen-Grossendorf [Ober hessen], S. 174 ff., Deutsche Kunst- und Denk malpflege, 1940/41). Auch hier unterstreichen die Nischenbildungen den Kryptencharakter des Westbau-Untergeschosses, umsomehr ja die dort deponierten Reliquien den Schutz gegen alle vom Westen hereinbrechenden dunklen Mächte zu übernehmen hatten. (Westwerkgedanke.) Man kann diese Nischen nicht deuten als Reduktio nen eines Westdreiapsidenchores, da sich der Westbau hier kaum mit einer Westchoranlage, eher mit einem Westwerktypus identifizieren läßt. Die JJischenbildung hängt hier also sicher lich mit dem Reliquienkult zusammen. (Es gibt übrigens eine große Reihe von Kirchen, die im Westen [gegenüber dem Ostchor also] Nischenbildüngen aufweisen, so z. B. ehemalige Prämonstratenserklosterkirche zu Ilbenstadt [He.ssen-Nassau]. Wir können darauf nur kurz ver weisen.) Eine viel später anzusetzende Friedhofs kirche war die 1945 zerstörte evangelische St. Johanniskirche zu Gelbingen bei Schwäbisch-Hall, mit einem stehenden romanischen Ostchorturm. Da ihr Langhaus 1948 vollstän dig abgerissen werden mußte, war es mir mög lich, die Mauern schichtweise abtragen zu las sen, wobei sich der nördliche Mauerzug als teil weise dem 11. Jahrhundert, der südliche, also gegen Hall zu gerichtete Mauerzug, als aus schließlich dem 14. und 15. Jahrhundert zuge hörig erwies, Beide Mauerzüge enthielten Ni schen, die in der Reformationszeit vermauert worden waren. Die ältere Nordseite barg in der an das Nordportal anschließenden Nische die zerbrochene spätgotische Sandsteinplastik des Evangelisten Johannes, also die Statue des Kirchenpatrons. Beim Abheben der Nischen sohlen stießen wir auf Reste von Reliquien (hier beschriftetes Papier [unleserlich] und Knochenmehl), die in einer Rille aufbewahrt waren. Auch beim Abheben der Nischensohlen der jüngeren Südseite kam in einer Längsrille ein doppeltes Blechröhrlein zum Vorschein, das noch einen erhaltengebliebenen kleinen Arm oder Beinknochen enthielt. (Hierzu meine Einträge im Kirchenbuch von Gelbingen und mein Bericht an den Kunstsachverständigen des Oberkirchenrates der württembergischen Landeskirche, Herrn OKR. Kopp-Stuttgart.) Dieses Gelbinger Beispiel ist nicht nur des halb von großer Bedeutung, als hier eindeutig die Nischenbildung im Zusammenhang mit dem Reliquienkult erwiesen ist, sondern noch viel mehr dadurch, daß wir hier vor Nischen stan den, die nachweisbar in der Reformations epoche vermauert worden waren. Nach dem Tode des letzten katholischen Geistlichen, der sich unmittelbar vor dem Altar (also im Chor) bestatten ließ, war die Kirche (Mitte des 16. Jahrhunderts) der evangelischen Landes kirche übergeben vmrden. Da mit dem evange lischen Kultus in Württemberg eine deutliche Absage an den Heiligenkult verbunden war, verloren auch die Nischen ihren liturgischen Zweck und wurden vermauert. Hätte man diese Nischen nicht im Sinne des Heiligenkuites verstanden, hätte man sie sicherlich unan getastet erhalten, so wie das mit so vielen an deren Einrichtungen geschehen ist. Damit dürfte die Herkunft und Bedeutung der Nischenbildung soweit beleuchtet worden sein, daß wir den Typus der Nischenkirche, wie er in Linz (vgl. Abbildung 10) augenschein lich vorhanden ist, liturgisch zu deuten vermö gen. Dabei gehört nun an die Spitze unserer Ausführungen die Feststellung, daß Nischen anlagen sowohl an Langschiff- wie an Zentral baukirchen vorkommen und daß bezüglich ihrer Entstehung stets ein- und dieselben Gründe vorhanden gewesen sein dürften. Bleibt man in konsequenter Verfechtung die ses letzten Gedankens, so wird der primäre Anlaß der Nischenbildung als ein ursprünglich von der jeweiligen Kultbauanlage unabhängi ger oder zumindesten unbeeinflußter Vorgang motiviert werden müssen. Mit anderen Worten: die Nischenanlagen in der Linzer Kirche haben also ursächlich nichts gemein mit irgend einer spätantiken (oder barocken) Bauidee, die dem Langschiffbau etwa eine Art von Zentralbau charakter zu verleihen gehabt hätte. So gewiß der Reliquienkult auch zentralistische Ideen gefördert hat, hier, in Linz (vgl. Abbildung 12) führte er zur Dezentralisierung des Kul tes, zu einer Vielheit von Stationen, die uns alif das lebhafteste an jene überlieferten Pro zessions- und Wallfahrtskirchen Westfrankens zur merowingischen Zeit erinnern lassen. (Vgl. hierzu und für das Folgende meine Ausführun gen über diese Kirchen in meiner oben er-
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