Christliche Kunstblätter, 93. Jg., 1955, Heft 3

kraft des Amtes in der Übernatur. Steigert er in sich dieses Bewußtsein vom Amte, so ist er möglicherweise in der Gefahr der Weltfremd heit. Überläßt sich der Künstler hingegen seinen elementaren Antrieben, gerät auch er in Gefahr. Selbstverständlich in eine ganz andere Gefahr. Als Christen können wir sogar sagen, daß er in die Gefahr der Seinsfremdheit gerät. Denn es ist auch in uns angelegt zu wissen, daß die Sinne nicht die Erfüllung des Menschen aus machen. Aber wer will hier die Grenzen be stimmen? Denken Sie einen Augenblick an die Kunst, wie sie heute ist. Warum wird sie verdächtigt? Und welche Argumente stellt man gegen sie! Entartet, gottlos, unnatürlich. Entartet sagen jene von ihr, die ein konventionelles Bild vom Menschen haben, die da der Meinung waren und sind, daß der Mensch sich erfüllt in seiner Umwelt. Nun ist aber diese Meinung vom Men schen selbst entartet, wie leicht einzusehen ist. Schwerer wiegt das Argument, die Kunst sei gottlos. Abgesehen nun davon, daß an vielen Orten aber selbst das Werk von Künstlern, die zugeben nicht zu glauben, ohne Schwierigkeit in den Dienst der Liturgie oder Andacht gestellt worden ist, würde ich folgendes sagen: Kunst ist nur unter einer einzigen Voraussetzung gottlos: wenn ihr Urheber, der Künstler, dies ausdrücklich in ihr anlegt. In allen anderen Fällen ist die Kunst lediglich menschlich. Wir verstehen: der gefallene Mensch, der aus dem Paradiese kam, war keinesfalls gottlos. Er war gestraft von Gott, er wurde in Grenzen gestellt, die vorher nicht galten, aber er war nicht gott los. Wie denn ein der Versuchung des Teufels erlegener Mensch nicht schon gottlos sein muß. Der von Gott freigestellte Mensch hat immer " noch das umfangreichste Volumen alles Ge schaffenen. In diesem Volumen, das sollte man wissen, erfüllt sich die Kunst. Sie ist ungeheuer groß, denn auch der Mensch ist ungeheuer groß. Und wenn der Künstler seine Natur gebraucht, wird sichtbar, wie groß, wie gewaltig, wie ungeheuerlich umfassend, seine, des Menschen Anlage ist. Wie seine Natur, so ist sein Werk ausgespannt zwischen Himmel und Hölle, zwi schen Ding und Unding, zwischen Sinn und Widersinn. Und dies alles zu bemerken, wahr zunehmen — als wahr zu nehmen, ist ihm aufgetragen. Denn selbst der paradiesische Mensch war in die Versuchung gestellt. Kunst ist in ihrer Wesensart das in die Versuchunggestellt-sein. Der Künstler selber, möge er in der Lage sein, seine Versuchungen zu bestehen, ist nicht in der Lage sein Werk, sein Tun anders zu realisieren als im Frei-gestellt-sein Gottes und damit in der Versuchtheit. Das Werk des Künstlers gibt im Grunde nichts anderes aus, als diesen Inhalt. Allen, die hier Verdacht schöpfen, möchte ich sagen: in solche Freiheit stellen kann nur Gott — niemals der Teufel. Damit meine ich genug gesagt zu haben zu der Unterschiebung „die Kunst sei heute gottlos". Aber ich gehe noch einen Schritt weiter in dem Bemühen, überängstlichem Klerikalismus den Garaus zu machen: Bedenken Sie einmal den §atz: „Gratia supponit naturam." Er besagt doch, daß die Natur die Voraussetzung für das Wirken der Gnade ist. Im Bereich der Kunst ist dieser Satz sicher unanfechtbar. Und ich ziehe die Folgerung: die, denen das Heil der Menschen in die Hände gelegt ist, sollten voller Freude sein, daß unsere Kunst menschlicher geworden ist, d. h. der Natur des Menschen ent sprechender. Damit sind wir beim dritten Argu ment: daß die Kunst unnatürlich geworden sei. Dieses Argument also entspringt einfach man gelhafter Einsicht. Nirgendwo nämlich entspricht es der Lehre der Kirche, daß nur jenes natürlich zu nennen sei, was das bloß sichtbare ist. In jedem Baume ist Natur schon dann, wenn von seinen Blüten, den Blättern, den Früchten noch gar nichts zu sehen ist. Kein Mensch denkt daran, diesen Baum des unnatürlichen Verhaltens zu bezich tigen, wenn er mit Macht plötzlich Blüten, Blätter und Früchte hervorbringt. Auch der Maler, der Farben und Formen hervorbringt, wie ein Musiker Töne und Rhythmen, tut dies nur seiner Anlage entsprechend. Und es ist ein fach eine Verkleinerung der menschlichen Na tur, darin das Wirken des Teufels zu sehen. Ich für mein Teil bekenne, daß meine Frömmig keit beim ■ Malen „gegenstandsloser" Bilder nicht geringer noch größer ist, als wenn ich ein Kirchenfenster mache etwa mit dem Thema der Ausgießung des Hl. Geistes. Und in der Gotik wurden sogar Dämonen, Unholde und Unge heuer aus der natürlichen Frömmigkeit jenes Menschen gestaltet, dem sein menschliches Vo lumen nicht von vorneherein von ängstlichen Moralisten verdächtigt wurde. Aber vielleicht ist die Wut etwa gegen Picasso eher aus dem schlechten Gewissen derer verständlich, die ver paßt haben, seinem künstlerischen Volumen den Ort zu geben. Denn an unseren Kirchen zeugt leider nichts mehr von der Existenz des Teu fels, von der Picasso Zeugnisse gibt. Der Satz: „Ich möchte reich sein, um die Armut der Welt zu kaufen" stammt von diesem Picasso, der eine Welt zeigt, die man nicht ungestraft einfachhin ignoriert. Sie sehen, meine Damen und Herren, welche Welt es ist, die der Natur des Menschen gegen übergestellt ist. 116

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