Christliche Kunstblätter, 93. Jg., 1955, Heft 3

sten Falle ist auch und allein die Ebene erreicht, wo das Zeichen im Bilde Träger einer künst lerischen Offenbarung ist: das Zeichen in jeder anderen Funktion würde den Offenbarungs charakter der Kunst verstellen und damit zer stören. Das Bildzeichen tn der jüngeren abstrakten Malerei ist nun in den Fällen, wo es sich um authentische Schöpfungen handelt, von dieser Art. Wir gebrauchen hierfür das reichlich kahle, aber hoffentlich unmißverständliche Vokabel: existenzielles Zeichen, weil in ihm die aller anderen Aussage entzogene Tiefe der Existenz Wort wird, allerdings ein nicht artikulierbares, in Sprache ummünzbares Wort, das aber den noch in einer tieftreffenden Genauigkeit be stimmt, was in dieser Begegnung vor sich geht. Es ist schwer, ja nahezu hoffnungslos, diese Funktion des Bildzeichens in der abstrakten Malerei zur Erfahrung zu bringen, wenn einem wie hier jede Anschauung abgeht. Ich darf darum einige Erinnerungen zu Hilfe nehmen: In der kleinen, 1945 fast völlig zerstörten roma nischen Kirche St. Georg in Köln hat der große holländische Glasmaler Thorn-Prikker im Zuge einer Restauration 1929—1930 den ganzen Kir chenraum mit Fenstern ausgestattet. In einigen sind Naturformen, wie die Gestalt des drachen tötenden hl. Georg oder die eucharistischen Symbole zu strengen konstruktiven Formen verarbeitet. Andere wiederum sind rein ab strakte Ornamentfenster, wobei wir das Wort Ornament hier schon uneigentlich gebrauchen. Denn das in ihnen waltende Ordnungsprinzip ist so frei gefaßt, daß man hier ohne Vorbehalt von einer absoluten Bildkomposition sprechen kann, wenn auch der Bezug zu dieser einzig artig schwingenden Architektur wesentlich bleibt. Hier aber entsteht in dem Verhältnis schichtweise übereinandergelegter Erden, die von flammenden Rots wie von Blitzen diagonal durchfahren sind, eine Bildvision, die etwas von dem Sturm des Schöpfungsmorgens und der Pflngstfrühe hat. — Oder eine andere frischere Erinnerung: das große Chorfenster Meister manns in St. Kilian zu Schweinfurt. Mir ist vorgekommen, als ich den schräg über die ganze Fläche stürzenden und steigenden Bahnen von sehr reich gestuften Graus nachging, die durch schossen werden von lichtgelben bis weißen Tropfen oder Zungen, das Ganze zusammen gehalten durch wenige intensive Farbpunkte, als habe der Künstler hier aus einer schwer flxierbaren Erschütterung heraus geradezu eine theologische Einsicht ausgesprochen, diese näm lich, daß es ein und derselbe Geist ist, der im Pflngstwunder Gnaden auf die Erde regnet und am Ende der Zeiten Zerstörung sät, damit aus ihr die neue Erde und der neue Himmel hervor gehen. — Und schließlich noch ein schlichteres, darum nicht weniger eindringliches Beispiel: eine Farblithographie aus dem Osterkreis von Manessier. Wenn hier das Motiv Dorn und Nagel auftritt, so sind das keine Hilfen für den Vorstellungsmechanismus des gläubigen Be trachters, sondern Verdichtungen aus dem innersten Nachvollzug des Passionsgeschehens. Wenn ich so bereits einige Fälle angeführt habe, wo abstrakte Kunst im kirchlichen Raum oder im Raum der religiösen Betrachtung Ein laß gefunden hat, so soll damit nichts vorent schieden und die ganzen Schwierigkeiten nicht eskamotiert werden, die sich in diesem Zusam menhang erheben. Zunächst die elementarste, unmittelbar auf springende Schwierigkeit, die sich aus der Natur des Zeichens ergibt. Die abstrakte Kunst ist eine Bildzeichensprache und als solche meint sie den Beschauer, den sie in die Gemeinsamkeit des Wissens um die gleiche Tiefe bringen will. Das setzt beim Betrachter, wenigstens der Inten sität nach, das gleiche Maß an Sammlung vor aus, das der Künstler bei der Hervorbringung des Werks aufgeboten hat. Abgesehen davon, daß darin ein nahezu unerfüllbarer Anspruch liegt, könnte sich bei näherem Zusehen sogar ergeben, daß dieser Anspruch gefährlich ist, wenn nämlich die Kunst, die sich an den Wän den des Kirchenraums entfaltet, eine andere Gegenwart mit Zeichen umstellt, als die Samm lung des Gläubigen meint, sooft er diesen Raum betritt, um im Opfer und Gebet diese Gegen wart zu feiern. Diese Gefahr soll wahrlich nicht bagatellisiert werden. Aber besteht sie nicht ebenso in der gegenständlichen Kunst? In den religiösen Darstellungen Lionardos, Boschs, Grünewalds, und da vielleicht noch verschärft, da hier am Kanon christlicher Ikonographie gerüttelt wird und die Abweichung durch Ge staltelemente deutlicher fixiert ist? Hier rühren wir an Entscheidungsfragen, die an das Gewis sen des Künstlers bzw. seines kirchlichen Auf traggebers gestellt werden. Man wird aber von vorneherein geltend machen, diese Bildersprache sei schwer versteh bar und auch dieser Einwand ist ernst zu neh men. Zwar hat Pcre Couturier in seiner kühnen, schonungslosen Art erklärt: „In den großen Epochen ist die Kunst nichts anderes als eine Sprache, keineswegs aber eine Kulisse, und das gilt selbst wenn sie sich in schwierigen Begrif fen ausdrückt. Denn es steht keineswegs so unumstößlich fest, daß es die Pflicht des Künst lers sei, darauf hinzuarbeiten, daß diese Sprache allen zugänglich werde: dagegen ist es ohne jeden Zweifel seine Pflicht, alles der Reinheit, 102

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