Christliche Kunstblätter, 94. Jg., 1956, Heft 1

der Aufklärung fast unbeachtet war, oder daß Grünewald erst von der Romantik wieder ent deckt wurde. Ebenso enthüllend ist es, daß heute auf der gleichen Auktion — der von Roman Norbert Ketterer Ende November 1955 in Stutt gart — ein gutes Gemälde von Nicolas Poussin „Besuch der heiligen Elisabeth mit ihrem Sohn Johannes bei der Heiligen Familie" um 20.000 DM ausgerufen, aber nicht verkauft wurde, während Kandinskys „Improvisation 23" 52.000 DM erzielte. Kandinsky bedeutet dem heutigen Menschen mehr als Poussin. Warum? Eine Untersuchung würde wohl zu interessanten Ergebnissen kommen. Natürlich spielen für die „Bewertung" von Kunstwerken auch andere Gründe als das „Angesprochensein" ein Rolle: so erzielen Kunst gegenstände, die sich leicht in einer Wohnung stellen lassen oder ihren dekorativen Reiz dort entfalten können, höhere Preise als riesige Bild teppiche, die in Museen, oder gar große Bilder und Altäre, die nur in Kirchen gehängt bzw. auf gestellt werden können. Darum erzielten die zier lichen französischen Möbel der Rokokozeit bei Adolph Weinmüller in München so hohe Preise, während das Schnütgen-Museum einen kostbaren Bildteppich aus Franken (um 1520) auf der Lempertz-Auktion in Köln verhältnismäßig preis wert erwerben konnte. Große Barockschränke — zum Großteil aus Sakristeien — waren bei Adolph Weinmüller unverkäuflich und die gro ßen religiösen Bilder von Karl Caspar erzielten bei Roman Ketterer sehr dürftige Preise. Ein drittes Moment darf bei Auktionen nicht außer acht gelassen werden: es ist die speziflsche Atmosphäre einer Auktion. Wer DürerGraphik sammelt, geht zu Karl und Faber in München. Dort wurde für „St. Hieronymus im Gehäuse", den berühmten Kupferstich von 1514, 1750 DM bezahlt; ein brillanter Probedruck vor dem Text (wegen des klaren, warmen, schwarzen Drucks sind solche Probedrucke be sonders beliebt) von der „Geburt Mariens" aus dem Marienleben erzielte 590 DM und „Der zwölfjährige Jesus im Tempel" aus der gleichen Folge 550 DM. Dagegen konnte man bei Ro man Ketterer, bei dem nur wenige Dürer an geboten werden, ein schönes Exemplar des „Abendmahls" um 280 DM erwerben. Erst recht gehen die Preise in Höhe, wenn mehrere Liebhaber sich für ein Werk interessieren, wes halb etwa die Beckmann-Selbstbildnisse (Ra dierungen) bei Ketterer bis zu 405 DM er zielten. Noch ein Wort an jene, die meinen, für Kunst werke könne man jeden Phantasiepreis erzie len. Ich erinnere mich an einen Fremdenführer in einem fränkischen Städtchen, der mit stolz geschwellter Brust erklärte: „Dieser gotische Altar eines unbekannten Meisters ist etwa eine Million Mark wert", wobei er den tatsächlichen Wert wohl um das zwanzigfache übertraf. Ein Gegenbeispiel: welcher Laie würde vermuten, daß man die „Textausgabe" der „kleinen Pas sion", eine Reihe von 36 Dürer-Holzschnitten, um 1250 DM erwerben konnte (bei Karl und Faber)? Um ein Kunstwerk bewerten zu kön nen, muß man Fachmann sein, und die meisten sind es auch nur auf einem eng begrenzten Gebiet. Und nun ein kurzer Überblick über die deut schen Herbstauktionen 1955. Das bekannteste Auktionshaus für alte Kunst ist das Kölner Kunsthaus Lempertz. Dort wurde für zwei go tische Tafelbilder eines Meisters aus der Schule von Avignon (um 1420) 8500 bzw. 600 DM bezahlt, für das „Martyrium des heiligen Laurentius" von einem Salzburger Spätgotiker 10.000 DM, für eine wundervolle thronende Madonna aus Nordspanien (14. Jahrhundert) 8500 DM, eben soviel für eine Alabaster-Pietä aus der Zeit um 1430. Erstklassige gotische Werke werden also wieder höher gewertet als vor einigen Jahren, während Plastiken und Bilder mittlerer Quali tät bedeutend billiger zu haben, vielfach sogar unverkäuflich sind. Für Bilder aus der Zeit der Renaissance und des Barocks wurde bezahlt: 10.000 DM für das „Bildnis Karl V." von Antonis Mor, 7000 DM für ein Lutherbildnis von Cranach dem Älteren, 9500 DM für die Allegorie „Zeit und Ruhm" von Tiepolo, 7800 DM für das Porträt der „Isabella von Bourbon" von Rubens. Einen sehr hohen Preis erzielte ein schöner Hausaltar unseres Öberösterreichers J. Schwanthaler des Älteren, für den 13.000 DM bezahlt wurden. Für moderne Kunst hat sich Roman Norbert Ketterer in Stuttgart in der kurzen Zeit nach dem Kriege zum ersten deutschen Auktionshaus entwickelt. Seine 22. Auktion brachte mit 2073 Nummern wieder ein reichhaltiges Angebot. Trotz der Zurückhaltung mancher Kreise konn ten die modernen Gemälde im wesentlichen das hohe Preisniveau halten, das sie bei der 20. Auk tion im Herbst 1954 erreichten. Außer dem er wähnten Kandinsky wurde ein Selbstbildnis von Lovis Corinth um 27.000 DM, eine „Fluß landschaft" von Andre Derain um 18.500 DM, „Le Porträt de la Marquise" von Jomes Ensor um 20.000 DM, Klees „Bildnis eines Gelben" um 11.000 DM, Kokoschkas „Maler Felix Albrecht Harta" um 13.500 DM, Marcs „Stehende Mäd chenakte" um 18.500 DM, zwei Aquarelle von Macke um 7500 bzw. 5000 DM, zwei Gemälde von Nolde um 6500 bzw. 6300 DM verkauft. Ein Rosenbild von Renoir von bezaubernder Farb ig

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