Christliche Kunstblätter, 93. Jg., 1955, Heft 3

Verbindung schafft. In der Kirchen- und Kunst geschichte des Abend- und Morgenlandes hat oft ein Emblem genügt, den im Glauben Ver ständigten die heiligsten Geheimnisse des Glau bens heraufzurufen. Und wenn auch gilt, daß die christliche Kunst, einer aus den Frühkultu ren des Mittelmeerraumes übernommenen Überlieferung folgend, durch fast zwei Jahr tausende hindurch sich für die Darstellung ihrer Gehalte an die menschliche Gestalt gebunden hat, so hat sie doch auf verschiedenen Stufen (ich nenne bloß die karolingisch-ottonische Buchmalerei oder den Ornamentstil der Zister ziensergotik) wiederholt jene Grenze gesucht, wo die Symbolsprache der elementaren Bild faktoren Linie, Farbe, Fläche das Transzendierende der christlichen Glaubensgehalte un mittelbar zum Ausdruck brachten. Es ist also kein in der Natur der Sache gegründetes Recht vorhanden, die Möglichkeiten, welche die Pro fankunst in der Konsequenz einer immanenten Entwicklung errungen hat, für die kirchliche Kunst a limine auszuschalten. Und man kann im Ernst eine Kunst, weil sie sich des Ausdrucks der menschlichen Gestalt und Gebärde bedient, nicht darum schon inkarnierter nennen, zumal wenn man bedenkt, wie durch fast alle Jahr hunderte hindurch ein latenter Piatonismus auf alle erdenkbare Weise die Menschengestalt entirdischt hat, gegenüber einer Kunst, die mit dem Anschluß an die Primärkräfte des bildnerischen Tuns die ganze Not des irdischen Werdens auf eine strengere, unbewahrtere Weise als die Na tur übernimmt? — Es steht zu erwarten, daß die abstrakte Kunst gerade auf der jetzigen Stufe ihrer Ausbildung, wo sie über eine immer reichere, den Herzraum der Dinge auf schließende Bildzeichensprache verfügt, wo sie im existenziellen Zeichen die dem Zeichen ge genüber dem Bild an sich innewohnende Ungeschichtlichkeit zu überwinden beginnt, auch im Raum des Kirchenbaus ihre höchsten Vir tualitäten entfaltet. Welche Voraussetzungen jedoch auf beiden Seiten, der des Künstlers wie der des gläubigen Kirchenvolks erfüllt sein müssen, damit es dahin kommen kann, davon wird gleich zu reden sein. Zuvor gilt es näher zu bestimmen, welcher Art die Funktion sein soll, die das abstrakte Bildwerk im kirchlichen Raum übernehmen könnte. Und dabei zeigt sich, daß die zur Verfügung stehenden Ordnungs prinzipien keine ausreichende Handhabe für eine gültige Einteilung bieten. Vielleicht führt es uns weiter, wenn wir uns klar werden, was mit dem Wesen des abstrakten Bildwerkes der Definition nach ausgeschlossen ist Ausgeschlossen ist jede direkte katechetische Funktion, das abstrakte Bildwerk ist nie Pre digt, denn das setzte einen Bildinhalt voraus und zur Weitergabe dieses Bildinhaltes eine bildsprachliche Konvention, die jenseits des Ge genständlichen nicht mehr gefunden werden kann. — Ausgeschlossen ist die kultische Ver gegenwärtigung im Kultbild selbst. Pater Urban Rapp hat nachgewiesen, daß das Kultbild als präsente Gottheit im christlichen Kult keinen Ort hat. Wenn die im abstrakten Bildwerk sich ereignende Gegenwart nicht selbst Verweisungs charakter hätte, Verweisung, wenn auch nicht aus sich heraus, sondern in eine letzte uns selbst entzogene Tiefe hinein, wenn die hier erfahrene Gegenwart mit der im bildnerischen Tun sich ereignenden Selbstgegenwart in eins gesetzt würde, dann hätten wir im wahrsten Sinne des Wortes Magie. Hier liegt vielleicht die größte Versuchung der abstrakten Kunst, aus einem unberatenen Drang nach Identifikation einen Fetisch zu schaffen. Welche Funktion bleibt also noch dem ab strakten Bildwerk im christlichen Kultraum? Es ist nicht von ungefähr, daß die bisherigen Versuche, die abstrakte Kunst in den Dienst des sakralen Baus zu stellen, sich meines Wissens auf die Gestaltung der Fenster und Wände, und zwar bezeichnenderweise der Außenwände be schränken, wobei nicht in Anschlag gebracht werden soll, daß die Disziplin des nichtfiguralen Stils die Gestaltung des Altargeräts und der Paramente nicht unerheblich beeinflußt hat. — Die zugleich unmittelbarste und universalste Sprache — das ergibt sich aus der Logik des modernen Bauens, das, wie gesagt, vom Bild raum des abstrakten Bildes bestimmt ist — spricht der Bau selbst. So ist es nur folgerichtig, wenn sich die Bildmöglichkeiten der abstrakten Kunst an d e n Baukomponenten entfalten, die für diesen am meisten konstitutiv sind, also an der Wand und dem zur Wand gehörenden Fen ster. Die Besinnung auf die Grundvorgänge der liturgischen Handlung, denen heute jeder gül tige Kirchenbau Rechnung trägt, hat dazu ge führt, daß Kunstgegenstände ohne architekto nische Funktion im Kirchenraum keinen Platz mehr finden. Diese heilsame Disziplin endete aber bei einer Verkümmerung und schließlich im Ersterben aller bildnerischen Kräfte inner halb des gottesdienstlichen Raums, wenn mit dessen objektiver Funktion »als Raum der Kult handlung nicht auch zugleich seine — nun nicht subjektive —, aber doch geistliche Funktion festgehalten würde. Die „Neue Sachlichkeit" des Liturgismus hat bereits mancherorts empfind liche AT'erheerungen angerichtet, die für das Glaubensleben der Gemeinde womöglich er tötender sind, als es der Dschungel von Devo tionalien war, der die Formen eines altehrwür104

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