Christliche Kunstblätter, 93. Jg., 1955, Heft 3

könnte sich vorstellen, daß ein Künstler, gerade well er sich die beschreibende Funktion der gegenständlichen Malerei aus innerem Form zwang heraus versagt hat, durch eine besonders intensive Lesung der biblischen Texte oder der Auslegung, wie sie die Kirchenväter geübt haben, Vorstellungsschemata entwickelt, die schließlich so ins Eigene verwandelt sind, daß sie im schöpferischen Vorgang sich spontan aus wirken. Man könnte es sich denken, müßte es vielleicht auch wünschen, nicht zuletzt, weil sich von dorther eine breitere Front der inneren Begegnung zwischen einer so religiös durch wirkten Kunst und dem gläubigen Betrachter bilden mag. Es bleibt zuletzt noch die Frage, welche Vor aussetzung von unserer Seite, von Seiten des Kirchenvolkes erfüllt sein muß, damit die Be gegnung mit einem Werk der abstrakten Kunst im Kirchenraum fruchtbar und nicht zum selbst verschuldeten Ärgernis werde. Ich kann mich da kurz fassen: sie beschränkt sich auf zwei Forderungen: Erschlossenheit und Demut. Selbst wenn durch nichts ausgemacht ist, ob wir es jeweils mit einem Werk zu tun haben, das aus der Wucht einer echten Selbstbegegnung in der Tiefe des Personengeschicks empfangen wurde, so muß man sich diese Möglichkeit dennoch jedesmal offenhalten, und zwar in einer entsprechenden Dimension der Innerlichkeit, weil ohne diese Offenheit der Geist gar nicht wehen kann, der des Raums von Tiefe zu Tiefe bedarf. Wieviel Hartherzigkeit aber verbirgt sich hinter unseren vorschnellen Protesten. Es ist so oft die Rede gegangen von der „Unterscheidung der Geister" und man be ruft sich gerne auf das paulinische Wort: „Der geistliche Mensch richtet alles." Das schon wie derholt herangezogene Werk von Pöre Regamey zeichnet sich durch nichts so sehr aus wie durch den unendlich zarten Takt bei aller Unerbitt lichkeit des Auswählens, durch jene d i s - c r e t i 0, die in der Tugendlehre der Alten Kirche einen so hervorragenden Rang einnimmt. Die „Unterscheidung der Geister" aber sollten wir den „geistlichen Menschen" überlassen, die die Last der Seelen übernommen haben und schwer genug an dieser Bürde tragen. Das be deutet nicht, daß wir bedenkenlos alles hin nehmen, was vielleicht ein schlecht beratener kirchlicher Auftraggeber seiner Gemeinde vor setzt. Aber oft reichen weder ein hochentwickei - ter Kunstverstand noch theologischer Scharf sinn hin, die innerste Signatur eines Kunst werks zu erfassen. Gegenüber dem hoffärtigen Aburteilen des „Sachverständigen" wirkt die spontane Reaktion eines Gläubigen wohltuend, der eine abstrakte Gestaltung mit Widerwillen von sich stößt, weil sie ihn in seinem Verkehr mit Gott stört, und sie am liebsten zertrümmern möchte. Er urteilt nicht, er verdammt nach dem Rat eines großen Aufrichtigen, Peguys, „mieux vaut condamner que juger", lieber verdammen als richten. Im Verdammen steckt nicht not wendig Hochmut. Für den Künstler, der aus der inneren Not wendigkeit der mit seiner Zeit herangereiften Formentwicklung die Sprache der abstrakten Kunst spricht und, wenn an ihn aus dem kirch lichen Bereich ein Auftrag ergeht, weil er mit sich selbst in Übereinstimmung bleiben will, nur diese Sprache sprechen mag, ebenso wie für das gläubige Volk, das gerade in dem. inner lichsten Bereich, dem der Feier und des Gebets, solchen Gestaltungen begegnet, ihnen in einer oft herausfordernden Weise ausgesetzt ist, er gibt sich das eine Gebot, in dem bereits jeder sein Maß erfüllt: dem Geist nicht wehren. Immer noch hat der großherzigste Einsatz — er muß von beiden Seiten gewagt werden — durch welches Gestein der Geschichte er auch hindurch muß, am weitesten getragen. Sifuafion der zeifgenössischen sakralen Kunst in Frankreich Es gibt Zeitabschnitte und Zivilisationen, in denen die Religion unlösbar mit der Ganz heit des Lebens und mit allen seinen Kund gebungen verbunden ist. Die sakrale Kunst ist darin der sichtbarste Ausdruck des Glaubens, der die Gemeinschaft eint. Die Formen, die er 106 M. R. Capellades, O. P. (Paris) schafft, stimmen mit einem allen gemeinsamen Gefühl und mit einer ebensolchen Vorstellung überein. Die Zeit ist nicht so weit, da alles, was aus den Händen der Menschen hervorging, den Aus druck ihres Herzens trug und jenen gemäßigten

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2