Christliche Kunstblätter, 93. Jg., 1955, Heft 3

nicht selbstverständlich, denn lange genug schien es, als gäbe es für die große Kunst keine Kirche und auch umgekehrt. Und mit der Kunst waren auch die Künstler der Kirche entfremdet worden. So kann man von einer doppelten Problematik sprechen, die sich um folgende Fragen kristallisiert: 1. Kann ein Künstler, der nicht in einem lebendigen Christentum steht, christliche Bildaufgaben lösen? 2. Kann die moderne Kunst, wie sie heute existiert, im Dienst für die Kirche verwendet werden? Es scheint, als bilde die erste Frage und deren Beantwortung das eigentliche Ereignis der klei nen Kirche auf dem Plateau der französischen Alpen, die für die Lungensanatorien von Assy erbaut wurde. Zwei Dominikanerpatres, P. Couturier und Regamey, haben es dort gewagt, zur Ausstattung der architektonisch wenig bedeu tenden Kirche einmal alle führenden franzö sischen Künstler einzuladen und sie haben bei der Wahl nur das vorhandene und bekannte Werk als Kriterium der . einzelnen genommen und nicht deren Religiosität und Moralität. (Es sei wenigstens in Klammer bemerkt, daß dem, der etwa die Künstlerbiographien vergangener Kunstepochen kennt, dieses Verhalten durchaus nicht neu und ungewohnt erscheint.) Das Ergeb nis des Aufrufs war überraschend. Künstler wie Braque, Bonnard, Leger, Lipschitz, Lur^at, Matisse, Richier, um die wichtigsten zu nennen, beschäftigten sich daraufhin zum erstenmal mit einem christlichen Bildprogramm. Jeder blieb dabei unverkennbar er selbst und was sie schu fen, sind zwar neue Formulierungen alter Ge halte, aber Werke, von denen aus bei unvorein genommener Betrachtung kaum Rückschlüsse auf die persönliche Gesinnung der einzelnen zu ziehen sind. Viele affektgeladenen, spontanen Äußerungen können nicht als Antwort auf diese diffizile Frage gewertet werden, denn sie reicht weit hinein in die christliche Existenz. Während noch die Wellen der Erregung um Assy sehr hoch gingen, schuf der greise Matisse im südlichen Vence für Dominikanerinnen eine Kapelle, und da es eine Gabe der Dankbarkeit für erfahrene Pflege in Krankheit sein sollte, entwarf er alles, von der Architektur angefan gen bis zum kleinsten Gerät. Bevor noch in gewissen Kreisen die Verwunderung über diesen Entschluß des alten, freigeistigen Grandseigneurs der französischen Malerei in lauten Pro test übergehen konnte, wurde bekannt, daß er über dieser Arbeit zum „Glauben seiner Kind heit" zurückgefunden habe. Matisse ist inzwi schen in vollem Frieden mit der Kirche gestor ben. Die Erwähnung dieses einen Falles ist nicht als Antwort auf die oben gestellte Frage ge112 dacht, aber er gibt doch auch sehr zu denken, denn es wird offenbar, daß für den Künstler die natürliche Brücke zu einer persönlichen Begegnung mit der Religion die künstlerische Betätigung bildet. Und Matisse ist nicht der einzige Fall. Es war bezeichnend, daß auch auf der Tagung in Wilhering die Gespräche um dieses Problem kreisten, als Überlegungen' über das Religiöse im Kunstwerk angestellt wurden. In einer Zeit, da von „christlicher Kunst" und „christlichen Künstlern" wie von einer eigenen Gattung ge sprochen wird, ist diese Besinnung doppelt not wendig. Christliche Kunst ist ja zunächst Kunst und unterliegt sämtlichen Anforderungen, die an ein Werk zu stellen sind, das dieser geho benen Kategorie menschlichen Schaffens zuge hören will. Die Qualität eines Kunstwerkes ist weder durch eine Künstlerpersönlichkeit noch durch ein Thema vorgegeben, sondern sie liegt im Werk sebst. Dem oft zitierten Satz, daß jedes echte Kunstwerk religiös sei, liegt dieses Postu lat einer, natürlich immer relativen Vollkom menheit zugrunde. In der jeweiligen Größe und Erhabenheit, in der Perfektion eines Kunst werkes liegt dessen Teilhaben am religiösen Sein begründet. So ist es möglich, daß eine Land schaft religiöser sein kann als ein religiöses Motiv. Es erhebt sich sogleich die Frage, welche Kriterien ein so in sich religiöses Bild zu einem christlichen Bild machen. Müssen christliche Offenbarungsgehalte in Erscheinung treten, muß eine spezifisch christliche Verkündigung sichtbar sein, ist es also das Thema, das als Kennzeichen wesentlich wird? All diese offenen Fragen drängen noch zu einer Klärung in wei teren Gesprächen. Die Beantwortung wird eng verknüpft sein mit der Lösung des zweiten oben benannten Problems, ob die Kunst der Gegen wart für die Kirche möglich sei. Es scheint, als würde sich dieses Problem immer mehr auf die Frage zuspitzen, wie weit die sogenannte abstrakte, also nicht figürliche Kunst, die nun einmal ein Wesensmerkmal des heutigen Kunstschaffens ist, einbezogen werden darf, ja muß. Die Kirche kann wohl nicht mehr länger uninteressiert oder gar feindlich an die sem Phänomen künstlerischer Aussage vorbei gehen, denn sie wird ja von nicht wenigen lebendigen Gliedern ihrer Gemeinschaft geübt und geliebt. An bestimmten Stellen neuer Kirchenbauten befinden sich bereits einige be achtenswerte abstrakte Lösungen, so die Fenster in Breseaux von Manessier, das Portalmosaik in Audincourt von Bazaine, und die Fenster in Feldkirchen und Schweinfurt von Meister mann. Dr. W. Warnach hat in Wilhering in

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