unseren Heiligtümern eingeladen werden und diese Einladung gerne annehmen." Es finden sich darin auch hinsichtlich der Beurteilung neuer Werke folgende Ratschläge von großer Klarheit: „Man muß schließlich immer in Be tracht ziehen, daß eine neue Kunst, die mit althergebrachten Gepflogenheiten mehr oder weniger bricht, im allgemeinen nur mit einer gewissen Zurückhaltung wirklich verstanden und beurteilt werden kann, und daß ein Kunst werk nur an Ort und Stelle, in seinem Rahmen und in seinem Lichte wirklich eingeschätzt wer den kann, besonders, wenn es sich um ein deko ratives Werk handelt." Dies bedeutet ein wich tiges Datum in der Geschichte der christlichen Kunst. Zum ersten Male seit 200 Jahren erken nen die kirchlichen Behörden den Wert der größten lebenden Künstler an. Auch das ist eine Art Wunder, meint P. Couturier: „Daß Matisse vier Jahre seines Lebens dazu- verwendet hat, eine Kapelle der Dominikanerinnen zu schaffen, ist ein Wunder. Und irgendwie ist es auch ein Wunder, daß die Kirche, wie sie heute ist, d. h. in allen Ländern sehr weit von den lebenden Quellen der Kunst entfernt, dies angenommen hat, sich dessen freut und sich dadurch geehrt erklärt." Die Verwirklichungen von Assy und Vence wurden der persönlichen Initiative klarsehender Männer verdankt. Die kirchliche Hierarchie nahm sie als einmal gegeben auf, veranlaßte aber nicht ihre Entstehung. Man sehe aber, wie die diözesane Autorität selbst in Besannen die bemerkenswerteste Bemühung für die Erneue rung der sakralen Kunst anregt, kontrolliert und stützt. Am 20. Jänner 1951 genehmigt die Diözesan-Kommission für sakrale Kunst'), ver sammelt unter dem^Vorsitz des Erzbischofs und des Hilfsbischofs, die Skizze der Glasfenster und das Modell eines großen Mosaiks von Bazaine für die Kirche von Audincourt und die Pläne von Le Corbusier für die Kapelle von Ronchamp. Was heute am reinsten und stärksten in der lebendigen Kunst ist, wurde ohne Schwert streich von einer hohen kirchlichen Jurisdiktion gebilligt. Es ist damit der Beweis erbracht, daß von da an eine Änderung in der Kirche Frank reichs zu verzeichnen ist. Als letzte in der zeitlichen Reihenfolge — denn die Grundsteinlegung erfolgte am 25. Juni *^) Normalerweise besitzt jede Diözese eine Kunstkom mission, von rechtswegen vom Bischof präsidiert, von einem Sekretär geleitet und aus berufenen Priestern und Laien bestehend. Der GroI3teil der in Frankreich tätigen Kommissionen beweist viel guten Willen, aber ihr Geschmackist oft nicht sicher und ihre Entscheidun gen sind manchmal bedauerlich. Einige Ausnahmen, wie Carcassone und besonders Besant-on, bezeugen die wirk same Arbeit, die diese Kommissionen in ihrem Bereich vollbringen können. — wird die Kapelle von Ronchamp wahrschein lich ein wichtiges Geschehen in der Geschichte der religiösen Architektur darstellen. Dieser sehr alte Marienwallfahrtsort ist am Gipfel eines bewaldeten Berges gelegen. Im Verlaufe der Befreiungskämpfe von 1944 wurde die Kirche beschädigt und es bestand Einsturz gefahr. Um die Kirche wiederherzustellen, hatte P. Ledeur, Sekretär der Diözesankommission für sakrale Kunst der Diözese Besanyon, den Mut, sich an Le Corbusier zu wenden. Dieser lehnte zunächst ab, da er eine Aufgabe nicht überneh men wollte, für die er sich nicht genügend quali fiziert hielt. Dann aber machte er sich, gefesselt von der Schönheit der Lage und begeistert für die geistige Größe der Arbeit, ans Werk. Er verbrachte drei Jahre mit Studien und Nach forschungen, um das Projekt reifen zu lassen. Die Kapelle steht Jetzt und ist vollendet. Sie werden zuerst ob der extremen Neuartig keit der Formen überrascht sein. Sie werden aber zugeben, daß sie nicht willkürlich sind. Sie sind aus den praktischen Notwendigkeiten der inneren und äußeren Zeremonien und außer dem aus dem Wunsche nach Übereinstimmung mit den beherrschenden Linien der Landschaft entstanden. Wenn aber die Pläne und Formen ihrem Endzweck und ihren Bestimmungen . strenge gehorchen, so entwickeln sie sich doch auch mit aller Freiheit und Fülle eines leben digen Organismus. Die Photographien können in Erstaunen versetzen. Hat man aber nach Überwindung des rauhen Pfades den Gipfel des Hügels erreicht, dann ist es schwer, vom Adel des Volumens, von dem so zarten und so maß vollen Spiel der Linien nicht gefangen zu sein. Die Flucht des Daches ruft unwiderstehlich die harmonische Vorstellung eines sich in den freien Himmel schwingenden Schiffes hervor. Wir sind gleichzeitig verwirrt und überwältigt. Gewiß, es ist dies keine gewöhnliche Konstruktion, aber die Vollkommenheit und das Gleichgewicht der Formen bekunden eindeutig ihren sakralen Charakter. So erreichen wir schließlich jenen überlegenen Typus der Architektur, der den reinen - Funk tionalismus übersteigt. Alle Möglichkeiten des Betons werden nutzbar gemacht, damit er völlig dem vorgesehenen Gebrauch entspreche und das Bauwerk außerdem durch die Qualität seiner Formen eine Art Ehrfurcht und gleichsam ein Gebet ausdrücke. Denn alles ruft hier Leichtig keit, Harmonie und Freude hervor. Alles trägt jene Note des Festlichen und des Ruhmes, die den Gottesdienst so mit Recht auszeichnet. Ein geweiht, wird sie eine Kapelle nicht nur durch ihre Weihe und ihre Funktion sein. Sie ist es 109
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