sen scheint. Ob der um 230 n. Chr. entstandene, 1102 von Genueser Kreuzfahrern in der Moschee zu Caesarea autgefundene gläserne Gralsbecher (von dem man bis 1806 glaubte, er sei aus Smaragd) ursprünglich als Kelch gedient hat, wissen wir nicht. Der Volksglaube und die mit telalterliche Sagendichtung hielten ihn immer hin für würdig, daß der Herr daraus beim Letz ten Abendmahl gegessen, oder daß Josef von Arimathäa darin das Blut des Gekreuzigten aufgefangen habe. Er wurde auch mitunter mit dem Abendmahlskelch verwechselt. Jedenfalls aber dienten vielfach Glasgefäße als Wein- und Wasserkännchen bei der Messe. Zu den vornehmsten Veredelungsar Len der Oberfläche von Hohlgläsern zählt von altersher der Hoch- und der Tiefschnitt sowie die Gravur, die bei figuraler Auszier bis zur Reliefplastik gesteigert werden können. Schliff und Schnitt des meist farblosen Glases, der schon in der Antike gepflegte „Krystallstil", wichen im Mit telalter dem an der Pfeife geformten Glas, später „venetianischer Glasstü" genannt. Am 10. März 1609 erhielt zu Prag der aus Ülzen im Lüneburgischen stammende kaiserliche „Hoffdyner und Kammerstaynssneyder" Kas par Lehmann ein Priviligium für die von ihm wiederentdeckte Kunst des Glasschnittes, der dem Glasgewerbe Böhmens hinfort die Über legenheit über Venedigs Glaswerkstätten si cherte und dem Krystallstil bis zur Pariser Weltausstellung von 1867 die absolute Vorherr schaft brachte. Dort trat ein italienischer In dustrieller, der Dr. Antonio Salviati aus Vene dig, so erfolgreich für den venetianischen Glas stil ein, daß der Krystallstil vielleicht (infolge Absterbens der Fachkräfte) für immer ver loren gegangen wäre, hätte nicht der Wiener Ludwig Lobmeyr das ganze Gewicht seines großen Namens für den Krystallstil in die Bresche geworfen. Gustav E. Pazaurek berich tet darüber im Jahre 1901: „Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollte man Lobmeyrs Ruhm ausführlich begründen. Die ungemeinen Verdienste, die sich Ludwig Lobmeyr um die Glasdekoration der Gegen wart (1901! Anm. d. Verf.) seit der alleinigen Übernahme der väterlichen Firma im Jahre 1864, und namentlich seit der Wiener Weltaursstellung des Jahres 1873 erworben, sind allbe kannt, und unsere Museen beherbergen manch vornehmes Lobmeyr-Glas. Die Firma J. & L. Lobmeyr gehört in der Glasdekoration dem äußersten rechten Flügel an: sie ist streng konservativ, aber auch äußerst vornehm in allen ihren Schöpfungen, von denen gar viele im , 19. Jahrhundert ihresgleichen nicht ha ben . . . Wenn das Venetianertum in der Glas industrie in den siebziger Jahren in der nörd lichen Hälfte Europas nicht zur Vorherrschaft gelangte, so ist das in erster Linie das Ver dienst Lobmeyrs . . . Seither hat die Graveur technik nichts auch nur annähernd so Vollen detes hervorgebracht, und man muß bis in die Zeiten Kaiser Rudolfs II. zurückgehen, ehe man ebenbürtig geschnittene Krystallarbeiten wiederfindet. Selbstverständlich erhielt Lob meyr auf der Pariser Ausstellung die höchste Auszeichnung, was umso bemerkenswerter ist, als er nach dem Gesagten keineswegs „modern" ist und der Laune des Tages nicht die gering sten Konzessionen macht. Es war seit jeher ein Vorrecht abge klärter, großer Unternehmungen, in den Zeiten künstlerischen Sturmes und Drange seine zuwartende, über dem Parteigetriebe befindliche Stellung zu beobachten, dafür aber mit umso größerer Sorgfalt die besten Traditionen alter Technik künftigen Geschlechtern zu er halten. Übrigens verhält sich der große Pfad finder des Jahres 1873, Ludwig Lobmeyr, der in seinem Neffen Stephan Rath einen tem peramentvollen, jugendlichen Mitarbeiter ge wonnen, keineswegs völlig ablehnend gegen über den Bestrebungen unserer Tage." (19011, Anm. d. Verf.) Diese souveräne Stellung hält der nunmehr über 80 Jahre alte Stephan Rath als Erbe sei nes Oheims und Seniorchefs des Hauses J. & L. Lobmeyr auch heute, nach der Austreibung seiner besten Arbeitskräfte aus seinen Stein schönauer Betrieben und Abwanderung vieler in fremde Länder, wo sie als willkommene Konkurrenten des Stammhauses aufgenommen wurden, allen Widrigkeiten der Zeit zum Trotz. Stephan Rath, der 1914, in der Nacht vor Franz Ferdinands Abreise nach Bosnien, noch von dem Thronfolger zur Audienz befohlen war, um die Weisung entgegenzunehmen, das Wappen Kaiser Josef I. auf das für Schloß Konopischt bestimmte Krystall-Service gra vieren zu lassen, hat fast ein halbes Jahrhun dert später noch Entwurf und Anfertigung des Krystall-Services für den neuen Palast Kaiser Haile-Selassies in Addis Abeba übernommen. Er hat aber auch erkannt, daß die Herstellung ganzer Service in Hochschnitt in unseren Tagen schon wegen der hohen Kosten eine solche Sel tenheit geworden ist, daß die Kunst des Glas schnitts nur bewahrt werden kann, wenn sie den Zwecken und Anforderungen sowie der finanziellen Leistungsfähigkeit des Käufers oder Bestellers von heute angepaßt werden kann.
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