Christliche Kunstblätter, 93. Jg., 1955, Heft 3

bereits in ihrem Wesen und sie offenbart es nach außen durch ihre Schönheit. Sie entlockt uns dasselbe bewundernde Erstaunen wie die großen Denkmäler der Vergangenheit. Warum das? Es ist schwer zu sagen, und vielleicht kann man es gar nicht ausdrücken. Es ist nicht das Ergebnis der Berechnungen von Ingenieuren oder einer exakten Logik, sondern eine Art offen daliegender, vollkommener Musik, die aus der Seele dessen selbst entspringt, der das Werk schafft. Diese Tatsachen sind zu tief und zu geistig, als daß man sie ausdrücken und erklären könnte. Um sie zu begreifen, bedarf es einer neuen Anschauung und eines einfachen und reinen Herzens. Das also ist das Wunder, das sich inmitten so vieler Täuschungen und Mittelmäßigkeiten in einigen reinen und lebendigen Werken verwirk licht hat. „Ist es nicht wunderbar" — schreibt der erste Apostel dieser Erneuerung, P. Couturier —, daß wir nach so vielen Jahren des Unglücks und der Verfälschung endlich zu dem Augenblick gekommen sind, wo die Forderung, der Hunger und der Durst nach dem Absoluten, die seit Cezanne und van Gogh die Angst und die Größe der modernen Kunst gebildet hatten, sich für den Frieden Gottes aufopfern können und die Geheimnisse SEINES Hauses mit den Mauern umgeben werden, die wir IHM er bauen?" Die gegenwärtige Situation der christlichen Kunst P. Urban Rapp, O. S. B. (Abtei Münsterschwarzach) Vorbemerkung. Auf der Künstlertagung in "Wilhering wurde mir der Auftrag zuteil, an Hand von Lichtbildern einen zusammenfassenden und abschließenden Vortrag zu halten. Dieser Umstand und die Kürze der Vorbereitungszelt zwangen mich in freier Formulierung zu den aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen. So kann und soll dieser nachträglich schriftlich fixierte Beitrag nur eine Gedankenskizze sein, zumal es unmöglich ist, die besprochenen Bildbeispiele im Abdruck zu zeigen. Jede Tagung, die sich mit dem Verhältnis der Kirche zur Kunst der Gegenwart beschäftigt, wird zunächst auf das Problem des Kirchen baues stoßen. Seit etwa 30 Jahren vollzieht sich das vieldiskutierte Bemühen, einen Sakralbau zu schaffen, der den religiösen, liturgischen und den formalen Ansprüchen der Gegenwart genügt. Aus verschiedenen Quellen wird dieser Prozeß einer Neuschöpfung' gespeist, von denen die erste und wichtigste die liturgische Besinnung und Erneuerung darstellt. Man kann es als die Erkenntnis der geistigen Funktion des Kirchen baues bezeichnen. Dieser Ausgangspunkt läßt zunächst alle Fragen nach der äußeren Form, nach Stiltradition und Materialverwendung zweitrangig erscheinen. Die Kirche als Archi tektur ist nicht Selbstzweck, sondern steht im Dienst einer klar umrissenen Aufgabenfolge. Ich zitiere dazu die ersten Sätze der Richtlinien, die im Auftrage der deutschen liturgischen Kommission von Theodor Klauser zusammen gestellt wurden. „I. Das christliche Gotteshaus ist das geweihte und — schon unabhängig von der Eucharistie — von Gottes besonderer Gegenwart erfüllte Ge bäude, in dem sich das Volk Gottes versammelt. Und zwar versammelt es sich hier; 1. und vor allem, um die Erneuerung des Er lösungsopfers Christi zu begehen; 2. um die Früchte des Erlösungsopfers Christi in den hl. Sakramenten entgegenzunehmen; 3. um das Wort Gottes zu hören; 4. um dem im eucharistischen Brote gegenwärti gen Christus seine Huldigungen darzubringen; 5. um sich außerliturgischen Andachten hinzu geben. II. Das christliche Gotteshaus dient aber nicht nur als liturgischer und außerliturgischer Ver sammlungsraum der Gemeinde, sondern auch als Andachtsstätte des einzelnen Gläubigen." Es gibt also eine Art von Hierarchie der Bau aufgaben eines Gotteshauses. Nach seiner wich tigsten Zweckbestimmung ist es Kultraum. Der Ort des Kultes aber ist der Altar. Zu ihm hin versammelt sich die Gemeinde, mit ihm muß sie geistigen und körperlichen Kontakt haben. Er ist gleichsam das Haupt (der Altar ist ja Symbol für Christus) und die Gemeinde der Leib. Die Aufgabe der Architektur ist also zunächst, diese Gemeinschaft sichtbar zu bilden, sie zu umgren110

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