Christliche Kunstblätter, 93. Jg., 1955, Heft 3

digen Kultbaus überwucherte. Unter der geist lichen Funktion eines Kultraums verstehe ich jenes Prinzip der Anordnung von Bauelemen ten, das diese zu einem Resonanzraum für die in der Opferbegehung wie im Gebet erfahrene Begegnung mit dem Gottesgeheimnis macht. Es wäre Sache einer besonderen Untersuchung, in der Geschichte der kirchlichen Kunst den Nach weis zu führen, wie im einzelnen von der Priszilla-Katakombe bis zur Stiftskirche im Kloster Melk dieses Prinzip wirksam gewesen ist. Die abstrakte Kunst, das haben wir auf unserm Weg beobachtet, hat auf der gegenwär tigen Stufe ihrer Ausbildung eine Kraft der Verweisung, eine Intensität der verinnerlichenden Gegenwärtigsetzung, erreicht, daß man zu der Hoffnung berechtigt ist, sie werde, nachdem sie auf einer früheren Stufe ihres Formenganges entscheidend zur Herausbildung der objektiven Baunorm des ' Gotteshauses beigetragen hat, nunmehr, wenn auch stets in enger Bindung an diese, der geistlichen Funktion des Kirchen raums zur Entfaltung verhelfen. Ich spreche Hoffnungen aus und begegne vielleicht Ihrem leidenschaftlichsten Widerstand, der sich aus vielleicht zufälligen, aber für Sie verbindlichen Erfahrungen mit abstrakter Kunst verstärkt. Ich kann Ihnen, weil ich glaube, dem inneren Zwang der geschichtlichen Gegeben heiten gefolgt zu sein, nicht weiter entgegen kommen, als daß ich Ihnen die Voraussetzungen nenne, die nach meinem Ermessen erfüllt sein müssen, damit abstrakte Kunst im gottesdienst lichen Raum Verwendung findet. Die erste, oberste und unerläßlichste, die der Qualität, der Echtheit, versteht sich so sehr von selbst, daß es genügt, sie aufgeführt zu haben. Im übrigen bietet sich auch hier der Weg der Ausgrenzung, die via remotionis an, um auf gesichertem Grund zu positiven Forderungen zu kommen. Sicher ist, daß jene Spielart der abstrakten Kunst, die glaubt, sich dem Diktat des Unbe wußten hingeben zu können und nach den Ge setzen eines enthemmten Automatismus Gestalt rudimente im Bild zusammenführt, die allen falls noch mit dem Schlüssel des Psychoanalyti kers Zusammenhänge eröffnen, Zusammenhänge meist sehr bedrückender Art, in den Kirchen raum nicht eindringen darf. Das Psychogramm an den Wänden einer Kirche wäre wirklich der Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte. Aber auch das andere Extrem verbietet sich, das Ausweichen in die Rationalität eines be denkenlos, das heißt geschichtslos übernomme nen, überzeitlich geltenden Systems von litur gischen Zeichen, das in seiner alles-sagen-wollenden und darum nichtssagenden Leere den religiösen Ekel erzeugt. In diesem überbelich teten Raum versiegt das Leben des Glaubens. Noch eine dritte Spielart der abstrakten Kunst, der wir bereits begegnet sind, schließt sich not wendig selber aus dem christlichen Kirchenraum aus; die magische Abstraktion. Sie, die aus dem Willen kommt, die Oberherrlichkeit des schöp ferischen Geistes durch Identifikation der eigenen inneren Unendlichkeit mit einem will kürlich gewählten Gestaltelement zu erringen, wird immer nur zu Bildungen gelangen, die sich aus dem gottdurchwirkten Raum her austrotzen. Das envoutement, wie die Franzosen den so herbeigeführten Zustand nennen, das unter- eine -Wölbung-nehmen von Geist und Gegenstand zu einer böse zusammenzwingenden Einheit, in der die ersehnte Oberherrlichkeit erst recht zum Teufel geht, muß an der Berüh rung mit dem Sakralen zerspringen. (So sollte es wenigstens sein, wenn wir nicht zugelassen hätten, daß selbst Kirchen zu einem Museum, was soviel heißt wie zu einem Pandämonium, entartet sind.) Nicht der Geist, der sich in böse Selbstbehauptung verfangen hat, sondern der vom Pneuma durchlichtete, vom Pneuma rast los mit seiner eigenen Tiefe, der in ihm wirken den Gottestiefe vermittelte Geist, erringt in der Kunst jene Höhe und Freiheit der Selbstbekun dung, in der sie mit den Mitteln ihrer Bild zeichensprache sein Eigenstes in die umfas sendste Allgemeinheit führt. Ich habe keine Zuständigkeit, aus diesen Einsichten konkrete Forderungen an den Künst ler herzuleiten. Schließlich bewegen wir uns, wo wir auch sind, im Raum der Gnade. Die Kirche selbst ist weitherzig genug, wie der Text der Instructio lehrt, vom Künstler nicht schlechthin den Glauben zu fordern, sondern jene innere Aufbereitung des tieferen Wesens, die ihn instandsetzt, „echten Glauben und echte Frömmigkeit" auszudrücken. Die Aufrichtigkeit, von der schon einmal die Rede war, ist aller dings unerläßlich, denn die Lüge verstellt auch in der Kunst den Weg zur eigenen Bestimmung. Aufrichtigkeit ist — das gilt auch für den Künstler, der dem Glauben fernesteht — die einzige Öffnung, durch die Gnade eindringen kann, Gnade, hier im weitesten analogischen Sinn genommen, also auch die schöpferische Gnade. Wie darüber hinaus von seilen des abstrakten Künstlers eine Anstrengung gemacht werden kann, sich für die Aufgabe der bildnerischen Betätigung im sakralen Raum rüstig zu machen, wagt man nicht zu fixieren, so unübersehbar sind die konkreten Lebensbedingungen, in denen jeder Künstler steht, wenn eines Tages an ihn der Auftrag ergeht, an der Gestaltung eines gottesdienstlichen Raumes mitzuwirken. Man 105

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