Christliche Kunstblätter, 93. Jg., 1955, Heft 3

Ernst von Biederkeit, jene robuste Gesundheit, die gleich der ihres Lebens war. Unter ihnen war der Geniale nicht ein Fremder, sondern ein verwegenerer und kühnerer Kamerad, der eine verzehrendere Flamme nährte. Der Schatz der ■ in sein Material eingemeißelten Formen, dem er ein Geheimnis entrang, teilte sich zur Gänze seiner Umgebung mit. Da schon Scheune und Hof eine solche Würdigkeit an Formen annah men, stellten der Bau und die Ausschmückung der Kirche keine Probleme dar. Man gab dem Haus Gottes einfach mehr Adel, man widmete ihm mehr Sorgfalt und mehr Herz als dem Haus der Menschen. Unsere Zeit kennt diese Harmonie nicht mehr. Es ist nicht mehr der Glaube, der die Völker zusammenschließt. Der Mensch hat sich die Natur Untertan gemacht, aber er verschließt sich in gierigem Traditen nach materiellem Wohl ergehen und vergänglichem Vergnügen. In einer Welt, in der die geistigen und poetischen Werte nichts mehr gelten, fordert der Künstler seine schöpferische Freiheit und schließt sich von der Gesellschaft aus. Eine wahrhafte sakrale Kunst mit der Universalität und der Einmütigkeit, die sie bedingt, ist in einem solchen Klima eine Utopie. Sie kann nur das Bild zahlenmäßig und örtlich beschränkter christlicher Gemeinschaften sein. Sie kann nur an dem Kreuzwege gedeihen, an dem sich wie durch ein Wunder eine leben dige Kunst mit authentischem religiösen Wert mit einer Gruppe einiger und aufnahmebereiter Gläubigen kreuzt'). „Wie könnte in einer Welt, deren wirtschaft liche, intellektuelle, soziale — und zum großen Teile selbst religiöse — Strukturen direkt anti poetisch und antimystisch sind, eine lebendige sakrale Kunst anders wiedergeboren werden als durch Wunder?" P. Couturier, der diese Fest stellung machte, hat mit all seinen Kräften ge kämpft, diese Wunder hervorzurufen. Einige haben geblüht dank ihm und dank einiger durch ihren Mut und ihre Kühnheit bewundernswer ter Priester. Sie haben heute allgemein bekannte Namen: Assy, Vence, Audincourt, Ronchamp. Es war höchste Kühnheit, auf eine alte und lange Überlieferung zurückzukommen und die besten Schöpfer der Epoche einzuladen, die Kir chen zu dekorieren. Nicht aus Snobismus, auch nicht aus dem eitlen Wunsche, fortgeschritten zu erscheinen oder sich bekannter Namen zu rühmen. Weil alles nur aus Leben entsteht, muß man dieses nehmen, wo es am dichtesten und am geballtesten ist. Nicht in einer Vergangen heit, wie ruhmvoll sie auch sein mag, sondern I) Diese Bemerkungen betreffen die spezielle Situation Frankreichs und dürfen nicht unterschiedslos verallgemeinert werden. unter den Meistern der lebendigsten und auch anspruchsvollsten Kunst. Indes sind die herkömmlichen Themen dieser Künstler und manchmal auch ihre Überzeugun gen oft entfernt vom Christentum. Wie soll man von ihnen wahrhaft Sakrales erwarten? Die Tatsachen haben darauf geantwortet. Jedesmal, wenn man ihnen eine Aufgabe in der Kirche anvertraut hat, haben die nicht gläubigen Mei ster eine absolute Loyalität und eine völlige Redlichkeit bewiesen. Wer immer ein intaktes Einfühlungsvermögen besitzt, kann die geistige und religiöse Weite ihrer Werke schwer leugnen. Nach Natur und Temperament ist jeder Künstler den geistigen Intuitionen aufgeschlos sen, und seine Kunst ist vor allem der fühlbare Ausdruck seines durch den Anstoß des Alls berührten und verlebendigten geheimnisvollen Seins. Ob sich ein Mensch gläubig oder ungläu big nennt, er ist verbunden mit Gott, der seine Persönlichkeit schafft und vertieft. Aus dieser tiefen Quelle entspringt nun das Kunstwerk, und zwar um so höher, je mehr es jede vorstel lungsgebundene Verunreinigung, jede Sentimen talität, jeden Hang zum Eigensinn, jede Propa ganda vermeidet. Da diese Lauterkeit jene ist, die die großen Künstler schafft, ist es nicht erstaunlich, daß sich bei ihnen besser als bei jedem anderen jene religiöse Seite des Menschen und seine Bindung mit dem Schöpfer ausdrückt, wenn sie zur Arbeit für die Kirche aufrichtig bereit sind. Diese Aufrichtigkeit ist ursprüng lich. Es genügt in der Tat nicht, ein großer Mei ster zu sein, um das Haus Gottes zu schmücken, sondern ein wahrer Künstler, der ein für eine kultische Bindung bestimmtes Werk übernimmt, macht dies loyal, denn er würde sonst eine Auf gabe ablehnen, was ihn in Widerspruch mit sich selbst setzen würde. Von diesem Augenblick an sind es nicht mehr seine Ideen, noch seine be wußten Gefühle, die seine Arbeit wesentlich beseelen, sondern dieser Teil seines Seins, durch den jeder Mensch aus Gott lebt, erschließt sich IHM und ist in Erwartung Christi des Erlösers. Das Wunder beginnt mit der am 4. August 1950 geweihten Kirche von Assy. Die Mauern dieses bescheidenen Bergheiligtums tragen oder beinhalten die Werke der berühmtesten zeit genössischen Künstler: Rouault, Bonnard, Leger, Lurcat, Matisse, Braque, Bazaine. Es ist dies ein bemerkenswertes Ereignis, das die ganze Welt begeistert. Seine Tragweite und tiefe Bedeu tung wurden unmittelbar wahrgenommen. Diese Neuerung schien revolutionär: es war lediglich die Rüdtkehr zu dem, was die beständigste Übung der Kirche war: die besten Schöpfer der Epoche ihrem Dienste nutzbar zu machen. Nach nahezu zweihundertjähriger Unterbrechung 107

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